Kolumbien: Zu den Hintergründen der Mordwelle

Samstag, 28. Januar 2017



(zas, 27.1.17) rebelion.org veröffentlichte heute ein Interview mit Renán Vega Cantor. Darin geht der linke Historiker von der Universidad Pedagógica Nacional in Bogotá auf einen zentralen Hintergrund der Welle an Politmorden ein, die seit letztem anhält (s. Lasst uns nicht schweigen angesichts desGenozids!). Auszüge aus dem Interview:
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Ich glaube, dass [die Mordwelle] nicht nur im Ausland Besorgnis erregt, sondern bei allen Leuten, denn in Kolumbien erleben wir derzeit eine leider in unserem Land bekannte und wiederholt eingesetzte Praxis. Die Anschläge auf Engagierte und MenschenrechtsverteidigerInnen nehmen als Teil einer klar massenmörderischen Strategie wieder zu, die bezweckt, die Legalisierung einer aufständischen Gruppe obsolet zu machen. Es soll also der Übergang vom bewaffneten zum zivilen politischen Kampf ohne soziale Basis, ohne Führungskader, ohne eine Unterstützungsbasis erfolgen. Dies erreicht man, indem man Angst, Panik, wilde Fluchtwellen erzeugt. Vergessen wir nicht, dass dies in Landesregionen geschieht, wo die FARC historisch Einfluss gehabt haben; hier kommt es zu den Anschlägen und Morden. Beispielsweise in Cauca, Antioquia, Catatumbo, Zonen mit historischer aufständischer Präsenz. Hier haben wir diese Operation geplanter Morde. Das darf man nicht losgelöst von den Ereignissen im Land, von der Demobilisierung der FARC begreifen.
(….) In einem Moment, in dem die Demobilisierung der FARC möglich wird, geht es darum, sofort ihre mögliche soziale Unterstützungsbasis oder generell all jene Sektoren, die einen gewissen Organisationsgrad für den Kampf um Forderungen aufweisen können, anzugreifen. Das ist keine Übertreibung. Wir sprechen von vielen Toten, darunter jene der Marcha Patriótica, wir sprechen von einem Januar mit Morden an verschiedenen Orten des Landes wie in den Departementen Córdoba und Cauca. Dies ist eine Warnung vor dem, was in naher Zukunft mit den Demobilisierten geschehen kann. Ich glaube, das ist der schlimmste Schatten, der auf die früheren Guerillas wartet.
(….) Es ist mittlerweile kaum vorstellbar, dass die FARC als Gruppe auf ihren Entscheid, den bewaffneten Kampf aufzugeben, zurückkommen. In meinen Augen gilt es dieses entscheidende Moment zu unterstreichen: Wäre es nicht ihretwegen, würde der Krieg weitergehen, sowohl wegen des Ergebnisses des Referendums wie wegen der ganzen Politik des Lagers von Präsident Santos. Das Ende eines fundamentalen Teils des bewaffneten Konflikts verdankt sich nicht dem Entscheid der im Staat herrschenden Klassen, sondern dem Willen der FARC, die fast überall nachgegeben haben, um ihre Integration in das zivile Leben zu erreichen.
(….) Trotz aller Hindernisse haben die FARC ihren Entscheid, nicht zum bewaffneten Kampf zurückzukehren und sich als legale Bewegung, als politische Partei am politischen Kampf zu beteiligen,  ratifiziert. Sie ölen dafür die Mechanismen. Auf diesem Weg mussten sie feststellen, dass der kolumbianische Staat angefangen hat, viele Verpflichtungen zu missachten, wie beispielsweise die praktisch stillschweigende Übereinkunft, zur Befreiung der Kader in den US-Gefängnissen. Bis zum letzten Moment dachte man, Obama würde Simón Trinidad wie andere politische Gefangene begnadigen, aber - nein! Gestern und heute haben die FARC ihr diesbezügliches Missfallen ausgedrückt und erkannt, dass Santos nicht den kleinen Finger für diese Befreiung gerührt hat, was als sehr grosser Verrat seitens des Staates aufgefasst wird. Dies beleuchtet die Schwierigkeiten des aktuellen Zustands auf. Zudem müssen wir sehen, dass das Abkommen letztlich sehr beschränkt ist und praktisch keinen relevanten Punkt enthält, der die politische, soziale wirtschaftliche Struktur des Lands neu formulierte. Im Gegenteil haben wir eine mit Blick auf die Wahlen von 2018 massiv gestärkte extreme Rechte.