Der Imperialismus ist vorbei – oder berichten für eine plastic phantastic wonder world

Freitag, 29. August 2014



(zas, 29.8.14) Die Schäbigkeit der Medienmainstreammeute kennt keine Grenze. Klick – und man ist im Kaltekrieg-Modus. Wieder klick – und alles ist vergessen. Warum bloss ist in Libyen, Irak (und den anderen Gebieten, wo man "humanitär intervenierte"), der Teufel los? Zur Erinnerung: In der CBS-Sendung 60 Minutes vom 12. Mai 1996 fragte die Interviewerin Leslie Stahl die damalige US-Aussenministerin Madeleine Albright wegen der den US-"humanitären Sanktionen" gegen Irak geopferten Kindern: "Wir haben gehört, dass eine halbe Million Kinder gestorben ist. Das sind mehr tote Kinder als in Hiroshima, Und, wissen Sie, ist das der Preis wert?" Antwort von Albright: "Ich denke, es ist eine sehr harte Wahl, aber der Preis – wir denken, er ist es wert". Mainstreammedienecho: gegen null. (Stell dir vor, ein Putin hätte solches gesagt…)
Angesichts solcher Leistungen mag die eine Seite Lobhudelei auf den Mordkonzern Chiquita Brands heute in der NZZ unter dem beseelenden Titel: Der Yankee-Imperialismus ist vorbei, fast bescheiden scheinen. Bemerkenswert, dass der Schreiber, Peter Gaupp, überhaupt den Begriff Yankee-Imperialismus kennt. Er, der heute noch jeden Furz von ein paar US-Marionetten in Kuba oder Florida als erschütternde News präsentiert.
Eine Seite lang erfahren wir, unter welch paradiesischen Umständen ArbeiterInnen auf den Bananenplantagen des US-Konzerns leben. Gewerkschaften – die braucht es kaum, so toll ist es: "Verhandlungspartner des Managements sind deshalb von der Belegschaft gewählte permanente Betriebskomitees. Streiks hat es im Unternehmen schon lange nicht mehr gegeben. Dafür gab es laut einem Angehörigen des Betriebskomitees der Finca Modelo keinen Anlass, weil die Lohnfragen durch mittelfristige Übereinkünfte geregelt sind und weil die betriebsinternen Reklamations- und Schlichtungsmechanismen funktionieren. Er anerkennt auch, dass die Firma überdurchschnittliche Sozialleistungen erbringt. Gewöhnliche Arbeiter bestätigen dies im Gespräch." Das war früher anders, weiss Gaupp, es gab ein "hartes Leben" und "Pressionen gegen die aufkeimende Arbeiterbewegung auf den Plantagen". Und noch einmal wird er richtig kritisch, der Schreiber, der einen Betriebsbesuch machen durfte: Er lässt  Chiquita-Boss Ed Lonergan von früher "gespannten" Beziehungen des Unternehmens mit seinen Belegschaften reden. Details sind gemeint wie die berüchtigte masacre de las bananeras von 1928 in Kolumbien, die chemische Vergiftung von Generationen von PflückerInnen, der Putsch 1954 in Guatemala, der in ein paar Jahrzehnte Krieg mündete.
Vieles wäre zu sagen. Zu den glücklich unnötigen Gewerkschaften nur einige Hinweise aus dem Artikel “Organizar a los trabajadores bananeros es una prioridad” (Die Arbeiter organisieren ist eine Priorität) von Giorgio Trucchi auf der Page Rel-Uita des internationalen Gewerkschaftsverbandes IUF-UITA-IUL (Landwirtschaft und Ernährung) vom 30. Juli 2014. Er schildert die Organisierungsarbeit der costaricanischen Gewerkschaft Sintracobal in Chiquita-Fincas, nötig etwa wegen "indiskriminierter Personalrotation, hoher Anzahl ungerechtfertigter Entlassungen und Problemen der Wiederanstellung". Sintracobal-Generalsekretär Maikol Hernández berichtet auch von "ernsten Problemen bei der Lohnberechnung, von inadäquater Information der Arbeiter bzgl. der Einschätzung ihres Arbeitseinsatzes, vom fast völligen Mangel an Zugang zu Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Erziehung und Unterkunft".
Trucchi interviewt den Arbeiter Lorenzo López der Chiquita-Finca Súper Amigo. Er war früher für das "permanente [Betriebs-] Komitee aktiv, und zwar für die schmutzigen Tricks: "Für jeden Arbeiter, der [aus der Gewerkschaft] austrat, erhielt ich zwei Tage" bezahlten Urlaubs. In der Tat, wozu eine Gewerkschaft, wenn man ein solches Betriebskomitee hat? In der Chiquita-Finca Surá herrscht nach Aussagen des Gewerkschafters José Luis Torres "eine brutale Repression". Torres weiter: "Die Leute haben schreckliche Angst und es ist beschämend zu sehen, wie die Vorarbeiter und Verwalter die Arbeiter bedrohen und uns in Angst vor Entlassungen halten."
Bananenarbeiter leiten den Sintracobal-Kongress vom 28. Juli 2014. Quelle: Rel-UIta.
 Das ist vertraut, aber nicht die Scheinwelt von Chiquita-Gaupp. Der hat's dafür mit der Rainforest Alliance, die Multis wie Chiquita oder Nestlé "soziales und nachhaltiges" Verhalten ähm… zertifiziert. Zu dieser Unternehmer-PR weiter unten der Artikel der "Internationalen Kampagne für nachhaltigen Bananen- und Ananashandel": Chiquita und Rainforest Alliance: Alles ohne Garantie".

