(zas, 8.2.15) Die Nachfolger des Versagers Chávez in Caracas
toppen ihr Idol. Eine derart schreckliche Wirtschaftskrise ist die Folge, dass
ein baldiges Ende der chavistischen Regierung unausweichlich ist. So der
mediale Dauerbeschuss.
Beispiel: Gestern machte sich einer von der NZZ wieder mal
verhalten lustig über den Begriff „Wirtschaftskrieg“, den die Grossmäuler in
Venezuela so gerne gebrauchen. Ein Begriff aus dem Katechismus der
Unfähigen, wie NZZ-Brühwiller zu meinen vorgibt:
„Schuld an den Warteschlangen und am
wachsenden Unmut in der Bevölkerung seien die Detailhändler, glaubt Präsident
Nicolás Maduro. Sie steckten mit der Opposition und den Imperialisten unter
einer Decke und führten einen «Wirtschaftskrieg» gegen seine Regierung…. Der Diskurs vom Wirtschaftskrieg wird ...
weitergehen, denn er hilft der Regierung, vom eigenen Versagen abzulenken.“
Statt in sich zu kehren, geht die Regierung auf die „Detailhändler“ los. Etwa auf
„die populärste Apotheken-Kette
Venezuelas, Farmatodo … Bei einer
Kontrolle sei festgestellt worden, dass trotz den langen Schlangen vor den
Geschäften nur ein Teil der Kassen in Betrieb gewesen sei, lautet die
Begründung. Zudem seien Unregelmässigkeiten beim Vertrieb der Produkte
festgestellt worden.“
Bei der Bildung von Volkskommandos gegen den Wirtschaftskrieg in Táchira. Quelle: vicepresidencia.gob.ve |
„Unregelmässigkeiten“, Nichtigkeiten als Anlass für Unternehmerrepression!
Wo doch nur, wie Präsident Nicolás Maduro erklärte und Brühwiller nicht,
lange Warteschlangen vor den 150 Verkaufsstätten von Farmatodo, gleichzeitig
einer der wichtigsten Pharmaimporteure des Landes, beobachtet wurden, was die
Behörden zur Kontrolle bewegten. Bei Farmatodo mangelt es oft an Medikamenten –
vom Novalgin bis zum Krebsmittel. Das heisst, bei Farmatodo in Venezuela
mangelt es oft daran. Bei den Farmatodo-Filialen in Kolumbien, wo alles ein
Vielfaches kostet, sind die Regale stets gefüllt. Zufälle oder halt die
unsichtbare Hand des Marktes, der die mit staatlich zur Verfügung gestellten
Billigstdollars erworbenen Medikamente in sichere kolumbianische Gefilde
leitet. Zurück zu den Warteschlangen, die die Herzen der
LateinamerikakorrespondentInnen sich zusammenkrampfen lassen. Brühwiller hat es
geschafft, etwas richtig mitzuschneiden: „…nur
ein Teil der Kassen in Betrieb“. Wie Maduro festhielt, landesweit. Von 10
Kassen waren etwa nur 3 in Betrieb: angesichts der wartenden Kundschaft
betriebswirtschaftlich eigentlich nicht wirklich einleuchtend. Die
Farmatodo-Bosse wussten im Verhör eine einleuchtende Antwort, die Maduro so
zusammenfasst: „Sie sagten, schuld seien
die Angestellten … Feiglinge, Parasiten!“ (s.o.).
Zehntausende von Tonnen an Gütern des Alltagsbedarfs,
importiert dank staatlichen Billigdollars (aus der Ölrente), werden auf
kapillaren Wegen nach Kolumbien geschmuggelt oder in unregulierten
Geschäftsketten zum exorbitanten Schwarzmarktkurs tröpfchenweise angeboten.
Enorme Mengen an Artikeln aller Art, vorallem aber des Grundbedarfs, werden von
den Behörden in Geheimlagern entdeckt. Doch Schuld trägt die Regierung, die
aufgrund ihrer ideologischen Verblendung an der Devisenkontrolle festhält und
deshalb den fleissigen Unternehmern nicht genug Dollars zur Verfügung stellt.
Tatsächlich dürften Korruption und Bürokratie bei der staatlichen
Devisenzuteilung ein Faktor bei der Unterversorgung sein. Aber bei weitem nicht
der wichtigste. (Die oft mit fingierten oder manipulierten Importgeschäften
gedeckte Kapitalflucht sorgte etwa 2012 nach Angaben der Zentralbankpräsidentin
dafür, dass von den staatlicherseits günstig zur privaten Verfügung,
insbesondere für den Import, gestellten $36 Mrd. mindestens $ 20 Mrd. illegal
in Steuerparadiese flossen.) Ein Grossteil des Phänomens geht auf einen realen
Wirtschaftskrieg zurück (bei der Pharma etwa auch auf den Fakt, dass grosse
Multis Venezuela mit einem faktischen Lieferboykott belegen).
