(zas, 1.7.16) Die Beerdigung heute von René
Díaz war bewegend. Es war für mich wie früher. Die Hauptkirche von Apopa, der 130‘000-Seelen-Vorstadt
von San Salvador, war voll, draussen hörten Gruppen die Rede und Gebete des
Pfarrers über Lautsprecher. Die Leiche des ermordeten Gemeinderatsmitglieds war
zuvor im Lokal des FMLN aufgebahrt gewesen, von dort brach der Trauer- und
Demonstrationszug über den Marktplatz zur Kirche auf, danach zum Friedhof.
Das Bewegende waren die Leute, ihre Blicke, die Begegnungen. Puro pueblo,
Unterklassen. Hier waren die Alten mit den faulen Zähnen, die billig
Gekleideten, die Jungen, die eher zu Rap als zu Predigten neigen, die
lokalen Kader der Partei und einige aus
der nationalen Leitung, kurz, die militancia, die AktivistInnen, des FMLN von
Apopa.
Die Erinnerung an die Kriegsjahre ist nicht
Zufall. In den wenigen Tagen hier habe ich das oft gehört: „Wir sind wieder im
Krieg“. Nur in einem anderen Krieg, als die Mainstreammedien zwischendurch
insinuieren und progressive Medien brav wiederholen. Es ist nicht ein Krieg
eines FMLN, der, früher Guerilla und heute Regierungspartei, sich nun nicht
scheut, auf die schmutzigen Methoden seiner einstigen Feinde zurückzugreifen,
um der sogenannten Maras, der früheren Strassenbanden und heutigen Operateure
eines mafiös-paramilitärischen Gewaltnetzes Herr zu werden. (Ein Beispiel für
solch desinformierte Kolportage brachte vor kurzem die WoZ). Es ist ein
Krieg, den Banden kapillar in viele Unterklassenzonen des Landes trugen, mit
einer enorm hohen Mordrate, eskalierenden Schutzgelderpressungen und
allgemeiner Terrorisierung der Leute. Ein Krieg, auf den der FMLN und seine
Regierung antworten. Ja, mit Polizei und SoldatInnen (unter dem Befehl der
zivilen Polizei), weil anders der bewaffnete Terror nicht zu brechen ist. Aber
auch mit vielen Präventionsprogrammen für gefährdete Jugendliche, mit
Resozialisierungschancen für Maramitglieder, mit gesellschaftlicher Vernetzung
vor Ort (von der Ladenbesitzerin über den Pfarrer und politische Gruppen zum
Sportbetrieb).
René Díaz war wiederholt von den Maras
bedroht worden. Vorgestern Nacht haben sie ihn nahe bei seinem Haus umgebracht.
Seit Samstag zirkulierten in Apopa Morddrohungen gegen Gemeindeangestellte und
–räte. Eine Antwort der organisierten Kriminalität in dieser Unterklassenstadt
auf die Verhaftung des Bürgermeisters Elías Hernández von der Rechtspartei
ARENA am 5. Juni. Zusammen mit ihm wurden 15 teils hochrangige
Gemeindefunktionäre und weiter eine Reihe von mutmasslichen Mara-Mitgliedern
verhaftet. Die Generalstaatsanwaltschaft beschuldigt
Hernández eines Mordes an einem sich nicht an seine Anweisungen haltenden
Mara-Mitglied und eines Deals
– Stimmen für seine Wahl zum Bürgermeister gegen Löhne und etwa
Benzingutscheine (für hunderttausende von Dollars, wie dieser Tage zu hören
ist). In Apopa ist die enge Zusammenarbeit ARENA/Maras schon seit langem evident.
Doch erst jetzt reagierte die Staatsanwaltschaft. Es gibt weitere Vorstädte mit
ähnlicher Charakteristik wie San Martín oder Ilopango, dessen Bürgermeister das
ominöse Geheimtreffen
zwischen Mara-Chefs und dem Vertrauten des damaligen ARENA-Präsidentschaftskandidaten
und Nr. 2 der Partei organisiert hatte, bei dem es um ein konkretes Abkommen über
Mara-Wahlhilfe für ARENA gegen finanzielle und andere Hilfen ging. Doch die
Staatsanwaltschaft zog es vor kurzem vor, „ausgeglichen“ eine medial ähnlich
gross hochgezogene Operation in der vom FMLN regierten Stadt Zacatecoluca zu
realisieren. Während der Generalstaatsanwalt zu Beginn eine parallele Situation
zu Apopa und insbesondere den Bürgermeister als Mara-verdächtig insinuierte, musste
er solches in der Zwischenzeit fallen lassen. Allerdings sind immerhin der Chef
der Gemeindepolizei und drei weitere Gemeindeangestellte beschuldigt, die
Mara-Erpressungsaktionen auf dem Markt aktiv unterstützt zu haben. Positiv ist,
dass diese Figuren aufgeflogen sind. Ob sich weitere Punkte finden, wird sich
zeigen. Aber es deutet fast alles daraufhin, dass es einen wesentlichen
Unterschied zwischen Apopa und Zacatecoluca gibt: In ersterer Stadt haben sich
die Leitungsbehörden dokumentierterweise als derart eng mit der
Gewaltkriminalität verknüpft, dass sie Mordbefehle in Auftrag und systematische
logistische Hilfe lieferten, während es sich in der Frente-Stadt offenbar um
einen Fall von Unterwanderung von Behörden gegen die dominierende Politik in
der Stadt handelt.
Es gibt sie noch, die mutigen Pfarrer im
Land. Während der grösste Teil der früheren Befreiungstheologen von Rang und
Standing, soweit sie noch leben, auf Lorbeeren vergangener Zeiten
ausruhen und diese oft zugunsten von Privilegien verkaufen, gibt es welche wie Germán Molina, Pfarrer der Kirche Santa Catarina, wo die Abdankungsfeier
für René Díaz stattfand. Er rief die Anwesenden -„eure Partei“ - dazu auf,
gegen die Mordkultur der Maras anzukämpfen, die Bevölkerung dazu, Zivilcourage statt
Angst zu zeigen und mit der Polizei zu kooperieren. Zum Mord an René Díaz sagte
er: „Ganz Apopa weiss, wer die Täter
sind. Wir alle wissen, wer die Täter sind“ (aus der Erinnerung zitiert). Und
weiter: „Sie sagten ihm, er solle die Fahne seiner Partei einholen, sonst
würden sie ihn töten … Und ich sagte dem Volk von Apopa, wenn morgen ein
Mitglied des Mehrparteiengemeinderats tot gefunden wird, dann weiss das Volk,
wer diesen Tod verantworten.“
Vorgestern stellte die Gemeinderegierung von
Apopa die Müllabfuhr ein, wegen Drohungen der Maras gegen die Müllarbeiter.
Gestern rief die Umweltministerin Linda Pohl wegen damit drohender Epidemiegefahr
den Notstand aus, heute sicherte die von Soldaten unterstützte Polizei die auch
vom Infrastrukturministerium mitgetragene Müllabfuhr.
Der amtierende Ersatzbürgermeister,
ebenfalls von ARENA, weiss derweil eigenbtlich von nichts. Die nationale ARENA-Führung hatte schon vor Wochen die Behörden aufgefordert,
mit dem „Medienzirkus“ aufzuhören und
die Gemeindeverwaltung „arbeiten“ zu lassen. Gegen die Infragestellung ihrer
Machtposition wehren sich die Gewaltkriminellen mit dem Mord an einem
FMLN-Gemeinderat und der versuchten Abfall-Terrorisierung der Bevölkerung –
bisher.