(zas, 13.7.18) In der letzten Zeit hat sich das
Kräfteverhältnis zugunsten des Regierungslagers verändert. Eine im Vergleich zu
früheren Mobilisierungen bescheidene nationale Demo der Rechten (25-30'000
Teilnehmende) gestern reflektiert dies. Heute beginnt wieder ein
«Landesstreik», an dem sich, wie am vorausgegangenen vom 14. Juni, keine
einzige Gewerkschaft beteiligt. Es handelte sich das letzte Mal um eine
Unternehmeraussperrung, die über ihre Unterstützung von Bevölkerungsteilen
hinaus durch das Angstregime der teilweise militarisierten Strassensperren
(tranques) unterstützt wurde. Die entscheidenden Klein- und Kleinstbetriebe
hatten sich nur teilweise und oft unter Zwang angeschlossen. Natürlich werden
die rechten Medien auch heute wieder von einem Erfolg des mutigen Volkes sprechen.
Doch sie haben voraussichtlich das Problem, das viele der tranques, die die Bewegung der Bevölkerung kontrollierten,
unterdessen geräumt wurden. Immerhin konnte die Rechte gestern kein
«orteguistisches Massaker» an friedlichen Demonstrierenden» inszenieren, was
ideales Futter für die parallele Nicaragua-Tagung der OAS gewesen wäre. Deren
Menschenrechtskommission CIDH hatte gestern dort ihren «Untersuchungsbericht»
zur Repressionspolitik der Regierung präsentiert.
Allerdings kam es gestern nach ersten Berichten zu einem
üblen Vorfall in Morrito im südlichen Departement Río San Juan. Aus einer
Oppositionsdemo hinaus erfolgte nach einer Mitteilung
der Polizei ein schwerer Beschuss der Polizeistation. Dabei kamen vier
Polizisten um. Parallel kam es zum Versuch, das Bürgermeisteramt zu stürmen.
Dabei kam ein Lehrer ums Leben und fünf Gemeindeangestellte wurden schwer verletzt.
Neun Polizisten wurden als Geiseln zum nahegelegenen tranque von Lóvago verbracht. Laut einer Mitteilung aus
FSLN-Kreisen wurde die mehrstündige Operation vom Ex-Armeeoberst Bosco Centeno geleitet,
dem Departementschef der US-nahen Politgruppierung MRS. Die tranques dieser Gegend werden vom
sogenannten Movimiento Campesino von
Chica Ramírez und Medardo Mairena (MRS bzw. PLC) geleitet, einem der Chouchoux
der internationalen NGO-Gemeinschaft. Natürlich verbreiten die rechten Medien
eine andere Version:
Die Bullen hatten die friedliche Demo angegriffen, danach waren sie tot.
Heute früh. Abschied von den vier ermordeten Polizisten in Morrito.
Dieses Vorkommnis dient nicht der Legitimierung weiterer
US-Sanktionen und Emeuten der OAS. Die CIDH wird sagen, das Vorgefallene sei
unfein, aber normale Kriminalität, die von der parteiischen Justiz des Landes
aber nicht autonom untersucht werden dürfe. Die Ermordeten werden in der
nächsten Statistik der einschlägigen «Menschenrechtsorganisationen», deren
Statements die CIDH oder Amnesty International übernehmen, die Zahl von Ortegas
Massakeropfern erhöhen.
Was hat sich geändert? Schon im Mai, erst recht aber im Juni
wurde eine Reihe zuvor relevanter Kräfte im Antiregierungslager marginalisiert,
insbesondere die studentischen Strömungen. Einzelne ihrer realen oder angeblichen
VertreterInnen dürfen zwar noch im Rahmen der Oppositionsallianz in dem von den
Bischöfen «vermittelten» Verhandlungsprozess mit der Regierung (dem «Nationalen
Dialog») den Mund auftun, das Geschehen bestimmen aber andere Kräfte. Bis auf
einen Grossanlass an seinem Ende gab es im Monat Juni keine Oppositionsdemo.
