Die Ermordung des Nestlé-Arbeiter Romero in Kolumbien
Beschwerde gegen die Schweiz vor dem EGMR18. Dezember 2014 - Die Schweizer Justiz hat sich geweigert, die Rolle des Konzerns Nestlé bei der Ermordung des Arbeiters und kolumbianischen Gewerkschafters Luciano Romero aufzuklären. Deswegen hat das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) für Romeros Witwe beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg Beschwerde gegen die Schweiz eingereicht. Das ECCHR beruft sich auf das Recht auf Leben (Artikel 2) und das Recht auf eine wirksame Beschwerde (Artikel 13) aus der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nun soll der EGMR klären, ob die Schweizer Justiz die Verantwortlichkeit Nestlés für den Mord an Romero ausreichend ermittelt hat.
Laut kolumbianischer Statistiken wurden seit Mitte der 1980er-Jahre fast 3.000 Gewerkschafter ermordet, 13 von ihnen arbeiteten für Nestlé. „Weder die Unternehmensleitung von Nestlé noch die Schweizer Behörden können behaupten, von der Gewalt in Kolumbien nichts geahnt zu haben oder machtlos dagegen gewesen zu sein“, sagte ECCHR-Generalsekretär Wolfgang Kaleck. „In Kolumbien werden Gewerkschafter systematisch ermordet. Der Mord an Luciano Romero ist kein Einzelfall“, sagte Javier Correa, Präsident der kolumbianischen Gewerkschaft SINALTRAINAL, die zusammen mit Anwälten aus Kolumbien und der Schweiz die Beschwerde unterstützt.
Die Schweizer Justiz hat im Fall Romero alle Klagen gegen Nestlé abgewiesen. Zuletzt berief sich das Bundesgericht im Juli 2014 auf die Verjährung der Tatvorwürfe. „Verjährung, fehlende Zuständigkeiten, Ermittlungsprobleme – es sind immer wieder dieselben Argumente. Kaum ein europäisches Unternehmen wird in seinem Heimatstaat für Menschenrechtsverletzungen im Ausland zur Verantwortung gezogen“, sagte Kaleck. „Was in Europa fehlt, ist ein Katalog der unternehmerischen Sorgfaltsplichten für Menschenrechte!“
Der Fall Luciano Romero
Am 10. September 2005 entführten, folterten und töteten Mitglieder einer paramilitärischen Gruppe in Valledupar (Kolumbien) den Gewerkschaftsführer, Menschenrechtsaktivisten und ehemaligen Nestlé-Cicolac-Arbeiter, Luciano Romero. Der Ermordung waren viele Todesdrohungen vorausgegangen, die im Kontext eines langjährigen Arbeitskonflikts zwischen der Gewerkschaft Sinaltrainal und dem Nestlé-Tocherunternehmen Cicolac standen.
Die Gewerkschaft Sinaltrainal hatte die Todesdrohungen gegen Romero und andere Mitglieder stets dem Nestlé-Tochterunternehmen in Kolumbien sowie dem Mutterkonzern in der Schweiz gemeldet. Doch statt angemessene Schutzmaßnahmen zu ergreifen, verleumdeten lokale Nestlé-Manager Romero und seine Kollegen als vermeintliche Mitglieder der Guerilla, was die Gewerkschafter weiteren Bedrohungen aussetzte. Nestlé in der Schweiz, unternahm dennoch nichts, um die Drohungen und Diffamierungen zu unterbinden.
Die direkten Täter sind in Kolumbien wegen der Ermordung Luciano Romeros verurteilt worden. In seinem Urteil sah der kolumbianische Richter die Rolle Nestlés als besonders relevant an und ordnete entsprechende Ermittlungen an. Diesem Beschluss sind die kolumbianischen Strafverfolgungsbehörden jedoch bis heute nie nicht nachgekommen.
Strafanzeige des ECCHR gegen Manager des Mutterkonzerns in der Schweiz
Am 5. März 2012 reichte das ECCHR gemeinsam mit der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal bei der Staatsanwaltschaft des Schweizer Kantons Zug eine Strafanzeige gegen leitende Mitarbeiter von Nestlé sowie gegen das Unternehmen als solches ein. Der Vorwurf: Die Nestlé-Manager haben es pflichtwidrig unterlassen, Verbrechen durch kolumbianische paramilitärische Gruppen zu verhindern oder die Gewerkschafter angemessen zu schützen. Die Staatsanwaltschaft in Zug übergab das Verfahren an die Staatsanwaltschaft im Kanton Waadt, die für den zweiten Sitz Nestlés in Vevey zuständig ist. Diese stellte das Verfahren am 1. Mai 2013 ein.
Die Staatsanwaltschaft setzte sich nicht inhaltlich mit der Strafanzeige auseinander, sondern stellte das Verfahren mit der Begründung ein, die Taten seien bereits verjährt sein. Die Beschwerden, die die Witwe Romeros gegen die Einstellung des Verfahrens einlegte, wurden in allen Instanzen abgewiesen. Zuletzt durch das Urteil des Schweizer Bundesgerichts vom 21. Juli 2014.
Das Bundesgericht bestätigte die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft und des Kantonalgerichts, dass die Straftaten verjährt seien. Damit wich es von der Interpretation des Schweizer Bundesrates sowie weiten Teilen der Literatur ab, dass es sich bei der Strafbarkeit des Unternehmens um ein Dauerdelikt handelt – sodass der Fall nicht verjährt wäre. Das Bundesgericht beendete das Verfahren aus formellen Gründen.
Das Argument der Verjährungsfrist verdeutlicht zum einen den dringenden Reformbedarf. Zum anderen wird am Präzedenzfall Nestlé/Romero deutlich, dass Unternehmen mit komplexen organisatorischen Strukturen in der Praxis von langen Ermittlungen profitieren.
Immerhin konkretisierte das Bundesgericht die Anforderungen an Unternehmen. Es hält fest, dass Unternehmen unter anderem für „eine klare Beschreibung und Verteilung von Zuständigkeiten und Verantwortungen“ sowie „konkrete und namentliche Arbeitspläne innerhalb des Unternehmens“ sorgen müssen. Ob Nestlé diese Pflicht erfüllt hat, bleibt aufgrund der ablehnenden Entscheidung dennoch offen und unermittelt.
Der Fall Luciano Romero als ein Beispiel der systematischen Verfolgung von Gewerkschaftern in Kolumbien liegt zudem dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vor. In kolumbianischen Strafverfahren wurde die Tat ebenfalls als Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert.