Argentinien: „Schwindel der Menschenrechte“

Mittwoch, 25. November 2015



(zas, 24.11.15) Ein Editorial in La Nación, Flaggschiff der mit dem Clarín-Imperium zusammen führenden rechten Mediengruppe, macht klar, wohin die Reise in Argentinien geht.
Gestern, einen Tag nach dem Wahlsieg des rechten Hardliners Mauricio Macri, liess La Nación-Besitzer  Saquier  keinen Zweifel über die neue Fahrtrichtung im Land. Unter dem Titel „Keine weitere Rache“ (No más venganza) machte er sich für ein Ende dessen stark, was er als „Rache“ an den Militärputschisten bezeichnete. Insgesamt sitzen in Argentinien über 500 Militärs wegen Verbrechen gegen die Menschheit im Knast (Folter, Verschwindenlassen, Massenmord u. ä.). Saquier wärmt die seit dem Ende der Militärdiktatur (1976-1983) in der Rechten zirkulierende These der „zwei Dämonen“ auf, wonach Guerilla und Repression gleicherweise schuldig am fürchterlichen Gemetzel gewesen seien (offiziell liess die Armee rund 30‘000 Oppositionelle verschwinden).

Saquier beruft sich auf eine wenige Tage vorher von ihm publizierte Kolumne der Senatorin Norma Morandini, die in der Macri-Regierung mutmasslich das Ressort Menschenrechte übernehmen wird, der zufolge, so das Editorial,

„die Sache der Menschenrechte nicht mit Lügen verteidigt werden kann. Ein Tag, nachdem die BürgerInnen eine neue Regierung gewählt haben, müssen die Rachegelüste für immer beerdigt werden. Die tragischen Ereignissen der 70er Jahre gerieten in das Sieb der Linken, die ideologisch auf die terroristischen Gruppen verpflichtet ist, die hier mit Waffen, Bomben und einer Zellenorganisation mordeten, die sich in nichts von jenen unterscheiden, die den Freitag, den 13., in Paris provozierten. Diese geschwätzige, tatsächlich damals wie heute faschistisch konfigurierte Linke, bemächtigte sich von Beginn der Regierung der Kirchners des offiziellen Propagandaapparats.“

Damals habe man gewusst, dass

„der Staatsterrorismus auf die gesellschaftliche Panik folgte, die von den indiskriminierten Massakern ausgelöst wurde, begangen von für den schmutzigen Krieg ausgebildeten Gruppen, die der Kirchnerismus mit der absurden Qualifikation ‚wunderbare Jugend‘ ausgezeichnet hat.“

Ein Ende der Rache bedinge die Freilassung von über 300 alten einsitzenden Militärs und ein Ende strafrechtlicher Untersuchungen gegen besonders in die Diktaturverbrechen verwickelte Richter. Was immer Saquier wollte, die Reaktionen waren heftig. Die Belegschaft von La Nación distanzierte sich scharf vom Editorial ihres Bosses, selbst die von Saquier zitierte Senatorin - zwei ihrer Brüder liessen die Militärs verschwinden - liess verlauten, sie habe nicht eine Versöhnung mit den „Unterdrückern“, sondern in der Bevölkerung im Auge. Die Señora sah sich zu einer weiteren Pirouette genötigt: Sie halte nichts von der Theorie der „zwei Dämonen“, sondern sie mache die damalige „politische Gewalt“ als den einen Dämon aus. (Was wäre der Unterschied?)
Mutmasslich ist der Ton „falsch“, nicht aber die Botschaft. Macri, ein reaktionärer Hardliner und Mann von Washington und dem kolumbianischen Ex-Präsidenten Uribe, will sich ja als „moderner“ Rechter geben. So wird seine Kampf gegen die lateinamerikanische Befreiung – besonders gegen das chavistische Venezuela - und für das neue transnationale Diktat aus Washington und Berlin,  für die trans/nationalen Eliten im Land und gegen die Unterklassen, einiges mehr an Marktwert haben, wenn er nicht gleich als rechtsradikaler Dinosaurier mit der Tür hereinbricht (marketing is everything).
Drei Dinge noch, die helfen, die Dynamik zu verstehen:
1.                  Die Diktatur ermordete systematisch auch Verwandte von Oppositionellen zwecks Herstellung eines Klimas von Terror, Verdrängung und Unterwerfung. Einige ihrer Verbrecher gegen die Menscheit wurden erst Jahrzehnte später, nach Überwinden ihrer legalistischen Schutzbarrieren, gerichtlich belangt. Nicht eines ihrer Kinder wurde ermordet, keine Mutter vergewaltigt, kein Vater vor den Augen der Fami,lie gefoltert, kein Täter aus Flugzeugen in die Tiefe geworfen. Doch die … Eliten reden von Rache.
2.                  La Nación und Clarín kamen unter der Militärdiktatur in den Besitz der landesweit relevanten Zeitungspapierfabrik Land und legten damit den Grundstock für ihre heutige Monopolstellung. Der Besitzer der Fabrik starb 1976 in einem Flugzeugunfall, seine Witwe wurde unter vielfach von hohen Kadern der Privatwirtschaft und der Politik übermittelten Morddrohungen auch gegen ihre kleine Tochter zum Verkauf für ein Linsengericht an die Besitzer der die Diktatur bejubelnden Clarín und La Nación gezwungen (hier das Zeugnis der danach auch schwer gefolterten Frau). Die Frau und ihr Gatte waren jüdisch.
2.                  Letzten Dezember kündigte der damalige Kandidat Macri an:

„Mit mir wird der Schwindel mit den Menschenrechten aufhören.“

Der schweizerisch-argentinische Journalist Sergio Ferrari schreibt:

Vier Tage vor der Wahl vom 22. November kam es an diversen symbolträchtigen Orten von Buenos Aires – wie dem heute in ein Zentrum der Erinnerung verwandelten Konzentrationslager der Escuela de la Mecánica des Heeres, der Mansión Seré (einem anderen Geheimgefängnis) oder der kämpferischen Phil I-Fakultät in der Stadt Rosario – zu Bombendrohungen und Graffiti mit der Inschrift: „Ab dem 22. November findet der Schwindel mit den Menschenrechten ein Ende“.  

Molenbeek: Den Terror spüren…

Sonntag, 22. November 2015



(zas, 22.11.15) Endlich das scharfsichtige Aufspüren des jihadistischen Terrors – auf der Titelseite der NZZ am Sonntag von heute!
Es geht um Molenbeek, das migrantische Quartier in Bruxelles, das ein prominenter französischer Journalist bombardieren lassen will. Das gehört nicht zur Kompetenz der NZZaS-Korrespondentin, sie brilliert mit anderem:
Molenbeek ist ein lebendiges, vorwiegend muslimisches Quartier, in dem der radikale Islam nicht sichtbar, aber überall spürbar ist. Orientalische Basare, islamische Bibliotheken und marokkanische Teestuben prägen das Bild. Die meisten Frauen tragen Kopftuch. Hier wurden die Attentäter radikalisiert.“
Und sowas darf mir nichts, dir nichts geplappert bzw. „gespürt“ werden. Klar, wenn der belgische Premier gehört hat, dass die Jihadis Bruxelles angreifen wollen und er deshalb den extremen Ausnahmezustand über die Metropole verhängt, wird geleitetes „Spüren“ zur Verpflichtung. Sonst käme ja die Fragen auf, wohin die Reise geht, und wer denn eigentlich den fundamentalistischen Faschismus promoviert. Besser, das Entsetzliche, Abartige,  im Unterklassenquartier zu „spüren“. 
Molenbeek

Brasilien: Syngenta verhängte Todesstrafe



(zas, 22.11.15) Syngenta ist im südlichen Staat Paraná von Brasilien wegen Mord und Mordversuch an AktivistInnen der Landlosenbewegung MST im Jahr 2007 verurteilt worden. Dies meldeten die Agrarmenschenrechtsorganisation Terra de Direitos und das MST am letzten Mittwoch, dem 18. November 2015 (portugiesisch, englisch  und spanisch). Nicht so natürlich die Schweizer Medien, die sich lieber über den Einfluss des Brasiliengeschäfts auf die Aktienkurse des Schweizer Multis auslassen.