Das hatte auch, aber nicht nur, mit der Angst nach den Schiessereien und Toten der
sog. «Mutter aller Demonstrationen» vom 30. Mai zu tun, an deren Ende teils bewaffnete
Kräfte der Rechten zum Angriff auf Heimkehrende von einer sandinistischen
Gegenmobilisierung übergingen (s. Mail
aus La Trinidad. Anmerkungen zum Operieren des Klerus). Heute geben einzelne
VertreterInnen der Oppositionskräfte diesen Sachverhalt mit Formulierungen wie
«die von Ortega manipulierten Leute hätten geglaubt, sie würden angegriffen» auch
schon mal indirekt zu. Vieles ist für uns hier naturgemäss unklar, zu sehr
verbreiten beide Seiten Propaganda, doch die imperiumsweit verbreitete Version
vom Massaker durch sandinistische Heckenschützen am 30. Mai ist eindeutig
falsch.
Zwei grosse Kundgebungen der Opposition waren zuvor in Ruhe
verlaufen, aber nach dem 30. Mai würde die Angst vor Mord und Gewalt eine neue
Eskalation legitimieren. Hatte es mancherorts Barrikaden – tranques - gegeben, als Selbstschutz städtischer Nachbarschaften vor
herumballernden Kräften egal welcher (aber oft mit der Polizei assoziierter) Seite
gegeben, fungierten nun zentrale tranques als eigentliche bewaffnete
Stützpunkte. Damit wurde ein Regime der Angst etabliert, auch wenn dies von den
«Menschenrechtsorganisationen» im Land (Cenidh, ANPDH, CPDH) und im Ausland
(Menschenrechtskommission CIDH der OAS, Amnesty, Human Rights Watch) ignoriert
oder unter «ferner liefen» entsorgt wird. Des Sandinismus Verdächtigte wurden
hier gefangen genommen, vor Ort misshandelt oder verschleppt, und sogar, wie
heute Zeugnisse belegen, in Jinotepe und Diriamba auch in katholischen Kirche gefoltert.
Andere tauchten wieder als Leichen in Abfallhalden auf.
Während die Rechte und ihre «linke» Bündnispartner im Land
(sog. dissidente Sandinistas wie Mónica Baltodano, Julio López, Henry Ruiz oder
Óscar René Vargas) auf ihrer Seite strikt nur friedlichen zivilen Ungehorsam
sehen, der von orteguistischen Paramilitärs massakriert wird, untermauern viele
Videos, Zeugnisse, Telefonmitschnitte, Geständnisse u. a. eine bestimmende
Präsenz von kriminellen Strukturen (Strassenbanden, Narcos) an diesen tranques. Viele Aussagen, auch von Beteiligten,
lassen zudem eine wichtige Koordinationsfunktion des MRS (Movimiento de
Renovación Sandinista), einer FSLN-Abspaltung der 90er Jahre, in diesem Bereich
erkennen. (Bei einzelnen MRS-Exponenten wie dem ehemaligen Aussenminister Víctor
Hugo Tinoco fällt es schwer, sich solche Connections vorzustellen. Aber so wie
einem der familiäre Klüngel um das Präsidialpaar Ortega/Murillo die Sprache
verschlägt, ist auch die Psyche ehemaliger sandinistischer Führungsfiguren - verletzter
Stolz, hasserfüllte Verbitterung, Machtgeilheit - einzubeziehen.) Dass
kriminelle «Lumpenproletarier» an vorderster tranque-Front beteiligt sind, zeigt übrigens auch ihre gut
dokumentierte Praxis, PassantInnen auszunehmen. Die manchmal an den Tag gelegte
Brutalität verweist zudem auf entfesselte Männerbanden. Gegen die Propaganda
dieser zentralen tranques als Hort
mutiger Gewaltfreiheit, wie sie gerade wieder ein führender Ideologe des
«linken» Regime-Change-Flügels, Julio
López, zeichnet, soll das
folgende Video vom «Edelmut» an einem tranque
in Masaya dienen. Gegen eine solche Darstellung von sandinistischer Gewalt
gegen friedlichen Volksaufstand sind Bilder manchmal stärker als Worte. Deshalb reproduzieren wir hier eines von
vielen Videos, die wir normalerweise nicht zeigen würden.
