El Salvador: Politmorde wie früher...

Mittwoch, 3. Februar 2021

 

(zas, 3.2.21) Die Ermordung von zwei und die Verletzung von sicher zwei weiteren FMLN-Mitgliedern intensiviert in El Salvador die ernste Sorge Vieler vor einer Entwicklung hin zu neu-alten diktatorischen Bedingungen und der Ahnung eines vielleicht langsam anlaufenden neuen Kriegs. Angesichts der grassierenden Gewalt der «Kriminalität» mit ihrer beelendenden Zahl von Ermordeten scheint diese Aussage überrissen, quasi Ausdruck der Arroganz des Politischen gegenüber dem Leiden der «gewöhnlichen» Leute, leider aber reflektiert sie die gesellschaftliche Dynamik.

Was ist geschehen? Am Sonntagabend fand eine Kundgebung mit dem FMLN-Kandidaten für das Bürgermeisteramt in San Salvador, Rogelio Canales, statt (Ende Monat finden Gemeinde- und Parlamentswahlen statt). Danach fuhr eine Gruppe von vielleicht 20 Frente-AktivistInnen in einer mit den Parteifahnen geschmückten Camioneta zum FMLN-Lokal im Stadtzentrum. Kurz vor dem Ziel stoppte ein PKW den Kleinlaster, drei Männer stiegen aus und einer schoss mit einer Pistole auf die Compas. Danach verschwanden sie wieder. Die Compas fuhren mit vier oder fünf Verletzten sofort zum Spital Rosales, unterwegs oder gleich nach Ankunft erlagen aber Gloria Rogel de López und Juan de Dios Tejada, ein Ex-Guerillero, ihren Verletzungen. Ein Verletzter ist offenbar in einem kritischem Zustand.

 

Seit dem Krieg hat es schlicht kein vergleichbares Ereignis gegeben. Dieses fällt allerdings nicht vom Himmel. So hatte Präsident Nayib Bukele letzten Dezember ausgerechnet in El Mozote, dem Ort, an dem gerade zuvor in den USA trainierte Eliteeinheiten der Armee rund 1000 Menschen massakrierten, die Mehrzahl von ihnen Kinder, gegeifert: «Der Krieg war eine Farce. Ebenso wie die Friedensabkommen» von 1992. Denn die beiden Schurkenparteien – Guerilla und Regime – hätten ihre naive Basis im abgekarteten Bereicherungspoker verheizt. Der Präsident bringt so auf den Punkt, was von diversen rechten Kräften seit langem anvisiert wird: die Abschaffung der mit den Abkommen in Kraft getretenen - unzureichenden, aber unersetzlichen – Verbesserungen. Dazu gehörte insbesondere auch eine relative Entmilitarisierung des politischen Lebens. Seit Bukele am 9. Februar letzten Jahres an der Spitze von Armeeeinheiten das Parlamentsgebäude besetzt hatte, gibt es keine Zweifel mehr an der Orientierung «Abschaffung der Friedensabkommen». Drastisch unterstrichen hat das der Einsatz der Armee zur Durchsetzung der monatelangen Ausgangsperre während der ersten Pandemiewelle. Ins Bild passen etwa auch die jüngste Forderung des Armeeministers Merino nach einer politischen Rolle der Streitkräfte oder die Absicht von Félix Ulloa, Vizestaatspräsident und Chef einer von Bukele ernannten Kommission für Verfassungsänderungen, die allgemeine «Wehrpflicht» als «natürliche Sache» in Demokratien wiedereinzuführen (die Schweiz dabei als Vorbild ehrend). Zu dieser Natur gehört auch die zunehmend offensiv praktizierte Straflosigkeit für den Repressionsapparat und generell für das Bukele-Lager, vom Präsidenten runter (s. frühere Blogbeiträge zu El Salvador).

 

Nach den Todesschwadronen - hin zu den Todesschwadronen?

Die Morde von letztem Sonntag sind an sich schon bestürzend und traurig. Unerträglich aber die Antwort Bukeles. Ungefähr eine Stunde nach den Schüssen teilte der Mann per Twitter mit, was Sache sei: «Offenbar setzen die todkranken Parteien ihren letzten Plan um. Welche Verzweiflung, um nicht ihre Privilegien zu verlieren. Ich dachte, sie könnten nicht mehr tiefer fallen, aber sie taten es. Unglaublich, wie wenig ihnen menschliches Leben wert ist. Unser höchstes Gut in dieser Welt. Diese Regierung hat gekämpft, um das Leben zu verteidigen, aber es gibt welche, die sich an die Todesvergangenheit klammern. Unser Volk will nicht mehr leiden.“

