Venezuela: Informationen zum Putschplan

Dienstag, 17. Februar 2015



Gelegentlich müssen wir Ländern den Arm umdrehen, die nicht machen würden, was wir von ihnen brauchen, gäbe es nicht unsere vielfältigen ökonomischen oder diplomatischen, und in einigen Fällen, militärischen Hebel.
Obama Barack, 9. Februar 2015, The Vox Conversations

(zas, 17.2.15) Wie schon kurz berichtet, gab der venezolanische Präsident Nicolás Maduro letzten Donnerstag, den 12. Februar 2015, die Verhaftung von sieben Offizieren der Luftwaffe bekannt. Der 12. Februar ist ein Feiertag, den  die Chavistas und die Rechten getrennt feiern. Er markierte letztes Jahr den Beginn der guarimbas, des Versuchs, die Regierung durch zunehmend gewalttätigere Strassenproteste aus dem Amt zu jagen. Für den diesjährigen 12. Februar hatte die Rechte erneut zu „Studentendemonstrationen“ aufgerufen, in deren anscheinend nicht gerade massenhaften Verlauf es vereinzelt, in einem Reichenviertel von Caracas und im Staat Táchira, wie vorausgesehen, zu militanten Angriffen auf die Guardia und verschiedene Objekte gekommen war. An diesem Tag also sollte ein Staatsstreich erfolgen, in dessen Verlauf viele Ziele in Caracas aus der Luft bombardiert werden sollten, darunter zahlreiche Ministerien, das Parlament, der Fernsehsender Telesur, der Wahlrat und die Generalstaatsanwaltschaft. Das hochrangige Regierungsmitglied Elías Jaua kommentierte: „Das Leben hunderter Männer und Frauen, die beschossen werden sollten, war in Gefahr“.  Am Fernsehen sagte der Chef der sozialistischen Regierungspartei Jorge Rodríguez: „Mehrere der Angeschuldigten, darunter ein verhafteter General – der seine Beteiligung an den Plänen zugegeben hat – und ein Oberstleutnant i. R. geben Sie, Julio Borges, als Teilnehmer an den Treffen an, in denen die taktischen Bombardierungsziele in diesem Putschversuch“ festgelegt wurden.“ Borges ist der Chef der Partei Primero Justicia. Auslöser des Putsches sollte nach amtlicher Darstellung die Veröffentlichung eines Aufrufs zum Sturz der Regierung sein. Tatsächlich wurde am 11. Februar ein Aufruf zum Sturz der Regierung veröffentlicht, gezeichnet von den drei RechtspolitikerInnen Leopoldo López, María Corina Machado und Antonio Ledezma, dem Bürgermeister von Grosscaracas. In diesem „Aufruf für eine nationale Übergangsvereinbarung“ schreiben die drei, allesamt aktiv beteiligt am 3-Tagesputsch von 2002, von einem „totalitär“ gewordenen Staat, von einer „schwer beschädigten Basis für den Frieden“, vom „unausweichlichen Zusammenbruch der Regierung“ und von den von einer Übergangsregierung zu ergreifenden Massnahmen: „Venezuela erneut in die internationalen Finanzflüsse“ integrieren, die „Autonomie“ der Zentralbank wiederherstellen, Entschädigungen für „willkürliche Enteignungen“, Neuausrichtung der staatlichen Ölpolitik, „Freilassung der politischen Gefangenen“ u. ä.
Auf die Spur der Putschvorbereitungen, so die Behörden, stiessen sie aufgrund von Hinweisen loyaler Militärs und geheimdienstlicher Untersuchungen. Interessanterweise befinden sich etwa der Putschaufrufunterschreiber Leopoldo López oder der Luftwaffengeneral Oswaldo Hernández Sánchez, der jetzt belastende Aussagen gegen führende rechte PolitkerInnen machte, eh schon in Haft; der erste wegen seiner zentralen Rolle beim Versuch letzten Jahres, die Regierung zu stürzen, der andere wegen eines ebenfalls in jener Zeit geplanten Militärcoups. Nach den vorliegenden, etwas widersprüchlichen Angaben war der Einsatz eines oder mehrerer Militärflugzeuge geplant, darunter auf jeden Fall einer Súper Tucano, die, mit venezolanischen Hoheitszeichen versehen, aus dem Ausland einfliegen sollte. Die Tucanos der Luftwaffe selbst sind wegen eines Produktionsfehlers alle nicht operativ. Präsident Maduro erklärte, wegen dieser Súper Tucano die holländische Regierung (Kolonialmacht der Venezuela vorgelagerten Inseln Aruba und Curaçao) und – vergeblich- den kolumbianischen Präsidenten Santos kontaktiert zu haben, der gerade im Flugzeug sass.  Spekulationen zufolge soll sich die fragliche Tucano im Besitz des berüchtigten US-Söldnerunternehmens Blackwater (heute Academi) befinden, die damit Einsätze in Kolumbien fliege. Es handle sich demnach um die einzige nicht an eine Regierung ausgelieferte Súper Tucano des brasilianischen Waffenmultis Embraer.
Diese Tucano sollte vom Fluginstrukteur und Oberstleutnant José Antich Zapata geflogen werden, von dem Parlamentschef Diosdado Cabello sagte, er sei „das Verbindungsglied mit der US-Botschaft“ gewesen (id.), von der er auch US-Visa für die beteiligten Putschisten im Falle eines Misserfolgs bekommen habe.
Meinungsäusserung bei den "demokratischen Protesten" letztes Jahr. Quelle: Telesur.