Die Szene ist der tranque
beim Colegio San José in der Stadt Jinotepe, der Geschlagene ist Sohn der
Sandinistin Carmen Rosales, der Hauptschläger der Kantinenbesitzer Rodolfo
Antonio Miranda alias El Popo. Den Jungen haben sie danach mit Rohren
bewusstlos geschlagen. Er durfte überleben.
Am gleichen tranque
ist Anfang Juli ein Angestellter der Gemeindeverwaltung von El Rosario gefangen
genommen und gefoltert worden. Danach warfen sie den vermeintlich Toten, der
aber überlebt hat, von einer Brücke herunter. Nicht untypisch für Maras, scheint
das «66» auf dem Kopf des Gemarterten auch auf satanistische Täter hinzuweisen.
In diesen Tagen intensivierter Operationen zur Räumung von tranques sind auch ausländische
Mara-Mitglieder verhaftet worden. Das gilt als Indiz für ein internationales Söldnerwesen
in Teilen dieser Banden. Allerdings herrscht über die Anzahl solcher Verhaftungen
Unklarheit.
«Paramilitärs» -
gegen Terror
Zu den Räumungen von Jinotega im Norden über La Trinidad,
Managua, Masaya oder León bis in den Süden: Die rechten Nicamedien, «linke»
Regierungsfeinde, der OAS-Generalsekretär, die Menschenrechtsorganisation CIDH
dieses Staatenbundes, das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte und logo der
transnationale Medienmainstream sind sich einig in der Verurteilung der dabei
verübten «Massaker» durch Polizei und «Paramilitärs». Tatsächlich sind zivile
sandinistische Bewaffnete dabei aktiv. Es zirkulieren in den rechten Social
Media Angaben über von ihnen verursachte Einschüchterungen der
Bevölkerung. Sie sollen zusammen mit der
Polizei für die Verbrennung Mitte Juni von 6 Mitgliedern einer Familie in
Managua verantwortlich sein, die sich geweigert hätten, ihr Haus der Polizei für
Scharfschützen zur Verfügung zu stellen. Dies sagt eine Zwei der drei angeblichen
Brandüberlebenden bezeugen diesen Sachverhalt. Allerdings gibt es an ihren
Aussagen auch Zweifel, abgesehen davon, dass in rechten Kreisen «Vermummte» -
davon sprachen die Beiden – ohnehin regelmässig mit Polizei gleichgesetzt
werden, trotz täglichen rechten Vermummungsszenen. Die Aussagen enthalten mehrere
Unklarheiten – warum konnten sie sich über den Balkon retten und den Sprung in
die Tiefe ohne Kratzer überstehen, aber nicht so die Umgekommenen? Warum
konnten sie nicht mindestens ein Baby und ein Kleinkind retten? Man habe nicht
aus dem Haus flüchten können, weil die Polizei auf Fluchtwillige geschossen
habe. Warum dann nicht auf sie? Die staatliche Feuerwehr gab bekannt, mit
Schüssen am Löschen gehindert worden zu sein. Stimme nicht, so die Rechten: Die
«Staatlichen» seien gar nicht gekommen, eine private Feuerwehr habe unbehindert
löschen können. Laut den Behörden wurde aber auf die staatliche Feuerwehr
geschossen, auf die später anrückende private nicht. Es gibt viele solcher
verwirrenden Aussagen und Gegenaussagen. Ein offizielles Untersuchungsergebnis,
zu erarbeiten vermutlich zusammen mit der internationalen ExpertInnengruppe der
CIDH, liegt noch nicht vor. Was allerdings feststeht: Die fragliche Gegend im
Osten Managuas war damals fest unter Kontrolle des Amalgams Banden/bewaffnete
Rechte. Diesen Vorfall nahm «die Bewegung» unter Beifall der rechten Medien zum
Vorwand, um den ein paar Stunden zuvor unterzeichneten Dialogpunkt der
Aufhebung der tranques für obsolet zu
erklären.
