(zas, 3.12.14)Viele in Lateinamerika beantworten die Frage
schon mit einem klaren „Ja“. Besonders die wenige Tage zurückliegende Ernennung
von Joaquim Levy zum Finanz- und damit faktischem Superminister ist für die Linke
in Brasilien und in ganz Lateinamerika eine bittere Erfahrung. Der Mann war
bisher ein Topshot beim Finanzgiganten Bradesco und hatte zuvor im IWF Karriere
gemacht. Unter Lula und dessen erzreaktionärem Vorgänger Fernando Henrique
Cardoso bekleidete er schon wichtige Posten im Finanzministerium. Bei seiner Ernennungsrede liess er sich aus
über Evergreens der konservativen Politik wie die Kürzung der Staatsausgaben, die
Überprüfung der Einkommensumverteilungsprogramme, die Reduktion der
Staatschulden oder das Ziel eines Budgetprimärüberschusses von 1.2 % des BIP (Überschuss
vor Abzug des Schuldendienstes), dafür wurden Worte wie Arbeitsplätze, Umverteilung,
Löhne oder Entwicklung „noch nicht einmal
am Rande“ benutzt, wie Breno Altman im Portal Correio da Cidadania schrieb.
Das radikal rechte Blatt O Globo bestätigte gestern,
dass die Politik von Levy darauf zielt, „die Einstufung Brasiliens durch die Ratingagenturen
zu verbessern“.
Tatsächlich wurde nach dem knappen Wahlsieg von Dilma
Rousseff die Ernennung eines neuen Finanzministers als Probe aufs Exempel
gehandelt, ob die PT-Regierung auf ihrem Kurs der Wirtschaftsentwicklung
bleibe, der im Kern auf eine Ankurbelung via verstärkte Kaufkraft der
Unterklassen setzte, oder eben auf die Konterreform-Vorschläge der Rechten
einschwenke. Die Ernennung von Levy, aber etwa auch des Planungsministers
Nelson Barbosa, spricht in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. Fehlt nur noch,
dass die Präsidentin des Agrobusinesszusammenschlusses tatsächlich das Landwirtschaftsministerium
übernimmt, wie die Gerüchteküche verkündet.
Die neue Linie
Um Levys Politik zu situieren, dienen einige Hinweise auf
die angeblich untaugliche Wirtschaftspolitik des Partido dos Trabalhadores (PT) unter dem bisherigen Finanzminister
Guido Mantega. In seinem erwähnten Artikel skizziert Altman sie wie folgt: Der Einschluss
neuer kaufkräftiger Unterklassensegmente und Modernisierung der Infrastruktur
sollen als Ergänzung zum staatlichen Wirtschaftsprotagonimsus die
Privatinvestitionen fördern. Die internationale Wirtschaftskrise machte aber
einen Strich durch diese Rechnung, so dass: „die
Ausweitung des Konsumvermögens des Volkes
die Schaffung des Angebots übertraf, provoziert durch das relative Fehlen von
Investitionen. Dies heizte die Inflation an. Die Antwort der von den
Marktorakeln bedrängten Regierung bestand in einer langsamen Zinsanhebung
zwecks Drosselung der Nachfrage. Von März 2013 bis Oktober 2014 stieg der Selic
[Leitzins der Zentralbank] von 7.25 % auf 11.25 %. Das Finanzeinkommen der
20‘000 Familien, die 70 % der Inlandsschuldentitel kontrollieren, wuchs. Dafür
verschlechterte sich die Lage des Fiskus: Ein Zinsanstieg von 4 % bedeute eine
jährliche Mehrausgabe von ca. 130 Mrd. Reais [CHF 45 Mrd.]“. Weiter belastete den Staatshaushalt eine Reihe
von Steuergeschenken für die Unternehmer, die so zu Investitionen ermuntert
werden sollten. Ein inflationsbereinigter Realzins bei staatlichen
Schuldentiteln von 5 % bot dem Kapital aber keinen Anreiz, die lukrative
Finanzsphäre zugunsten von Realinvestitionen zu verlassen, fügte Altman an. Das
Finanzkommando des Gürtel-enger-Schnallens, für das Levy steht, ertöne zwecks
Behebung der Fiskalprobleme statt eines
„Primats des Wirtschaftswachstums“. Ein solches „sozial-entwicklungsorientiertes Projekt“ würde „mittelfristig auch eine Steuerentlastung
für die Lohnabhängigen und eine Beitragserhöhung für die reichsten Schichten“
bedingen. Stattdessen stellen „das
Schrumpfen der Staatsausgaben und die beibehaltenen hohen Zinsen in einer
globalen Situation des kriselnden Handels eine Strategie zur Fortführung eines
Wucherrezeptes der Reichsten auf Kosten der Beschäftigung zugunsten der
Ärmsten“ dar.
