(zas, 25.5.15) Letzten Februar hatte das franquistische
Blatt „ABC“ mit einer Artikelserie
seines Washington-Korrespondenten schon mal Anlauf genommen und erkannt: Diosdado
Cabello, Präsident des venezolanischen Parlaments und ein Grande des Chavismus,
ist der Chef eines mit den kolumbianischen FARC kooperierenden militärischen
Drogenkartells in Venezuela. Als Beleg dienten Aussagen von Leamsy Salazar,
einem ehemaligen Leibwächter Cabellos. Salazar war kurz zuvor in die USA
geflüchtet und kooperiert dort mit der DEA und der Staatsanwaltschaft von New
York. Mit ihrem feinen Sensorium für
Machtwinke schlagen die transnationalen Medien die Story aber erst richtig seit
der Kampagnenouvertüre des „Wall Street Journal“ unter dem reisserischen Titel Venezuelan
Officials Suspected of Turning Country into
Global Cocaine Hub vom 18. Mai 2015 breit. Unter Berufung auf
anonyme Justizoffizielle und Bezichtigungen des genannten Salazars und der
ehemaligen Chefin der venezolanischen Drogenbehörde, Mildred Camero, wird
Venezuela unter Leitung von Cabello und anderen führenden Chavistas zum
entscheidenden Akteur (zusammen mit den FARC) des Kokainhandels. Am Fall
arbeiteten, so das WSJ, „eine
Eliteeinheit der DEA und BundesstaatsanwältInnen in New York und Miami“. Weiter
wusste das Blatt: Die sich verschärfende „Krise
[in Venezuela] hat es für die US-Behörden leichter gemacht, Informanten zu rekrutieren,
sagen die mit der Anwerbung von Menschen im Umkreis der venezolanischen
Offiziellen Beauftragten. Kolumbianische und venezolanische Drogenhändler [sind…]
darauf erpicht, Informationen über venezolanische Offizielle im Austausch für
Strafmilderung und Niederlassungsbewilligungen zugeben, sagten US-Offizielle.“
Und so gelangten die US-Behörden zu
ihrer Erkenntnis: „‘Es ist eine
kriminelle Organisation‘, sagte die Offizielle des Justizdepartements, sich auf
gewisse Mitglieder in den höheren Rängen der Regierung und Armee von Venezuela
beziehend.“
Schauen wir uns die „Infoquellen“ an. Ex-Bodyguard Leamsy
Salazar, der tatsächlich zuvor auch Bodyguard von Chávez gewesen war, wird
fälschlicherweise zum Ex-Chef der Sicherheitsgruppe von Diosdado Cabello erhöht,
um ihm so eine grössere Insideraura zuzuschreiben. Er war, so das Journal, „Zeuge, wie Mr. Cabello eine grosse Ladung
Kokain von der Halbinsel Paraguaná abschickte, wie mit dem Fall vertraute Leute
sagen“. Im Februar hatte „ABC“ geschrieben, Salazar „sah ihn [Cabello] direkte Befehle für den Start von mit Tonnen Kokain
beladenen Schiffen geben“. Das erinnert an andere „Beweise“: In den 80er
Jahren hatte Washington den Innenminister des sandinistischen Nicaraguas, Tomás
Borge, als Chef des Kokainhandels aus Nicaragua in die USA identifiziert. Auch
da gab es abgesprungene Geheimdienstler als Zeugen für solches tun und dann war
da noch die Foto vom Flugzeug auf dem Flughafen Managua, das die
Reagan-Administration (eigentlich zurecht, wie sich bald herausstellen sollte)
als zur Kokainhandelsflotte gehörend ausgewiesen hatte. Wenige Monate später,
im Oktober 1986, hatte nämlich die sandinistische Armee das Flugzeug abgeschossen
und seinen Piloten, den US-Amerikaner Eugene Hasenfus, gefangen genommen.
Hasenfus packte aus und machte damit die Enthüllungen zu Contra/Irangate unumgänglich.
Er war einer der vielen Piloten, die für den National Security Council der USA Kokain des kolumbianischen Kartells von Pablo
Escobar in die USA (vorzugsweise auf Militärflughäfen) und von dort Waffen für
die US-Söldnerorganisation der Contra nach Zentralamerika flogen.