Auf beiden Seiten agieren zivile, aber bewaffnete
Strukturen. Nachdem die Regierung tatsächlich auf Drängen der CIDH die Polizei
von allen Ordnungsaufgaben (Repression) fernhielt, kam, was kommen musste: Ob
in politischem Auftrag oder schlicht «automatisch», die Banden dehnten
Geschäfte und Herrschaft massiv aus. Am gleichen Tag wie der o. e. Brand wurde
in einem anderen Quartier Francisco Araúz Pineda, Sohn einer legendären Sandinistin,
beim Abräumen einer Barrikade erschossen. Ein makabres Video zeigt, wie
Vermummte, vermutlich auf Crack oder Ähnlichem, die Leiche mit Benzin
übergiessen, in Brand setzen und danach unter höhnischem Applaus ein
Champagnerglas in die verkohlte Hand drücken. «Das hast du dir verdient», wiederholten sie mehrmals. Solche
schockierenden Brutalitäten sind klar mit ungehemmter männlicher
Bandenkriminalität verbunden. Offenbar ist es an tranques der «harten Art» auch wiederholt zu Vergewaltigungen
gekommen. Solche Elemente erinnern an Venezuela letztes Jahr, wo das Gemisch
Banden/Faschos eine klare Sympathieeinbusse bewirkte.
Aber warum setzt die Regierung nicht einfach nur Polizei
ein? Vermutlich tatsächlich, weil diese, wie FSLN-Auslandschef Jacinto Suárez sagte,
der Lage keineswegs mehr Herr würde. Vor einigen Tagen etwa wurde nachts in
Matagalpa das Haus einer sandinistischen Familie von Bewaffneten angegriffen,
die auch einen Bagger einsetzten, um das Haus zu schleifen – mit den Leuten
drin. Wären nicht Sandinistas vor Ort organisiert gewesen, wäre die Familie
jetzt tot. So aber konnten sie rasch eingreifen, es gab je einen Toten auf
beiden Seiten – den Baggerfahrer und einen betagten Ex-Kämpfer des FSLN.
In den letzten Wochen sind viele tranques geräumt worden, letzten Sonntag auch jene von Jinotepe und
Diriamba im Departement Carazo, Orte vieler Horrorszenen. Die Rechte und ihre
internationalen Protektoren reden von Massakern und lassen unüberprüfte Zahlen
von 24 dabei Umgekommenen zirkulieren. Sie malen das Bild einer seither
herrschenden Willkürherrschaft in diesen Orten. Auch ein Bekannter einer
Soligruppe in der Schweiz hat sich telefonisch in diese Richtung geäussert. Was
klar ist: Ein Teil der Toten waren Polizisten und Sandinistas. Und vorallem: Eine
solche Barrikadenräumung ist kein «Ordnungseinsatz», durchgesetzt mit Tränengas
und Wasserwerfer. Es handelt sich um Gefechtssituationen. Aus Diriamba
zirkulierten Mitschnitte von Telefonaten und Whatsapp-Mitteilungen von tranque-Leuten, die sich über ihre
tollen Waffen und militärischen Vorbereitungen austauschten.