Salvador Samayoa war für den Frente in den Friedensverhandlungen engagiert. Nach dem Krieg setzte er sich vom FMLN ab und wurde Sicherheits-, also Repressionsberater der rechten ARENA-Regierungen. Wie tief das Entsetzen über die aktuelle Dynamik auch in seinen Kreisen ist, lassen uns seine am Montag publizierten Zeilen erahnen:

«Die Ermordung von zwei FMLN-Mitgliedern in San Salvador ist ohne Zweifel das schwerwiegendste Ereignis politischer Gewalt der letzten 30 Jahre. Dies aus mehreren Gründen, insbesondere aber, weil es von Killern im Dienst eines hohen Regierungsfunktionärs verübt wurde, gegen mit ihrer Parteifahne gekennzeichnete Personen. Es stellt deshalb ein typisches Verbrechen des Hasses und der Verachtung einer anderen gesellschaftlichen Gruppe dar.

Dass die Mörder annahmen, eine Mordlizenz zu haben und sich straffrei wähnten, verschärft nur die politische Bedeutung des mörderischen Vorfalls, denn es zeigt oder bestätigt eine Situation extremer Arroganz in den Machtzirkeln, bei ihren prominentesten Figuren, ihren Gendarmen und ihren Fanatikern, von denen es nur so wimmelt.

Dass der Präsident derart unverantwortlich reagierte und insinuierte, es handle sich um ein verzweifeltes Manöver der Opposition, so wie es die Streitkräfte [1989] getan hatten, als sie den FMLN der Ermordung der Jesuiten beschuldigten, erinnert nur an das Vorgehen der Vergangenheit, den Weg der Verschleierung und der Absegnung der Mörder von höchster Machtstelle aus. (…) Die Schüsse auf die FMLN-Karawane sind das logische Ergebnis der täglichen Beleidigungen und Drohungen des Präsidenten und mehrerer Minister und der Tiraden in den die Regierungspartei unterstützenden Social Media, voller Feuer der Intoleranz und des Hasses auf Oppositionelle. Was ist von seinen Leuten zu erwarten, wenn der Präsident davon redet, alle Politiker zu verbrennen, wie er das letztes Jahr bei der Gouverneursversammlung der Interamerikanischen Entwicklungsbank getan hat?

In einem ähnlichen Klima des Hasses auf Oppositionelle waren die Todesschwadronen entstanden und gewachsen … und die Comandos Urbanos [der Guerilla], denn die Machthabenden können nicht erwarten, dass die anderen ihre Verletzungen artig hinnehmen.»

Óscar Ortiz, Generalsekretär des FMLN, erklärte am gleichen Abend sichtlich aufgewühlt an einer Pressekonferenz vor dem Spital Rosales: «Dieser Typ an der Regierung stürzt das Land in ein Chaos, in eine unnötige gesellschaftliche Konfrontation, die uns früher oder später weitere solche traurigen Ereignisse wie jetzt bringen wird (...) Der Präsident muss wissen, dass diese Gewalt früher oder später auch ihn betreffen wird.»  

PK vor dem Spital.

 Wie schon bei der Charakterisierung des Kriegs und der Friedensabkommen als «Farce» trat Bukeles zynische Darstellung der Ereignisse national und international eine Lawine von Protesten los. Insbesondere der Umstand, dass dem Staatspräsidenten glatt entfallen war, den Opfern und ihren Nächsten sein Beileid auszusprechen und zur Besonnenheit aufzurufen, statt erst recht Öl ins Feuer zu giessen, sorgte für Empörung. Dies taten dafür die EU-Botschafter, sogar der US-Geschäftsführer im Land, UNO-Organisationen oder etwa der US-Abgeordnete Jim McGovern vom House Foreign Affairs Committee und dessen Präsident Gregory Meeks. Aber nicht eine Figur aus der Regierung.

 