Eugene Hasenfus nach seiner Gefangennahme. |
So wie damals
„Zeugen“ Borge beim inkriminierten Flugzeug (das einem CIA-Unternehmen gehörte)
auf dem Flughafen sahen, lässt sich Cabello heute von Leuten, denen er offenbar
nicht wirklich vertraut, bei krummen Touren begleiten (Salazar war von Cabello
aus seinem Sicherheitsdispositiv entfernt worden, worauf der Ex-Bodyguard in
die USA abhaute, s. Leamsy
Salazar, EE.UU. y ABC: los operaciones y los hechos).
„Venezuela hat eine
Regierung von Drogenhändlern und Geldwäschern“, zitiert das WSJ Mildred
Camero, die „die Drogenzarin von Mr.
Chávez gewesen war, bis sie 2005 abrupt entlassen wurde.“ (Aha, ticken wir,
die Frau war nicht korrupt.) Nun, 2005 war das Jahr, als Chávez die US-Drogenbehörde
DEA zum Land rauswarf. Es sei erlaubt, aus „Die Dealer von der DEA“ (Correos
150, August 2007) zu zitieren:
Im Juli 2005 kündete die Regierung von Hugo Chávez das
Kooperationsabkommen mit der US-Drogenbehörde DEA, die sich intensivst der
Spionage und der Unterstützung von Destabilisierungsaktionen gegen die
bolivarische Regierung hingegeben hatte. Am 7. Mai 2007 erklärte der Drogenzar
des Weissen Hauses, General John Walters, in Brüssel, dass Kokain speziell aus
Venezuela die Länder der EU überschwemme. Walters hätte vielleicht besser ein
bisschen weniger laut gepoltert, denn in Lateinamerika nehmen viele die Antwort
aus Venezuela wahr und verstehen sie:
Innenminister Pedro Carreño beschrieb
am Tag nach Walters Angriff die Arbeitsweise der DEA so: „Es war [vor
der Kündigung des Kooperationsabkommens mit der DEA] zu einer grossen Menge
von Drogenlieferungen unter dem Zeichen der kontrollierten Übergaben gekommen
und dies führte nicht zur Desartikulierung eines Kartells. Im Gegenteil, die
Drogenlieferungen liefen weiter. Wir konnten feststellen“,
erläuterte Carreño weiter, „dass wir es offensichtlich mit einem neuem
Kartell zu tun hatten, in dem die USA mit der DEA die Drogenlieferungen kontrollieren“.
Doña Mildred aber, bis 2005 Chefin der Behörde Conacuid, hatte
aufs Engste mit der DEA kooperiert. Nach ihrer Entlassung und nach dem Rauswurf
der DEA nahmen in Venezuela die Beschlagnahmungen von Kokain signifikant zu.
Offenbar doktert Washington auch an der „Affaire“ Walid
Makled herum, einem grossen venezolanischen Drogenhändler und Unternehmer, den die
kolumbianischen Behörden verhaftet und nach langem Zögern 2011 nach Venezuela
ausgeliefert hatten. Makled hatte in Kolumbien versucht, eine Auslieferung in
die USA statt nach Venezuela zu erreichen. Er würde dann über die Verwicklungen
hoher chavistischer Militärs in seine Drogendeals auspacken. Washington will
den Mann immer noch als „Zeugen“. Detail: Makled war von den chavistischen
Behörden verfolgt und ausgeschrieben worden. Es ist eigentlich erstaunlich, wie
cool hingenommen wird, dass die US-Behörden im Journal-Artikel offen zugegeben,
Drogenhändler für ihre „Kooperation“ gegen Venezuela mit Strafminderung zu
belohnen. Nun, man weiss halt, dass diese Leute in dieser Lage besonders
glaubwürdig sind.