Vorher noch ein Hinweis auf die Traditionsfestigkeit von Chiquita aus Correos 178 (August 2014):

Ein Appellationsgericht in Florida hat das Mord- und Folterverfahren gegen den Bananenmulti Chiquita Brands eingestellt, das 4000 KolumbianerInnen angestrengt haben. Chiquita hatte in einem früheren Verfahren, verteidigt von Eric Holder, der heute US-Justizminister ist, zugegeben, während Jahren die Paramilitärs der AUC mit $ 1.7 Mio. finanziert zu haben, zum Schutz, wie das Unternehmen behauptet, der Belegschaft. Klagende Witwen der ermordeten Chiquita-GewerkschafterInnen sahen das anders. Die Begründung von Richter Sentelle: „Die Folter, wenn man die Anschuldigungen für wahr hält, fand ausserhalb der territorialen Gerichtsbarkeit der USA statt“. Der Beschluss macht das Alien Torture Statute zu Makulatur. Seit 1980 konnten AusländerInnen in den USA wegen im Ausland von US-BürgerInnen oder Unternehmen verübten Menschenrechtsverletzungen klagen. (Quelle: The Independent, 25.7.14: Colombians lose torture claim suit against Chiquita bananas in US court)
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Chiquita und Rainforest Alliance: Alles ohne Garantie

16. 12. 2013:
Protestaktionen zu den schwerwiegenden Verstößen gegen Arbeitsrechte bleiben bisher folgenlos.
Zum diesjährigen Weltfrauentag am 8. März riefen die Gewerkschaften in Honduras und internationale NGOs zu Solidaritätsmails für die drangsalierten Kolleg/innen der Plantagen Las Tres Hermanas auf. Tausende E-Mails trafen beim Firmendirektor José Obregón und dem Chiquita-Direktor für globale soziale Unternehmensverantwortung Manuel Rodríguez ein. Angesichts der internationalen Aufmerksamkeit für Las Tres Hermanas musste irgendein Manöver stattfinden, damit die Situation wieder in Vergessenheit geraten könnte. Rainforest Alliance trat in Aktion. Bei einer Sonderinspektion im März fanden die Prüfer tatsächlich vier schwerwiegende Verstöße gegen die Zertifizierungsregeln, u.a. gegen die Konventionen 87 und 98 der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen über das Recht auf Gewerkschaftsorganisation und Tarifvertrag. Außerdem war die Chiquita-Lieferantin falsch mit Disziplinierungsmaßnahmen gegen Arbeiter vorgegangen, hatte sie nicht vor dem Giftnebel aus Sprühflugzeugen geschützt und das firmeninterne Kontrollsystem hatte den Konflikt mit der Gewerkschaft SITRAINBA verschwiegen. Das planmäßige alljährlichen Audit im Juli bestätigte die Verstöße. Bei SITRAINBA keimte die Hoffnung auf, dass Unternehmen würde durch eine Aussetzung der für Chiquita so wichtigen Zertifizierung zur Besinnung und Korrektur gebracht werden. Aber Rainforest Alliance beschloss, keiner der Verstöße würde die Aussetzung der Zertifizierung bewirken.
Warten auf das Inspektionsergebnis
Die Komplizenschaft mit Las Tres Hermanas löste eine Kampagne gegen die Rainforest Alliance aus. Der Gewerkschaftsdachverband FESTAGRO, das Forum für Arbeitsrechte ILRF, IUL, EUROBAN und die Kampagne Make Fruit Fair! solidarisierten sich mit SITRAINBA und forderten die Entzertifizierung von Las Tres Hermanas. Mehr als zehntausend E-Mails prasselten ins Eingangsfach der Rainforest Alliance. Ein begleitender Kampagnen-Protestbrief an deren Vorsitzende Tensie Whelan wurde zusätzlich von der AFL-CIO, BananaLink (GB) und BanaFair unterzeichnet. Erstmals schien der Zertifizierer nachzugeben. Im November fand eine erneute Inspektion des Unternehmens statt. Die Auditorin traf sich erstmals und sogar an zwei Tagen mit den Gewerkschaftern von SITRAINBA und FESTAGRO. „Sie war sehr höflich und wir warten auf Antwort“, sagte der SITRAINBA-Vorsitzende Sánchez. Bisher kam keine.
Solidemo für tres Hermanas. Quelle: makefruitfair.de