Die Kirche – die Folterstätte
Wie zuvor auch an anderen Orten, haben zumindest Teile der
Bevölkerung von Jinotepe und Diriamba die Barrikadenräumung als Befreiung
erlebt. An beiden Orten gab es anschliessend Kundgebungen gegen die lokalen
Pfarrer, wegen ihrer Mittäterschaft an den tranques
und weil sie ihre Kirchen als Waffenlager und in Jinotepe den Kirchenturm offenbar
auch für Scharfschützen zur Verfügung gestellt haben. Und wie schon zuvor (s. Mail
aus La Trinidad. Anmerkungen zum Operieren des Klerus) reiste eine
bischöfliche Delegation unter Führung des Kardinals Brenes und des Weihbischofs
und Rechtsextremisten Báez an, als Schutz vor den «orteguistischen Horden», um Gefangene
frei zu erpressen und belastendes Material mitzunehmen. Tatsächlich kam es in
beiden Städten nicht nur zu Freudenkundgebungen nach der Zerschlagung der
Barrikaden, sondern auch zu Mobilisierungen vor den Kirchen, wohin einige der
Täter geflüchtet waren. Die Bischöfe wurden standesgemäss mit Sprechchören wie
«Pharisäer» oder «Mörder» bedacht, es kam zu erschütternden Szenen in der
Kirche von Jinotepe, wie im folgenden Video aus Jinotepe zu sehen ist. Die
Frau, immer noch verzweifelt, schreit u. a., dass sie als Diabetikerin während
zwei Monaten keine Medikamente besorgen konnte, aus Angst vor Gefangennahme;
dass der «Padre» in der Kirche gefoltert habe; dass sie dort den Leuten Stecken
in den Arsch getrieben, ihre Füsse zu Brei geschlagen und sie ausgezogen haben;
eine «arme Frau» wurde vergewaltigt, «bis es ihnen langweilig wurde» (in
einem anderen Video berichtet sie, dass deren Mann ermordet wurde). Danach
kommt ein Mitglied der Klerusdelegation zu Wort, der sagt, die Kirche hätte
bloss auf Einladung der (kirchennahen) «Menschenrechtsorganisation» ANPDH
vermittelt; zum Schluss bezeugt ein Junge, dass er während dreier Tage vom
Padre gefoltert worden ist. Videos von diesen Zeugnissen und Mobilisierungen
zirkulieren viele: Die Rechte inkl. ihre «linken» PartnerInnen sehen aber bloss
einen Angriff auf die Kirche – tatsächlich war es in Diriamba zu einem kurzen,
von der Polizei sofort beruhigten Handgemenge gekommen. Der bischöfliche
Faschist Báez hatte eine Frau geohrfeigt und erhielt darauf einen Kratzer am
Unterarm. Hintergrund: Die zornigen und immer noch vom Terror der vergangenen zwei
Monate geprägten Leute sind, als die Hochwürden aus Managua eintrafen, in die fraglichen
Kirchen in Diriamba und Jinotepe eingedrungen, haben dort Waffenlager entdeckt,
Arzneien und Pflegematerial, die von Plünderungen in öffentlichen Spitälern stammen.
Die vielen Videos vom psychischen Aufstand gegen die Geistlichen, von den von
Schmerz gezeichneten wiederholten Fragen «Warum seid ihr nicht früher gekommen?»,
von der Klage, dass die Kinder während zwei Monaten nicht in die Schule durften
– über all das wissen die rechten Medien und «linke « ExponentInnen des Regime-Change-Lagers
wie die Ex-Comandante Mónica Baltodano kein Wort zu verlieren.
Im folgenden Video sehen wir, wie die als fascistas «begrüssten» Kleriker und «Menschenrechtler»
am 9. Juli wieder aus Diriamba abziehen. Jemand steckt dem Leiter der ANPDH,
der unter besonderem Schutz der CIDH steht, verstohlen etwas zu, das dieser
ebenso verstohlen dem berüchtigten Pfarrer und Báez-Intimus Edwin Morán von
Masaya weitergibt. Ganz im Geist erhabener Unparteilichkeit.
