Argentinien: Da lacht das linke Herz

Freitag, 15. August 2014



(zas, 15.8.14) Die G7-Kreation GAFI (Groupe d’action financière sur le blanchissement de capitaux), in der Schweiz keine Unbekannte, wird sich die Augen reiben. Da hat sie auch in Argentinien ein Gesetz gegen das durchgesetzt, was für sie unter Terrorfinanzierung fällt. Dieses Antiterrorgesetz wurde 2011 auf Betreiben u. a. von Menschenrechtsorganisationen revidiert: Von seinem Geltungsbereich wurden jetzt alle Aktionen ausgeschlossen, die „im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Menschen- oder sozialen Rechte oder mit jedem anderen Verfassungsrecht“ erfolgten, wie die Zeitung Página/12 heute schreibt. 
Gestern gab Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner bekannt, gegen die argentinische Niederlassung des US-Druckmultis Donnelley Strafanzeige nach dem Antiterrorismusgesetz zu erstatten, das damit zum ersten Mal zur Anwendung gelangen  soll. Anlass: Donnelly hatte sich wenige Tage zuvor von einem lokalen Richter die Bewilligung für einen „Expresskonkurs“ (id.), wie die Präsidentin sagte, erteilen lassen und gleich die ganze Belegschaft auf die Strasse gestellt. Die Betriebsschliessung sei nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus politischen Gründen erfolgt, „um in der Bevölkerung Angst zu erzeugen“.
Hintergrund der Betriebsschliessung sei, dass Donnelly mit jenen Hedgefonds verbandelt sei, die vor der US-Justiz das Recht erstritten haben, von Argentinien den ganzen Nominalbetrag (samt „Zinseszinsmagie“) jener Bonds zu verlangen, die sie nach dem Landesdefault  2002 zu Schrottpreisen aufgekauft haben. Während der Grossteil der Bondholders in die Schuldenumstrukturierungen der Kirchnerregierungen von 2005 und 2010 eingewilligt haben (und unter dem Strich dabei Gewinne einstreichen), haben sich vorallem einige auf derartige Geschäfte spezialisierte Geierfonds geweigert, die staatliche Schuldenrestrukturierung zu akzeptieren. Ihnen hat jetzt die US-Justiz bestätigt, dass es faktisch kein souveränes  Recht eines Landes gibt, seine Schulden zu restrukturieren, solange sie dies ablehnen. Angeführt werden diese „Holdouts“ insbesondere vom rechtsradikalen Grossponsor der Republikanischen  Partei in den USA, Paul Singer, mit seinen Fonds Elliot und NML. Würde Argentinien der US-Justiz nachkommen, wären Folgezahlungen an alle anderen Bondholders von bis zu $ 500 Mrd. zu gewärtigen, was in etwa der derzeitigen jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes entspricht.
Konkret habe Singer 7 % der Aktien von Donnelley gehalten, bis er diese an den befreundeten Hedgefonds Black Rock verscherbelt habe, über den er die Schliessung der argentinischen Niederlassung des Multis betrieben habe.  In Argentinien erregt dieser Tage die Aussage von Max Brodsky, Chef von Aurelius, des anderen grossen Geierfonds in Sachen Argentinien, die Aufmerksamkeit, dass dem Land „das Schlimmste noch bevorstehe“, sollte es nicht zahlungswillig sein. Singers NML-Fonds hat sich, wie zur Illustration der kommenden Fährnis,  von einem Bezirksrichter in Nevada das Recht ausstellen lassen, von einem in Panama angesiedelten Treuhandbüro die Unterlagen zu den Geschäften des argentinischen Grossunternehmers Lázaro Báez zu verlangen, zwecks Beschlagnahmung dessen Eigentum im Ausland, bis die argentinische Regierung seinen Befehlen Folge leistet. Der Unternehmer habe für die Familie Kirchner Geld gewaschen, so Singer, gestützt auf einen argentinischen Staatsanwalt. (Mit einer in Ghana beschlagnahmten argentinischen Fregatte ist Singer 2012 am internationalen Seegerichtshof gescheitert.)
Die argentinische Präsidentin erklärte weiter: „Die Geierfonds wollen keine gütliche Regelung. Es geht dabei nicht nur um Geiz und Habgier, sondern um einen politischen und geopolitischen Entschluss, Argentinien wieder in die Verschuldung zu treiben und die souveräne Umschuldung auf jegliche Weise zu Fall zu bringen … [Es] gibt ein klares Projekt, Argentinien wieder zu verschulden und ihm im Tausch gegen seine Naturressourcen Papierchen zu geben “ (id.). Das bezieht sich auch auf den Umstand, dass die US-Justiz Singer ermächtigt hat, Informationen über die gigantischen Schiefergasvorkommen der sogenannten Vaca Muerta einzuziehen, welche die Regierung nur zu gerne (per Fracking) fördern will.  In Sachen Verschuldungsstrategie konspirierten ausländische Agenten und inländische Verbündete, so Kirchner, „um die wirtschaftliche und finanzielle Ordnung zu verändern“ (id.), was eben die Anwendung des Antiterrorismusgesetzes nach sich ziehe. (Seit 2003 hat Argentinien offiziell über $190 Mrd. an real grossenteils krass illegitimen „Schulden“ im Rahmen der Umschuldungen und neuer Zahlungsabkommen z. B. mit der Schweiz im Rahmen des Pariser Clubs getätigt, eine enorme Summe. Dennoch ist der Schuldendienst im Verhältnis zum BIP unter den Kirchners massiv zurückgegangen, ein Aspekt, der von Kirchner-kritischen Linksökonomen in Argentinien kaum je erwähnt wird.)
Nun, die Argumentation der Regierung leuchtet ein und dürfte stringent sein. Überraschender ist diese Aussage der Präsidentin: „Diese Regierung wird nie ein Gesetz vorantreiben, um die Arbeiter, das Volk oder die Gesellschaft zu verfolgen. Es handelt sich um Gesetze zum Schutz der Argentinier“ (id.) Das hört man gerne, doch abgesehen von der Frage, wie eine nächste Regierung ein Antiterrorgesetz anwenden wird, ist klar festzuhalten, dass etwa der Innenminister der Regierung Kirchner kürzlich wieder Polizeiräumungen mit Gummischrott und Tränengas von strassenbesetzenden Belegschaftsgruppen, die gegen Entlassungen kämpfen, gerechtfertigt hat, mit dem Hinweis, ein paar dutzend „Fanatisierte“ raubten mit ihren Blockaden von Hauptstrassen  Tausenden die Verkehrsfreiheit. Dieses Lied kennen wir doch, auch wenn vermutlich nicht alles schwarzweiss ist. 
Strassenproteste in Buenos Aires gegen transnationale Finanzjustiz und Entlassungen in der Fililiale des Autoteile-Multis Lear. Bild: Clarín.