Levy: Fuck him! |
Anzufügen wäre vielleicht noch: Ein wichtiger Teil der
Staatsverschuldung entspringt dem Umstand, dass in den USA und Europa praktisch
gratis aufgenommenes Kapital in die im internationalen Verhältnis lukrativen
brasilianischen Staatsschulden floss. Diese wiederum können laut Gesetz nur von
einem Dutzend Banken vom Staat erworben werden, den sogenannten dealers, die das nur beim gewünschten Zinsniveau
überhaupt tun, was den staatlichen Schuldendienst in die Wucherhöhe schraubt.
Derzeit verschlingt er 42 % des Budgets, weit mehr, als Erziehung und Gesundheit
zusammen.
Entsprechend gross die Freude im Finanzsektor.
Die Kosten/Nutzen-Rechnung
Warum kuscht Dilma vor der Rechten, indem sie jenes
Finanzprogramm übernimmt, das ihr unterlegener Gegenkandidat vertreten hatte?
Viele Faktoren werden eine Rolle spielen, nicht zuletzt, dass wohl
entscheidende PT-Sektoren von der laufenden Finanzspekulation profitieren, und
sei es nur in Form von Korruptionsgeldern. Die Tatsache aber, dass sich die
Rechte bei den Parlaments- und Regionalwahlen massiv stärken konnte, erklärt
das Einschwenken nur scheinbar. Immerhin gewann der PT die
Präsidentschaftswahlen auch dank eines grossen Einsatzes der
Basisorganisationen und einer verbreiteten Ablehnung der rechten Sozialagenda. Im
normalen Parlamentsbetrieb sind reale Reformen nicht mehr durchbringen. Es wäre
zwingend, auf eine prononciert linke Politik und ihre massenhafte Unterstützung
auf der Strasse zu setzen. Dass so etwas in Brasilien nicht einfach Wunschdenken
sein müsste, zeigten die Sozialmobilisierungen letztes Jahr, bevor sie von der
Rechten vereinnahmt werden konnten, nicht zuletzt wegen eines nur zaghaft
präsenten PT.
Die aktuelle Politik dürfte einem Versuch entsprechen, einen
Teil der Rechten und der Kapitalgruppen zu besänftigen. Teile der unterlegenen
Rechtspartei PSDB wollten das Resultat der Präsidentschaftswahlen im Nachhinein
nicht anerkennen und sprachen sich für eine „venezolanische“
Destabilisierungsstrategie aus. Der aktuelle Korruptionsskandal um den
staatlich gelenkten Ölkonzern Petrobrás soll in diesem Zusammenhang für ein
Impeachmentverfahren gegen die Präsidentin benutzt werden, dessen
Realisierungschancen allerdings fraglich zu sein scheinen. Die jetzt noch
kapitalfreundlichere PT-Politik soll solchen Tendenzen wohl etwas Wind aus den
Segeln nehmen, zum Preis allerdings einer Stärkung der Kapitaldiktatur und
eines Verrats an der eigenen Basis.
Warum „Petrobrás“ ein
Skandal ist
Der Petrobrás-Skandal verdient eine besondere
Berücksichtigung. Die laufende Desinformation besteht hauptsächlich in der
Fokussierung auf Korruption als Phänomen des PT und dem Fakt der staatlichen
Lenkung von Petrobrás. Einen Einblick in die reale Dimension der Petrobrás-Vorgänge
gibt uns ein Interview mit dem Ingenieur Fernando Siqueiro, Exponent einer
Gruppe kritischer Petrobrás-AktionärInnen, in Correio da Cidadania (‘Mais
uma vez, o interesse de alguns é afastar a Petrobrás do pré-sal’,
1.12.14).
Darin sagt Siqueiro: „Was
Besorgnis erregt, ist, dass obwohl die Korruption ein generalisierter,
metastasierender Krebs ist, Petrobrás im Kreuzfeuer der Kritik steht, nicht als
Opfer, was der Konzern ist, sondern als Herd der Korruption. Dies aus dem
Interesse heraus, Petrobrás so zu schwächen, dass sie nicht die einzige
Operateurin des pré-sal [riesige Ölvorkommen im Meeresboden] sei, was die zwei
Hauptherde der in der globalen Erdölproduktion grassierenden Korruption
beeinträchtigen würde: die Überdimensionierung der Produktionskosten,
entschädigt mit Öl, und die betrügerische Messung der Produktion. Und man
sieht, dass diese Kampagne in etwas Zentralem einen gewissen Erfolg hat:
Mehrere naive Brasilianer befürworten schon die Privatisierung von Petrobrás
als Lösung. Sie wissen nicht, dass die globalen Privatkonzerne, die einzigen,
die Petrobrás kaufen könnten, die
korruptesten und die am meisten korrumpierenden Unternehmen der Welt sind.“
Wie der PT Petrobras versenkt. Quelle: Veja, eine Hetzzeitschrift. |
Die Rechte, führt Siqueiro
weiter an, sieht nur dann einen Skandal, wenn er ihr nützt: „Bei der Versteigerung von Libra händigte
die Regierung Dilma den Multis 60 % des grössten Ölfeldes der Welt aus. Sie
brach dabei drei Gesetze, so Artikel 12 des Gesetzes 12351/10, wonach strategische Gebiete mit
Petrobrás verhandelt werden müssen und nicht auktioniert werden dürfen. Der
Rechnungshof akzeptierte unsere Anklagen nicht und validierte den Erlass.“ Der
kritische Aktionär führt eine Reihe weiterer offener, an den
AktionärInnenversammlungen abgesegneter Gesetzesbrüche auf, nennt eine Reihe
korrupter Grossprivatisierungen unter den letzten Regierungen und hält fest: „Das [Korruptions-] Schema funktioniert seit
den Militärregierungen, wie neue historische Veröffentlichungen zu diesen
Unternehmen belegen. Es dauerte unter den Regierungen Sarney, Collor, Itamar
und Fernándo Henrique Cardoso fort und auch unter den PT-Administrationen.“
Petrobrás – look who’s
there!