ILO-Konventionen nicht entscheidend
Rainforest Alliance spielt auf Zeit, anscheinend spekulierend, dass die Tricks und juristische Obstruktion der Besitzer Obregón und Castro die Gewerkschaft SITRAINBA bald ganz zermürbt haben werden. Rainforest Alliance und Chiquita haben sich vor der Gründung von SITRAINBA jahrelang nicht um die zahlreichen Arbeitsrechtskonflikte geschert. Rainforest Alliance betreibt die Politik des „einmal zertifiziert - immer zertifiziert“, weil man bei einer Entzertifizierung keine Einwirkungsmöglichkeit mehr hätte. Chiquita hat sich weiter mit „nachhaltig“ produzierten Bananen versorgt, weil „niemanden gedient ist, wenn Arbeiter wegen Absatzeinbruch ihre Arbeit verlieren“. Während also letztendlich für nichts garantiert wird, drängen sich Zertifizierer und Zertifizierte in ihrer Werbung als Vollstrecker jeder Art von Nachhaltigkeit und sozialer Fairness auf, durchaus mit propagandistischem Erfolg. Rainforest Alliance wird von der Verbraucher-Initiative und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) als Garant für die Einhaltung der ILO-Konventionen 87 und 98 durch die zertifizierten Unternehmen herausgestellt. Auch das Land Bremen, mit guten Ansätzen für eine faire und nachhaltige öffentliche Beschaffung, vertraut diesem Siegel und irrt sich.
Die unsichtbaren Chiquita-ArbeiterInnen
In der Werbung für einen schwäbischen Supermarkt prahlt Chiquita mit Bestleistungen für die Rechte der Arbeiter. 60% „unserer Mitarbeiter“ seien Gewerkschaftsmitglieder, die „fairen Löhne“ lägen 50% über dem Mindestlohn und 16% über den Mindestlebenshaltungskosten. Diese statistische Nebelwerferei sagt wenig über die Lebenswirklichkeit der Menschen aus, die für Chiquitas Bananenproduktion arbeiten. Die Zahlen mögen mathematisch stimmen, wenn bei „unseren Mitarbeitern“ alle Leiharbeiter und die Beschäftigten auf den Zulieferbetrieben außen vor bleiben. Eine formal zutreffende Unterscheidung, aber die Unterschlagung tausender Beschäftigter ist nicht fair. Denn sie alle produzieren Chiquita-Bananen, von denen nur der kleinere Teil überhaupt noch von eigenen Farmen kommt. Mindestlohn und Mindestlebenshaltungskosten sind in den Produktionsländern sehr unterschiedlich und umstritten, weil ihre Festsetzung von politischen Faktoren stark mitbestimmt wird, meistens zum Nachteil ihrer realen Entsprechung zu den vitalen Bedürfnisse der Menschen.