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Mexiko: 43 Studenten nach Massaker gewaltsam verschwunden
30/09/14
Im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero ist es am Abend des 26.
September zu äusserst brutalen Angriffen der Polizei auf Studenten der
pädagogischen Hochschule “Raúl Isidro Burgos” von Ayotzinapa gekommen,
bei denen gemäss ersten Untersuchungen auch lokale Mafiamitglieder
beteiligt waren.
Die vorläufige Bilanz der insgesamt vier
Schiessereien im 120 km von Mexikos Hauptstadt entfernten Iguala ist
erschütternd: Zwei junge Studierende wurden erschossen, einer starb nach
brutaler Folter, zwei weitere wurden schwer verletzt und befinden sich
in Lebensgefahr. Drei Unbeteiligte kamen ebenfalls ums Leben, ein
Dutzend weitere Verletzte befinden sich in Spitalpflege. Und die
Studierenden vermissen auch vier Tage nach den Ereignissen 43 ihrer
Komilitonen. Die Studenten, NGOs und auch die Staatsanwaltschaft von
Guerrero befürchten,
dass diese zwar von der Polizei verhaftet, aber anschliessend in
Mafiahände übergeben wurden. "Die Hoffnung, die gewaltsam Verschwundenen
lebend und gesund zu finden, schwindet stündlich", meint Raymundo Díaz,
Arzt der medico-Partnerorganisation Kollektiv gegen Folter und
Straflosigkeit (CCTI), der Überlebende und Angehörige betreut.
Urgent Action zu den gravierenden Verletzungen der Menschenrechte in Iguala (englische Übersetzung) gleich online unterschreiben
Der
Auslöser der Polizeigewalt gegen die Internatsstudenten - die
Hochschule in Ayotzinapa ermöglicht mittellosen, meist indigenen
Bauernsöhnen die Erlernung des Lehrerberufs für die Grundschule - war
die Beschlagnahmung von drei Bussen durch die Studierenden, die mit
diesen nach Mexiko Stadt fahren wollten, um an der Gedenkdemonstration
des Studentenmassakers vom 2. Oktober 1968 teilzunehmen. Die lokale
Polizei von Iguala schoss ohne Vorwarnung auf einen der Busse, zwei
Aktivisten erlitten Kopfverletzungen, einer liegt seither im Koma.
Gemäss Augenzeugenberichten befanden sich bei diesem ersten Angriff auch
bundesstaatliche und föderale Polizeieinheiten vor Ort.
In den folgenden vier Stunden geschahen dann die
weiteren Angriffe, unter anderem durch ein ziviles Kommando auf eine
improvisierte Pressekonferenz um Mitternacht in den Strassen Igualas,
zwei Studierende kamen im Kugelhagel ums Leben. Am 27. September
übernahm das mexikanische Militär in Iguala das Ruder; 22 Polizisten
sind inzwischen in Haft und sollen gemäss der Staatsanwaltschaft
Guerreros zur Verantwortung gezogen werden.
Die Ereignisse von Iguala sieht Abel Barrera,
Direktor des Menschenrechtszentrums Tlachinollan, im politischen
Kontext von Guerrero, einem der ärmsten und gewalttätigsten
Bundesstaaten Mexikos: “Hier gibt es eine staatliche Politik der Morde
an Anführern der sozialen Bewegungen und der Kriminalisierung der
Proteste, um die soziale Unruhe im Zaum zu halten”.
In einem Pressebulletin beschreibt das CCTI die konkreten Auswirkungen
dieser Politik: “Die Gesellschaft Guerreros ist gelähmt, paralysiert
durch die Angst und den Terror, ausser einiger weniger Sektoren mit
langer Kampftradition, wie die Studenten und die Lehrer”. Das CCTI
erinnert auch an zahlreiche vorangegangene politische Morde, die
allesamt straffrei blieben. So wurden zwei Schüler von Ayotzinapa am 12.
Dezember 2011 in Chilpancigo bei einer Demonstration von Polizisten
getötet, doch die angeklagten Polizisten wurden freigesprochen. Im
Einsatz waren dabei gemäss Presseberichten auch deutsche Sturmgewehre von Heckler & Koch, was in Deutschland zu einem politischen Nachspiel führte.
Aktualisierung 1.10.14: Fünf Studierende konnten unversehrt aufgefunden werden. Die Eltern von 38 Verschwundenen haben am Abend des 30.9. Vermisstenanzeigen eingereicht.
Weitere Informationen zur Arbeit unserer Partnerorganisation CCTI Guerrero: Prävention von Folter und psychosoziale Begleitung
____
(per Mail erhalten:)
... zusammen mit den sechs Morden und dem hirntoten compa wären es möglicherweise
50 Morde... Gewalt gegen die Bewegung wie seit 1997 Acteal nicht mehr...
Gemäss dem Proceso-Journalisten Ezequiel Flores Contreras haben die
Behörden am Morgen des 4. 10. in einem Hügel ausserhalb von Iguala ein Massengrab
gefunden. Der Fund sei durch Behördenvertreter bestätigt, so der Proceso. Auf
das Grab sind die Behörden aufgrund von Angaben eines Verhafteten gestossen. Ob
es sich um die 43 seit einer Woche durch die Polizei von Iguala entführten und
verschwundenen Studenten der Hochschule von Ayotzinapa handelt, wird derzeit
abgeklärt.