Teil eines Waffenlagers in der Folterkirche von Diriamba |
Wirtschaftssabotage
Übrigens: Rund 400 in Jinotepe während über einem Monat als
«Schutzschilder» festgehaltene Fernfahrer aus den umliegenden Nachbarländer
konnten nach der Barrikadenräumung glücklich nach Hause kehren. Anfang Juli
intervenierten die zentralamerikanischen Botschafter im Land bei der Regierung
für die Befreiung der Leute. Letzten Monat musste sich auch eine Delegation von
CIDH und Klerus die Klagen der Fernfahrer anhören, getan hatte sich danach
nichts. So liess sich der Handel im armen Land bestens unterbinden.
Ein wichtiger und beabsichtigter Aspekt dieser tranques ist die katastrophale
Wirtschaftslähmung. Nach offiziellen Angaben sind seit April 85'000
Arbeitsplätze (z. B. im Tourismus) verloren gegangen (der Zentralbankchef
sprach kürzlich gar von 200'000 verloren Stellen); an staatlichen Gebäuden und
Einrichtungen inkl. zerstörter Schulen und Ambulanzen sind Schäden in dreistelliger
Millionenhöhe entstanden; die Zentralbank geht nun von einem Nullwachstum der
Wirtschaft statt des prognostizierten Wachstums von 4.5 % aus. Was das für die
Zukunft des Landes bedeutet, ist im Moment nicht abschätzbar, ausser dass es
auf jeden Fall gravierend sein wird.
Opferzahlen
Noch ein Wort zu den Opferzahlen der
«Menschenrechtsorganisationen». Dass da geschummelt wurde, machten Beispiele
von als ermordet gemeldeten Lebenden oder als Opfer der Diktatur vermeldeten
Menschen, die an Krankheiten zuhause gestoben sind, schon seit längerem klar. Besonders
aber der Umstand, dass auch sandinistische Opfer und ermordete PolizistInnen
zum Teil zwar im Einzelfall als solche registriert, aber in der Zusammenfassung
als Opfer des «Orteguismus» gehandelt werden. Nicht überraschend hat auch die
Regierung zur Ungewissheit beigetragen, als sie im April der CIDH eine Liste
von Verstorbenen überreichte, die nach Angaben
des Chefs der Parlamentskommission für internationale Angelegenheiten, Jacinto
Suárez, schlicht in der ungeprüften Zusammenstellung von Polizeiangaben und
Berichten der rechten «Menschenrechtsorganisationen» bestand. Eine Untersuchung
der Opferstatistiken der nationalen Organisationen CENIDH und ANPDH sowie der
CIDH (die weitgehend die Angaben des CENIDH übernimmt) durch Enrique Hendrix
vom 8. Juli scheint aber zu belegen, dass von den darin Aufgeführten rund die
Hälfte dem sandinistischen Lager zugerechnet werden müssen. Zuvor sind
Doppelzählungen, Fälle, zu denen es so gut wie keine Angaben gab (Ort der
Ermordung, Datum, Umstände) und Tote, die anscheinend nicht in die
Auseinandersetzung involviert waren (v. a. PassantInnen), herausgefiltert
worden. Natürlich ist es von hier aus unmöglich, die einzelnen Angaben zu
überprüfen, doch insgesamt erweckt die von Hendrix im Netz detailliert
dokumentierte Vorgehensweise einen viel professionelleren Eindruck als jene der
CIDH etc.
OJO: Auch falls sich die Angaben von Hendrix weitgehend
bestätigen sollten, würde dies das Regierungslager nicht vom hartnäckigen
Verdacht befreien, in der ersten Phase der Proteste gemordet zu haben. Dazu
bräuchte es klar mehr als Durchforstung statistischer Angaben. Wir warten noch
immer, jetzt auf die o. e. Untersuchung der Staatsanwaltschaft und der
Forensiker der CIDH.
Die «Linke»
Ein Letztes noch: Fast täglich erhalten wir Nachrichten von
«oppositioneller» Brutalität. Doch auch im linken Mainstream geht das unter.
