Venezuela: Zum Angriffsdispositiv

Freitag, 13. November 2015



(zas, 12.11.15) Wer masochistisch veranlagt ist, konnte sich gestern Abend bei  einer einstündigen Sendung auf „CNN en español“ vergnügen. Beim Zappen blieb ich an der Legende hängen, die ungefähr so lautete: „USA verhaften Neffen der venezolanischen First Lady wegen Drogenhandel“ . Ein Typ mit verschlagenem Blick wie aus dem schlechten Ganovenfilm erklärt dem Interviewer die Sachlage. Ich denke schon halb belustigt: „Sicher einer von der DEA“ (Drug Enforcement Agency, US-Drogenbehörde). Richtig, es handelte sich um den als ehemaligen Chef der internationalen DEA-Operationen vorgestellten Michael Vigil. Wie er aus internen US-Ermittlungsquellen wisse, so „Mike“, seien zwei Neffen der Gattin des venezolanischen Präsidenten wegen des Versuchs, 800 k Kokain in die USA zu schmuggeln, festgenommen worden. „Mike“ wusste den Fall natürlich richtig zu situieren und schwelgte, stets mit fieser Visage, in den „Weiterungen“ des Falls, insbesondere dem von US-Geheimdiensten behaupteten „Carel de los Soles“, einem angeblich unglaublich grossem Narkokartell von hohen venezolanischen Offizieren unter Leitung des chavistischen Parlamentspräsidenten Diosdado Cabello (s. dazu zas.correos.blogspot.com, 25.5.15: Venezuela - die Fernsteuerung).  Eine ziemlich skeptisch stimmende „Einführung“ in die Sache, insbesondere angesichts der allgemeinen Aggression gegen Venezuela.  

Massive US-Militärdrohung
Die US-Medien und ihr lateinamerikanisches Gefolge „berichten“ heute gross aufgemacht über den Fall. In Haiti seien die beiden verhaftet und gleich an die USA ausgeliefert worden. Fotos der beiden zirkulierten in social media und venezolanischen Rechtsmedien. Dummerweise die Fotos von zwei anderen Männern, die früher mal anlässlich eines Sportanlasses mit der Polizei von Philadelphia zu tun hatten. Bis jetzt scheint es auch keine offizielle DEA-Bestätigung bzgl. der Verhaftungen zu geben.  Macht nichts, die Message muss sitzen:  Der Chavismus ist schlimm und gehört abgeschafft. Die DEA-Story integriert sich in die transnationale Kampagne bezüglich der Parlamentswahlen vom 6. Dezember. Die Umfragen  einschlägiger, seit Jahr und Tag eklatant falsch liegender Institute lassen einen überwältigenden Sieg der Rechten erkennen – alles andere wäre Wahlbetrug.  Dies die in tausend Varianten wiederholte Lüge. Eine aufrechte demokratische Opposition in Venezuela bereitet sich darauf vor, den Wahlbetrug „energisch“ zu bekämpfen.  With a little help from their friends. 
Kleine Verwechslung von Philadelphia, USA, mit Venezuela.
Ende Oktober versicherte John Kelly, Chef des Southcom, also des gegen Lateinamerika gerichteten Südkommandos der US-Armee, er bete jeden Tag dafür, dass Venezuela wegen seiner enormen wirtschaftlichen Probleme nicht kollabiere. Im Falle einer dadurch bewirkten „humanitären Krise […]  könnten wir reagieren und täten dies via Organisationen wie die UNO, die OAS oder die FAO.“
Kelly, Maduro (Fotomontage). Maduro: Auch tausend Generäle Kelly versagen gegen Venezuela.