Eine enorme Dimension der transnationalen Dimension der
Korruption enthüllen die folgenden Aussagen von Siqueiro:
„Seit ca. 10 Jahren
prüft die US-Revisionsgesellschaft PricewaterhouseCoopers die Bücher von
Petrobrás. Sie hat dafür Zugang zu allen Unterlagen des Unternehmens. Seit 5
Jahren ist PwC auch zuständig für die strategische Planung von Petrobrás. Sie
unterschrieb auch die Bilanz der ersten beiden Semester dieses Jahres. Wie
sollen wir da akzeptieren, dass PwC sich jetzt weigert, die neue Bilanz zu
unterschreiben, um sich von aller Schuld frei zu waschen? … Das Unternehmen Boston Group ist
verantwortlich die Taktische Operative Planung von Petrobrás und hat ebenfalls
Zugang zu allen Daten. Wie soll es die Unregelmässigkeiten nicht entdeckt haben?
Und was soll der Vorteil von Petrobrás sein, diese Funktion an ein ausländisches
Unternehmen ausgehändigt zu haben? Für die USA ist es optimal: Zugang zum Innersten
von Petrobrás. Im Integrierten Datenzentrum von Petrobrás arbeiten
US-Unternehmen (die Hälfte von allen) und drei weitere besorgen die
Datenverschlüsselung. Die Software für die Verarbeitung der Explorations- und
Förderungsdaten gehört Halliburton. US-Unternehmen sind in allen
Schlüsselpositionen von Petrobrás. So wird deren Verwaltung nicht nur
privatisiert, sondern auch denationalisiert. Das kann Absicht sein, um das
Unternehmen zu demontieren“.
PT-Wahlwerbung für die nationale Dilma von Petrobrás gegen ihren rechten Konkurrenten von Halliburton.... |
(Als in 2002/2003 die Bourgeoise in Venezuela nach dem
gescheiterten Putsch die Chávez-Regierung vorallem mittels eines monatelangen
Unternehmerstreiks stürzen wollte, in dessen Zentrum der staatliche Ölkonzern
Pdvsa stand, waren die Regierung und die Belegschaft wochenlang nicht im Stand,
die Produktion wieder aufzunehmen. Grund: Die ganze Pdvsa-Software gehörte dem
outgesourcten CIA-/Pentagonunternehmen SAIC, das alle Vorgänge ferngesteuert
blockieren konnte.)
Keine reale Südintegration,
aber vielleicht eine Sozialrevolte?
Mag sein, dass Levy, wie die Rechte befürchtet, irgendwann
mal von der dann „autoritären“ Präsidentin abgesetzt wird – nach einer
Sozialrevolte, vor einer Wahl. Jedenfalls nach vollbrachtem Unheil. Wenig
interessant. Wichtiger eine andere Botschaft: Brasilien wird sich unter der PT-Regierung
keineswegs nach links bewegen. Es wird auch in Zukunft die lateinamerikanische
Integration höchstens so weit fördern, wie es seine geopolitischen und
wirtschaftlichen Machtaspirationen nützt. Es wird beispielsweise weiterhin die
von den ALBA-Ländern angestrebte Bank des Südens blockieren, solange sich diese
nicht dem Diktat der „Finanzmärkte“ unterwirft (was bei der kürzlich angekündigten
BRICS-Bank wohl schon impliziert ist; zumindest legt sie als Gerichtsort für
allfälligen Rechtsstreit schon mal New York fest). Haiti bleibt weiterhin
Trainingsraum für die brasilianische Armee. Schlimmer wäre nur ein rechter Wahlsieg
bei den Präsidentschaftswahlen gewesen: Ein Präsident Aécio Neves hätte sich
gleich zur Speerspitze der reaktionären Konteroffensive im Südkontinent
gemacht.
Bleibt die Hoffnung, dass die, die Dilma gegen das rechte
Programm gewählt haben, sich nicht alles bieten lassen.