Beispiele: In der progressiven Westschweizer Tageszeitung Le Courrier kam vor
einer Woche ein «revolutionäres» Editorial eines offensichtlich nicht von
grosser Sachkenntnis geplagten Journalisten, der in linkes Vokabular kleidete,
was ansonsten die rechtsextremen Medien in Nicaragua verbraten. Vielleicht
beeinflusst vom Schweizer NGO-Besuch von Mónica López Baltodano, die während
Jahren als Anwältin des o. e. Movimiento
Campesino gegen den Kanalbau tätig gewesen war. Zuvor hatte eine Reihe von
in der Plattform Zentralamerika zusammengeschlossenen Schweizer Hilfswerken
Bundesrat Cassis aufgefordert, sich für die Durchsetzung der CIDH-Forderungen
in Nicaragua stark zu machen. Der gleiche Cassis übrigens, der jetzt die
DEZA-Aktivitäten in Lateinamerika beenden will, im Einklang mit der
extremistischen «Mitte» im Nationalrat. Grund: Entwicklungshilfe, wie sie das
nennen, nur noch für die Verhinderung von Einwanderung aus jenen Ländern, aus
denen die meisten Menschen in die Schweiz flüchten. (Und die Ausschaffung übers
Mittelmeer ist beträchtlich billiger als nach Lateinamerika.) In Deutschland
«informieren» Gruppen wie der Nicaragua-Verein Hamburg, indem sie sich auf die bekanntlich
stets ehrlichen Angaben der rechtsextremen Medien in Nicaragua abstützen. Das
ist verkommen.
Leider haben sie als Beispiele die erwähnten
«sandinistischen LinksdissidentInnen». Unabhängig von ihrem historischen
Verdiensten, was ist von «Linken» zu halten, die noch heute nicht im Stand
sind, auch nur ein Wort über die Gewalt des Lagers, zu dem sie sich zählen, zu
verlieren; die die Ermordung von ihnen persönlich bekannten Sandinistas
öffentlich nie erwähnen; die dem Grossunternehmerverband vorwerfen, mit Ortega
geklüngelt zu haben, und ihn auffordern, sich jetzt auf die Seite des Volkes zu
stellen; die die ganze dokumentierte und ihnen sehr wohl bekannte US-Finanzierung
von tragenden Kräften der Oppositionsallianz schlicht ausklammern, die in den schlimmsten Hetzmedien ihre "revolutionäre" Botschaft gegen die "Ortega-Diktatur" propagieren etc. pp.? Das
reflektiert ein Mass der Unredlichkeit, der Verbissenheit, der Bereitschaft zu
Schonungslosigkeit, meinetwegen auch eine kognitive Verzweiflung, die ihre
sonstigen Aussagen über eine prokapitalistische Appeasementpolitik von Ortega
etc. entwerten und vorallem ihre Glaubwürdigkeit, in den Widersprüchen eine
linke Perspektive zu erkämpfen.
Wir wissen, dass sich im Land seit langem Unmut über die
Verhältnisse angesammelt hat; dass die riesige Bewegung, die sich noch bis Ende
Mai auf den Strassen manifestierte, weit über das klassische rechte Lager
hinausgeht; dass zu Beginn auch Menschen auf den Strassen rebellierten, denen
wir uns nahe fühlen. Und sollte die derzeitige relative Stärkung des FSLN
anhalten, wäre sie dennoch nur vorübergehend, wenn der Frente nicht grosse
Schritte hin zu vielen Protestierenden und zur eigenen Erneuerung macht. Ob er
diese Stärke hat, wird sich zeigen. Daniel Ortega und Rosario Murillo sind
dafür jedoch klar die Falschen. Wir hoffe innig, dass der Basissandinismus die
Kraft haben wird, diese Schritte mit Unterstützung ehrlicher Leitungskader durchzusetzen.