Kein Echo, dafür ein Skript
Und das transnationale Echo auf diese Enthüllungen? Echo …, warum? Da und dort, von El País über die New York Times zu den helvetischen Brillanzprodukten, eine kleine Agenturmeldung über „Anwürfe“ der venezolanischen Regierung. Möglichst noch eingeleitet mit einer eklatanten Lüge wie in der AP-Meldung vom 13. Februar, die so beginnt: „Die venezolanische Armee und OppositionspolitikerInnen haben die jüngste Bekanntmachung der Regierung [zum Putschversuch] abgetan…“. Die Armeeführung hat natürlich den Putschversuch bestätigt und scharf verurteilt, im Gegensatz zu den Rechten, die ihn zwar ins Reich der Phantasie verbannen, aber sich nie von ihm distanzieren. Die Stossrichtung ist klar: Die Regierung Maduro ist eine nicht ernst zu nehmende Quasselbande. Deshalb dominiert jetzt Schweigen in den gleichen Medien, die sich sonst nicht genug über die „entsetzliche“ Lage in Venezuela auslassen können.
Sie folgen damit dem dominanten Skript, präsentiert von State Department-Sprecherin Jen Psaki am 13. Februar 2015: „Diese jüngsten Anschuldigungen [der venezolanischen Regierung] sind, wie alle  früheren solche Anschuldigungen, lachhaft. Auf der Basis einer seit langem bestehenden Politik unterstützen die USA keine politischen Transitionen mit nicht-verfassungsmässigen Mitteln.“  Damit sorgte sie selbst im zugelassenen Medienkreis für die verwunderte (und nicht beantwortete) Frage, was denn „lange bestehend“ heisse. Psaki meinte weiter, mit solchen Manövern wolle die Regierung in Caracas von der „gravierenden Situation“ im Land ablenken. Ins gleiche Horn stösst natürlich auch die venezolanische Rechte. Damit ist die Tonlage kommender hiesiger Mainstreamkommentare erschöpfend charakterisiert.