Ein Richter in Cascavel (Paraná) sprach Syngenta am 17. November 2015 in einem Zivilrechtsverfahren für den Mord am Leader der Landlosenbewegung MST, Valmir Mota de Oliveira, bekannt als Keno, und den versuchten Mord an der MST-Aktivistin Isabel do Nascimento de Souza für schuldig. Die Verbrechen ereigneten sich am 21. Oktober 2007 und wurden vom privaten Syngentawerkschutz NF Segurança ausgeführt. Wenige Stunden zuvor hatten rund 150 MST-Mitglieder das Syngenta-Versuchsfeld Santa Tereza do Oeste besetzt, da der Multi hier, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Naturschutzgebiet Parque Nacional do Iguaçu, illegale Experimente mit gentechnisch manipuliertem Mais durchführte. Rund 40 Angehörige des Sicherheitsunternehmens fuhren im Bus vor und begannen auf die Leute zu schiessen. Keno wurde aus nächster Nähe erschossen, andere MST-AktivistInnen erlitten Verletzungen.
Wenige Tage vor diesem Mord fand in Curitiba (Paraná) eine Anhörung des brasilianischen Kongresses zu den berüchtigten Privatmilizen der Grossgrundbesitzer statt. Und am 20 Juli 2007 wurden mehrere Familien in einem Ort nahe der Versuchsanstalt „‘massiv durch schwer bewaffnetes Sicherheitspersonal bedroht, welches vom gleichen Multi [Anm. zas: Syngenta] unter Vertag genommen wurde‘, wie [ein] Dokument von Terra de Direitos aufzeigt“, schrieb Sergio Ferrari in seinem Artikel „Banden, Pestizide und Gentech-Saatgut“ (Correos 152, Dez. 2007). „Laut der Anzeige“, fuhr Ferrari fort, welche die Bewohner bei der Polizei machten, drang das Sicherheitspersonal der Firma Syngenta in ihr Land ein und blieb ungefähr 40 Minuten. Dabei feuerten sie während der Nacht grosskalibrige Waffen ab‘”.
Zur Argumentation des Schweizer Multis zum Mord erklärte der Richter: „… zu sagen, beim Vorfall habe es sich um eine Konfrontation gehandelt, heisst, die Augen vor der Realität zu verschliessen“. Und weiter führte er aus: „… die schlechte Auswahl des für die Sicherheit zuständigen Dienstleisters und die indirekte Finanzierung illegaler Aktivitäten stellt eine die zivilrechtliche Verantwortung her … So illegitim die Besetzung des Eigentums auch gewesen sein mag, war es dennoch nicht angemessen, auf eigene Faust vorzugehen und die Todesstrafe über die Besetzer zu verhängen, statt die legalen Konfliktlösungsmittel in Anspruch zu nehmen.“
Basel, 2008: Protest gegen den Mord an Keno vor dem Hauptsitz von Syngenta. Quelle: Terra de Direito
 Syngenta, das mit Saatgutkontrolle und Pestizideinsatz (besonders übel: Paraquat) intim in einen strukturellen Massenmord verwickelt ist – s. dazu Multiwatch und EvB – wird mutmasslich gegen das Urteil rekurrieren. Noblesse oblige.