Die Wirtschaftskrise
Keine Sorge: Der Betbruder des Pentagons fällt nicht aus dem im US-Kongress oder unter den AnwärterInnen für die Präsidentschaft (bis zum „linken“ Bernie Sanders) üblichen Sprachrahmen heraus. Nun macht Venezuela tatsächlich eine Wirtschaftskrise durch, allerdings nicht primär wegen einer unbestreitbaren Korruption auch in hohen chavistischen Chargen oder weil es der Regierung schlicht an jenem minimalen wirtschaftlichen Sachverstand mangle, den jeder dahergelaufene Mainstreamjournalist doch aufweist. Mindestens so schwer ins Gewicht fällt etwa die Tatsache, dass es nicht so leicht ist, aus einer während langer Zeit auf die Interessen des transnationalen Kapitals zugeschnittenen Wirtschaftsordnung auszubrechen, oder das Detail des systematisch geschürten Wirtschaftskriegs gegen den Chavismus. Für letzteren steht das letzten Oktober von Parlamentspräsident Cabello veröffentlichte Telefongespräch zwischen Lorenzo Mendoza und Ricardo Hausmann. Mendoza ist ein venezolanischer Grosskapitalist und als Chef des Unternehmens Polar einer der Hauptbezüger billigster staatlicher Dollars für angegebene Importzwecke. Hausmann war Minister unter der venezolanischen  Rechtsregierung von Carlos Andrés Pérez, später Topkader in der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank, glühender Verfechter der Dollarisierung lateinamerikanischer Ökonomien und heute an der Kennedy School of Governance der Harvard-Universität. 
Hausmann informiert Mendoza in diesem Gespräch,  er stehe mit dem IWF-Vizechef für die westliche Hemisphäre in Sachen Venezuela in Kontakt. Dieser „ist wegen Venezuela sehr besorgt, denn er denkt, der Moment werde kommen, in dem sie sich einschalten müssen, denn die Situation ist sehr schlecht. Ich habe mit ihm und dem ganzen Fonds sehr gute Gespräche gehabt.“ Gespräche, die sich um eine künftige „Nothilfe“ des IWF in der Höhe von $ 40 - $ 50 Millionen, plus weitere $ 10 Millionen von der Weltbank drehen, zugunsten eines „Strukturanpassungsprogramms“. Wenige Tage später dementierte ein anonymer IWF-Sprecher, dass der Fonds mit Venezuela „Verhandlungen“ führe. Darüber hatten sich Hausmann und Mendoza auch nicht unterhalten; es ging um eine konspirative Absprache gegen die chqavisti8sche Regierung. Und weiter: Der in Washington einflussreiche Hausmann vertritt seit geraumer Zeit die These, die venezolanische Regierung solle sich zahlungsunfähig erklären und unter die Obhut des IWF stellen, der dann den weiteren Dollarfluss an die Importbourgeoisie, die das Land jetzt schon auszubluten versucht, garantiert. So sollen die wegen des tiefen Erdölpreises knapper gewordenen Petrodollars für die Bourgeoisie ergänzt werden.

Aus allen Rohren
Im stinkreichen Luzern wird das öffentliche Bildungswesen aus „Spargründen“ zusammengestrichen. In Venezuela ist nicht eine Schule geschlossen, nicht eine Klasse vergrössert, nicht eine/r Unterklassenjugendliche/r weniger an den Unis aufgenommen worden. Letztes Jahr baute der venezolanische Staat bei einem Ölpreis von $90 pro Fass weit über 100‘000 gute Sozialwohnungen, dieses Jahr werden es um die 400‘000 sein, wie Maduro auf die Hetze von der „humanitären Krise“ erwiderte.
So what?
Die Hetze gegen Venezuela als kollabierender failed state, als Zentrum des internationalen Drogenhandels, als Hort der Missachtung der Menschenrechte, als Diktatur wird zunehmen. Denn die kontinentweite imperialistische Offensive gegen den Wandel, für die Restauration der übelsten Herrschaftsverhältnisse muss auch und gerade in Venezuela Erfolge zeitigen. Deshalb wird die Rechte am 6. Dezember gewinnen oder es war Wahlbetrug! Dafür wird aus allen Rohren geschossen und die Stimmung für extrem aggressive Destabilisierungsstrategie aufgeheizt, falls am 6. 12. der Chavismus einmal mehr siegen sollte.