Sehr vieles erinnert heute in Venezuela an die Situation Chiles
vor dem Putsch 1973. Auch die Unidad Popular der Reformregierung Allende galt
den Mainstreammedien als „unfähig“, die Versorgung der Bevölkerung mit
Alltagsgütern sicher zu stellen. Diese Medien jubelten nach dem Putsch. Bis in
die 80er Jahre feierte etwa die NZZ den Jahrestag des Putsches. Erst, als der
massive Volkswiderstand Pinochets Auspressungsregime ins Stocken brachte,
änderte sich die Tonlage der damaligen Hechelmeute. Wie dieser Wirtschaftskrieg
geführt wurde – von den Sabotageblockaden der Camionneure über die
internationalen Blockaden (auch durch Nestlé, die Allende nicht verzieh, dass
alle Schulkinder ein Glas Milch erhielten, an ihren Profitkassen vorbei) und
die CIA-gesponserte Medienhetze im In- und Ausland bis zur Organisierung der
militärischen Putschkräfte unter US-Kommando – ist belegt. Natürlich wissen die
Mainstreammedien so gut wie nichts davon. Parallelen könnten ins Auge springen.
Vor zwei Tagen brachte amerika21.de einen
Artikel über die massiv zirkulierenden Putschgerüchte in Venezuela
(s. dazu auch den Post
auf diesem Blog). Darin steht:
„Nach Angaben eines westlichen Diplomaten gehen Außenpolitiker in Brüssel inzwischen von der Möglichkeit eines Putsches mit Beteiligung des Militärs aus. In diesem Fall würde Präsident Maduro womöglich nach Kuba ins Exil gehen, die Lage im Land bliebe instabil. Im Bereich des Möglichen sieht man bei der EU offenbar auch einen anhaltenden Bürgerkrieg. In diesem Fall könnte eine internationale Friedenstruppe nach Venezuela entsandt werden, eventuell auch mit Beteiligung von EU-Staaten, hieß es in Brüssel.“„In einem Interview mit der regierungskritischen Tageszeitung "El Nacional" schloss auch der Vorsitzende des oppositionellen Parteienbündnisses Tisch der Demokratischen Einheit (MUD), Jesús Torrealba, einen Umsturzversuch nicht mehr aus. "Wir glauben, dass die Krise in Venezuela in ihre Endphase eingetreten ist", sagte der Politiker, der auf Einladung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung unlängst auch in Deutschland zu Besuch war. Angesichts der schwierigen Situation der staatlichen Institutionen könnte es zu einem Putschversuch kommen, so Torrealba in dem Interview. Das MUD-Bündnis habe für diese Situation "ein Protokoll über sein Vorgehen" in der Schublade: "Wir würden sofort zu freien Neuwahlen aufrufen." Man wolle "weder diese noch eine andere Diktatur".
„Brillant“ die Façon der Rechten: ein Staatsstreich, der
sofort Neuwahlen bedinge, um ein demokratischer zu sein. (Bis zu den
Parlamentswahlen später im Jahr will man offenbar nicht warten. Warum bloss?) Tatsächlich,
beim modernen Putsch des Imperiums ist die Armee nur soweit gerufen wie „nötig“.
Danach bitte möglichst zivile Köpfe. Und erfreuen wir uns doch der Vision einer
Wahldemokratie in einem von „Friedenstruppen“ besetzten Venezuela.
Allerdings sind heute die Verhältnisse nicht mehr wie 1973.
Am heutigen Tag treffen sich die AussenministerInnen des südamerikanischen
Staatenbündnisses Unasur, um die akute Destabilisierungsoffensive gegen
Venezuela zu bekämpfen. In Venezuela scheint die Regierung entschlossen, gegen
die staatsstreichelnden AkteurInnen des Wirtschaftskriegs vorzugehen. Und es
gibt dazu eine reale Mobilisierung an der Basis (s. dazu den parallel
reproduzierten Artikel "Volkskommandos gegen Wirtschaftskrieg" in
Venezuela“, und auf spanisch den Mobilisierungsaufruf der Comunas, der
Zusammenschlüsse der Nachbarschaftsräte: Jornada comunera de distribución de alimentos
contra la Guerra Económica). Ein Krieg in Venezuela hätte
kontinental unvorhersehbare Auswirkungen.
Soweit ist es noch nicht. Zwar haben die USA haben vor
wenigen Tagen erneut ihre Sanktionen ausgeweitet, möglichereise werden „angesehene“
Menschenrechtsapparate die venezolanische Regierung der Verletzung des Rechts
der Leute auf Nahrung beschuldigen oder die Freiheit der verhafteten
UnternehmerInnen (politische Gefangene) verlangen usw. Doch es scheint noch an
der für einen Staatsstreich eigentlich wünschenswerten realen Mobilisierung relevanter
Bevölkerungssegmente zu fehlen. Als kürzlich Oppositionsführer Capriles zu
Grosskundgebungen und zum Generalstreik gegen das „Hungerregime“ von Maduro
aufrief, war das Ergebnis für diese Kräfte niederschmetternd. Möglicherweise
haben auch die bewaffneten Destabilisierungsoperationen der Rechten in der
ersten Hälfte des letzten Jahres demobilisierend gewirkt. Sie fanden
ausnahmslos in besser gestellten und reichen Zonen statt, trafen damit auch die
eigene potenzielle Basis und spalteten das rechte Lager nicht unbedeutend. Und
trotz aller Unkenrufe und medialer Weissagungen ist es der Rechten bis heute
nicht gelungen, den Frust wegen der Versorgungslage in den Unterklassen für
sich zu vereinnahmen. Könnte sein, dass die jetzt laufende Mobilisierung gegen
die AkteurInnen des Wirtschaftskrieges gar zum allgemeinen Motto der
Unterklassen wird.