Uruguay gegen Philip Morris vor Schiedsgericht der Weltbank

19.11.2015 Uruguay / Politik / Wirtschaft

Uruguay gegen Philip Morris vor Schiedsgericht der Weltbank

Präsident Vázquez zuversichtlich angesichts der Klage des Tabakkonzerns. Weltgesundheitsorganisation unterstützt Uruguay beim Schiedsverfahren
Der Tabak-Konzern Philip Morris fordert einen Schadenersatz von mindestens 25 Millionen US-Dollar von Uruguay
Der Tabak-Konzern Philip Morris fordert einen Schadenersatz von mindestens 25 Millionen US-Dollar von Uruguay
Washington/Montevideo. Beim Verfahren des Tabakkonzerns Philip Morris International gegen des Staat Uruguay haben beide Parteien im Verlauf der letzten Oktoberwochen ihre Schlussplädoyers gehalten. Für Uruguay waren Staatssekretär Miguel Toma, Gesundheitsminister Jorge Basso sowie Gesundheitsexperten und Juristen in die US-Hauptstadt Washington gereist. Das südamerikanische Land wartet nun auf das Urteil des Weltbank-Schiedsgerichts (ICSID), das innerhalb der nächsten sechs Monaten verkündet werden soll. Präsident Tabaré Vázquez äußerte unlängst seine Zuversicht, dass Uruguay den Fall gewinnen wird. Philip Morris ist der weltweit größte private Hersteller von Tabakprodukten.
Im Jahr 2010 hatte die Schweizer Niederlassung des Konzerns vor dem Schiedsgericht der Weltbank geklagt und einen Schadenersatz von mindestens 25 Millionen US-Dollar von Uruguay gefordert. Philip Morris gab an, die von Vázquez eingeführte Tabak-Regulierung beeinträchtige seine Geschäfte und verstoße gegen das schweizerisch-uruguayische Investitionsschutzabkommen. Gestützt habe sich der Konzern dabei auf die im Abkommen enthaltenen Punkte "indirekte Enteignung" und "gerechte und billige Behandlung".
Uruguay mit seinen rund dreieinhalb Millionen Einwohnern sei für den Tabakmulti kein nennenswerter Markt. Es gelte gegenüber diesem Kleinstaat ein Exempel zu statuieren, um andere Länder davon abzuhalten, ihre Nichtrauchergesetze ebenfalls zu verschärfen, kommentierte Vázquez die Klage.
Die strikte Anti-Tabak-Gesetzgebung Uruguays hatte der Präsident und Onkologe in seiner ersten Amtszeit eingeführt. Seither sind Zigarettenpackungen zu zwei Dritteln mit abschreckenden Bildern versehen. Bezeichnungen wie "light" sind nicht mehr zulässig und Menthol-Zigaretten verboten. Als Krebsspezialist setzte sich Vázquez sein Leben lang mit den Folgen des Rauchens auseinander. In seinem Kampf gegen den Tabakkonsum ist Uruguay in den vergangenen zehn Jahren gut gefahren. Die Zahl der Herzinfarkte ging um 22 Prozent zurück und 16 Prozent der Raucher überwanden in dieser Zeit ihre Nikotinsucht.
In diesem Zusammenhang haben die panamerikanische (Paho) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) daran erinnert, dass die von Uruguay eingeführten Maßnahmen sich an den Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs halten. Beide Organisationen verteidigen die Position Uruguays und ihre Beteiligung an dem Schiedsverfahren als Sachverständige ist vom ICSID genehmigt worden.
In einer Rede, die Vázquez  kürzlich vor der UN-Generalversammlung hielt, fand der Präsident klare Worte für Philipp Morris. Die Industrie schrecke nicht davor zurück "die eigenen Kunden zu töten, um ihre Gewinne zu verdoppeln". Unter keinen Umständen sei ethisch gerechtfertigt, "dass Multinationale von Gerichten das Recht zugesprochen bekommen, kommerzielle Aspekte über das fundamentale Menschenrecht auf Leben und Gesundheit zu stellen", fuhr der Präsident fort.

Washington Seeks Observers That it Can Influence in Venezuela’s Election

Donnerstag, 19. November 2015




Mark Weisbrot
Huffington Post, November 18, 2015

Faschosprüche gegen Faschos




"Die Al-Nusra-Front macht gute Arbeit“, teilte der französische Aussenminster Laurent Fabius im Dezember 2012 mit (LeFigaro). Al-Nusra ist Al-Kaida in Syrien, der IS ein Ableger.

„Statt Al-Raqqa zu bombardieren, sollte Frankreich Molenbeek bombardieren, wo die Kommandos vom Freitag, dem 13., herkamen“. Dixit Eric Zemmour, Journalist von RTL, Figaro Magazine u. a. Molenbeek ist eini migrantisches Armutsquartier in Bruxelles.