Die Schaffung internationaler Putschbedingungen
Immerhin gäbe es mehr als reichlich Anlass, in Sachen imperialer Putschorchestrierung nachzuhaken. Da wären schon einmal die aktuellen Informationen aus Caracas. Was etwa wollte Nancy Birbeck, für die Royal Canadian Mounted Police in der kanadischen Botschaft in Caracas, in Erfahrung bringen, als sie sich am Montag, dem 9. Februar 2015, auf dem Flughafen Michelena nach dessen Kapazitäten in „Notfällen“ erkundigte? Was für „besonderen Situationen“ galt ihre Recherche, fragte sich Parlamentspräsident Cabello. Zum Fall des mit der Besorgung von US-Visa beauftragten venezolanischen Leutnants meinte Cabello: „Dies ist keine Sache von Leutnants, es gibt eine Koordination mit der US-Botschaft, wir kennen den Namen“ der dort mit der Visabeschaffung betrauten Person (id.). Warum riet der Geschäftsträger der deutschen Botschaft den in Venezuela lebenden Deutschen am 3. Februar 2015, sich angesichts eines in den kommenden zwei Wochen möglichen Staatsstreichs mit Grundbedarfartikeln, Medikamenten etc. einzudecken? Warum reichte sie ihre Kenntnisse nicht an die venezolanischen Behörden weiter? Warum diskutierte die EU-„Diplomatie“ offenbar die Entsendung von europäischen Friedenstruppen nach Venezuela?
In „Regime change humanitär“ in der aktuellen Correosnummer wird die Entwicklung in der zweiten Hälfte des letzten Jahres nachgezeichnet, die sich immer schneller drehende Spirale von Verschärfungen der US-Sanktionen gegen venezolanische „MenschenrechtsverletzerInnen“, die Instrumentalisierung von Menschenrechtsapparaten gegen den Chavismus, rechte Aktivierungen in der EU etc. Gepaart mit der sich steigernden Medienhetze über die völlig verlogen dargestellten Versorgungsprobleme in Venezuela deutete all dies auf die Forcierung eines regime change hin. Anfang Februar 2015 drehten die USA erneut an der Sanktionenschraube. Am 3. Februar 2015 meinte Vincent R. Stewart, Direktor der Defense Intelligence Agency der US-Streitkräfte, im Rahmen einer „Globalen Bedrohungseinschätzung“ vor dem Kongress: „Wir prognostizieren, dass studentische Organisationen und die politische Opposition weitere Proteste … veranstalten werden“. Schwer dürfte diese Voraussage dem US-Militär nicht gefallen sein. Wikileaks publizierte ein Kabel der US-Botschaft in Caracas vom 27. August 2009, in dem der für die Unterwanderung in Venezuela zuständige US-Funktionär bezüglich gerade aktueller Strassentumulte sagt: "Die Strassen sind heiss" und "alle diese [die Tumulte organisierenden] Leute sind unsere Stipendiaten". Allein für 2015 haben das State Department und die National Endowment for Democracy öffentlich $ 6.2 Mio. für solche „Stipendien“ bereit gestellt, wie Eva Golinger berichtet. Ebenfalls Anfang Februar veröffentlichte das Weisse Haus seine National Security Strategy 2015, in dem Venezuela als Bedrohung der nationalen US-Sicherheit  bezeichnet wird. Am Caribbean Energy Security Summit in Washington Ende Januar 2015 schlug US-Vizepräsident Joe Biden den Karibikstaaten eine auf US-Privatinvestitionen und Weltbankmanagement beruhende „Energiesicherheit“ vor. Im nichtöffentlichen Teil der Veranstaltung rief Biden die karibischen Staatschefs auf, die Gunst der Stunde – billige Ölpreise – zu nutzen und aus Petrocaribe auszutreten. Die Tage der chavistischen Regierung seien eh gezählt. Maduro protestierte, worauf Jen Psaki vom State Department am 2. Februar meinte, Maduros Anschuldigungen seien „ohne Basis und falsch“ und dienten einzig der Ablenkung von den „berechtigten Anliegen der Bevölkerung“.
Dies sind Elemente, die die AussenministerInnen der südamerikanischen Staatengruppe Unasur schon vor Bekanntwerden der Putschplanung veranlasst hat, die Destabilisierung der venezolanischen Regierung erneut zu kritisieren. Dass sich alles Richtung Putsch verdichtete, pfiffen die Spatzen von den Dächern. Dass allerdings der deutsche Geschäftsträger so nett sein würde, das Datum im Voraus auszuplaudern und damit – im Falle eines Misserfolgs - Berlin in Verlegenheit zu bringen, erstaunt etwas. Die Aussage von Maduro, die grosse Mehrheit der rechten OppositionsführerInnen seien über die Putschvorbereitungen  auf dem Laufenden gewesen, erstaunt dagegen nicht.
Die offene Frage ist, ob mit der Verhaftung dieser Gruppe von Luftwaffenoffizieren (und der Flucht weiterer Beteiligter) die militärische Komponente der Destabilisierungsstrategie genügend geschwächt worden ist oder nicht. Anlass zur Genugtuung bildet sie auf jeden Fall.