Jedenfalls lässt etwa ein bemerkenswert  einfühlsamer Artikel der Tageszeitung Clarín vor wenigen Tagen über die „kirchneristische Verfolgung“ linker Betriebsgruppen wie etwa der (trotzkistischen) von Donnelly Fragen aufkommen. Clarín ist zusammen mit La Nación das führende Drecksblatt und damit „angesehene“ Informationsquelle des hiesigen Medienmainstreams und streitet für eine den Geierfonds gefällige „Lösung“ der Schuldenfrage. Seine angebliche Parteinahme für eine linke Gewerkschaftsopposition ist natürlich dem Bestreben verpflichtet, im eskalierenden Konflikt - nicht einfach mit einigen Geierfonds, sondern mit einem neuen globalen Finanzkommando aus den USA - ein Bild des Chaos an die Wand zu malen, ganz so, wie es Spekulationschief Brodsky will.
Erfreulich dafür diese Nachricht: Belegschaftsgruppen von Donnelly Argentinien haben das geschlossene Werk besetzt und wollen es unter Selbstkontrolle wieder in Betrieb nehmen. Eine zentrale Komponente im Kampf gegen das imperiale Finanzkommando.
Donneley wird besetzt. Quelle: La Nación.

(Für eine genauere Darstellung der Finanzauseinandersetzung s. den in zehn Tagen erscheinenden Correos 178).