Am 12. Februar 2015 gab der venezolanische Präsident Nicolás
Maduro die Vereitelung eines für diesen Tag geplanten, äusserst gewalttätigen
Putschversuchs bekannt. In der folgenden Zeit untermauerten die Behörden ihre
Informationen mit Aussagen von Verhafteten, Mitschnitten von Kommunikationen zwischen
PutschistInnen in Venezuela und in den USA u. a. m. Die Medieninternationale,
die bis zu diesem Zeitpunkt fast täglich so reisserische wie verlogene Artikel
zur „Misere“ im Land brachten, verstummten fast vollständig zu Venezuela. Die
Luft war draussen. Die ganze „Empörung über das Leiden des venezolanischen Volkes“,
das Mitfiebern bei jeder rechten Demo (stürzt die Diktatur?) – fast wie auf
einen Schlag weg. (Übrigens auch die rechten Demos des „Volkes“.) Auch als
Obama am 9. März 2015 in einem Präsidialdekret
Venezuela zur „ungewöhnlichen und
ausserordentlichen Bedrohung“ der USA erklärte, was die Schleusen für eine
gefährliche Eskalation der Massnahmen gegen das bolivarische Land öffnet, war
das der Medieninternationale kaum eine Erwähnung wert. (Noch weniger natürlich die
scharfe Reaktion aus ganz Lateinamerika und grossen Teilen der Welt ausserhalb
der „internationalen Gemeinschaft“. Das Dekret ist nicht vom Tisch, auch wenn
sich das Weisse Haus genötigt sah, es als reine „Format“-Angelegenheit zu banalisieren.)
Jetzt aber, mit dem Bericht des WSJ, der inhaltlich kaum
etwas Neues gegenüber schon lange zirkulierenden Desinformationen bringt, scheint
wieder „Venezuela“-Bewegung in die transnationale Medienbude zu kommen. Ein Zeichen,
dass die nächste Destabilisierungsoffensive angelaufen ist. Kein Zufall, hat
gestern der inhaftierte Putschist Leopoldo López in einem Handyvideo, in dem er
schon fast als Reinkarnation von Jesus Christus, dem Friedfertigen, auftritt,
für nächsten Samstag zu neuen Grossdemonstrationen gegen die Regierung
aufgerufen. Die Jagdsaison ist offenbar wieder eröffnet. Zur Verdeutlichung
nochmals eine Passage aus dem WSJ: „Die
Obama-Administration leitet oder koordiniert die Untersuchungen [gegen Cabello
u. a.] nicht, die von BundesstaatsanwältInnen mit grossem Spielraum geführt
werden. Aber falls die Untersuchungen zu öffentlichen Anklagen gegen Mr.
Cabello und andere führen, würde der dadurch verursachte Furor in Venezuela die
Beziehungen zwischen den beiden Ländern wahrscheinlich in ihre schlimmste Krise
seit der Amtsübernahme durch den verstorbenen Populisten Hugo Chávez vor 16
Jahren stürzen.“
Das ist eine Zielbeschreibung.
Das eingangs erwähnte Sensorium, mit dem die transnationalen
Medien ganze Spiegelkabinette der Denunziation aufziehen als versteckende
Nebelwände von konkreten Operationsplänen, ist tatsächlich beeindruckend.
Natürlich wissen sie nicht genau, worum es geht, wollen es auch nicht wissen.
Es reicht, dass sie fernbedienbar sind. Wer fernbedient, ist relativ klar.
Interessant wäre, genau zu wissen, wie die Kommandoübermittlung läuft. In
Sachen Venezuela etwa ist die Fernbedienbarkeit der Schweizer Medien simpel:
Wenn „New York Times“, „Washington Post“, WSJ u. ä. und gleichzeitig die grossen
Kapitalmedien Lateinamerikas wenig über Venezuela berichten, müssen sich auch
die CH-KorrespondentInnen nicht menschenrechtlich entsetzen. Kommt aus diesen „massgeblichen“
Quellen aber ein anderes Signal, sind sie wieder im Einsatz. Aber warum weiss
die einschlägige „Sensibilität“, dass das WSJ jetzt ein Startsignal gegeben
hat, während die ähnlich gelagerten, etwas trotzig kurz nach dem Scheitern des
Putsches im Februar veröffentlichte Hetze in „ABC“ keine wirklich grossen
Wellen geschlagen hat, trotz inhaltlicher Austauschbarkeit?
(Letztes Jahr
lancierten offiziell über 80 grosse Medien in Lateinamerika die Kampagne Todos somos Venezuela,
innerhalb derer sie einheitlich zu Venezuela berichten wollten.)
Auch das kolumbianische Blatt "El Tiempo" machte mit. |
„Gelegentlich müssen wir Ländern den Arm umdrehen, die nicht machen würden, was wir von ihnen brauchen, gäbe es nicht unsere vielfältigen ökonomischen oder diplomatischen, und in einigen Fällen, militärischen Hebel.“Obama Barack, 9. Februar 2015, The Vox Conversations