Die eigentliche Linie

Denn diese folgen einer anderen Linie, die etwa Vizepräsident Félix Ulloa ein paar Stunden vor den Morden vor einer Versammlung von Armee-Veteranen darlegte: «Erinnern wir uns, dass dies ein Krieg ist, mit neuen Akteuren, der schon angefangen hat. Wir haben ihn am 3. Februar 2019 [Sieg Bukeles in den Präsidentschaftswahlen] angefangen und wir werden ihn weiter gewinnen.» Dass dieser früher so massvoll sich ausdrückende Jurist, der später während Jahren als Landesdelegierter des Washingtoner Interventionsinstruments National Democratic Institute in Haiti und anderswo gearbeitet hat, heute das Kriegsvokabular vorexerziert, ist bemerkenswert. Ulloa beklagte am gleichen Anlass, dass die Verfassungskammer des Obersten Gerichts die Parlamentskandidatur von Walter Araujo (wegen aggressiver und wiederholter Frauenfeindlichkeit und damit Verletzung der Voraussetzungen für eine Parlamentskarriere) untersagt hat. Araujo, der als Fraktionschef der Bukele-Partei Nuevas Ideas gehandelt wurde, eine widerliche Gift- und Hassschleuder auf Facebook und Youtube, hatte seine Politkarriere während des Kriegs als Sekretär von Roberto d’Aubuisson, dem berüchtigten Chef der Todesschwadronen, Mitarbeiter der CIA und Gründer der lange regierenden Partei ARENA, begonnen, bevor er Fraktionschef von ARENA und danach Präsident des Wahlgerichts wurde. Bukele veröffentlichte als Antwort auf das Urteil dieses Bild:

 


Neue Versionen

Bukele liess die These vom Selbstattentat kommentarlos fallen und ersetzte sie erst mit dem Versuchsballon einer Aktion von Hools eines Fussballclubs. Schon bald aber sickerte die Information dar, dass es sich bei den drei Tätern um einen Polizisten, einen Leibwächter des Gesundheitsministers und Cousins des Präsidenten und eines Mitglieds eines privaten Sicherheitsunternehmens handelte, alle drei, wie dann von Generalstaatsanwalt Raúl Melara bestätigt, im Gesundheitsministerium angestellt. Sofort wusste Bukele mit einer neuen Information aufzuwarten: Der Polizist befinde sich laut der Polizei (PNC) mit einer schweren Schussverletzung im Spital. Nicht mehr Autoattentat, sondern «Gefecht». Melara bestätigte später die Angabe von einem verletzten Attentäter. Ihren Wagen hatten die Attentäter nach der Tat im Geist der Straffreiheit auf dem Parkplatz des Gesundheitsministeriums geparkt. Die Polizei ihrerseits hat schon mal mindestens zwei der Angegriffenen in «Gewahrsam» genommen, einen von ihnen, ein Verletzter in kritischem Zustand, bewachen sie im Spital. Die Attentäter fuhren mit dem laut Bukele schwer verletzten Polizisten nicht etwa in ein Spital, sondern erst mal zurück ins Gesundheitsministerium, wo ihn dann die Generalstaatsanwaltschaft zur Untersuchung mitnahm Schon am Sonntag wollten die Belegschaften von neun PNC-Patrouillen einen gerade aus dem Spital entlassenen Compa mit Schussverletzungen mitnehmen, als ihn sein Sohn nach Hause fahren wollte. Der Mann erlitt dabei eine gesundheitliche Krise und musste hospitalisiert werden.

 

Blut in der Camioneta.

Weiter im Text…

Die Bukele-Version eines «Gefechts» ist der Versuch, den Anschlag weiter gegen den FMLN zu benutzen. Die PNC arbeitet für ihn. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Tweet des berüchtigten OAS-Generalsekretärs Luis Almagro von Montag: «Wir verurteilen den Angriff auf FMLN-Sympathisanten und unterstützen das schnelle Handeln der PNC. Wir rufen die Generalstaatsanwaltschaft zum Untersuchen auf».  «Schnelles Handeln»? Ja, gegen die Angegriffenen. Almagro präsentiert die PNC als kompetent… Wie weit die auch von Óscar Ortiz bekundeten Hoffnungen auf eine unparteiliche Untersuchung durch Generalstaatsanwalt und ARENA-Mitglied Melara berechtigt sind, wird sich zeigen. Der Mann liefert sich zwar ab und an Twittergefechte mit Bukele, fällt aber oft durch extreme Passivität auf. Eine «Untersuchung» der militärischen Besetzung des Parlaments vor einem Jahr hatte er mit der Begründung eingestellt, ihm sei nichts wirklich Ungesetzliches zu Ohren gekommen… Interessant ist eine Meldung des vor einer Justizfarce nach Nicaragua geflüchteten demokratischen Ex-Präsidenten Mauricio Funes von gestern: «Schau, staun … Náun Martínez, einer der Staatsanwälte, der mit falschen Beweisen das Verfahren gegen mich aufbaute, Verteidiger des Direktors der PNC und des Finanzministers, Anwalt der Casa Presidencial, übernimmt die Verteidigung der drei in das Attentat auf FMLN-Mitglieder verwickelten Agenten.»

Die Gefechtsversion ist real ein Versuch des Bukele-Lagers, weiter Profit aus den Morden zu schlagen. Damit sollen die Weichen für eine zukünftige Eskalation der repressiven Gewalt gestellt werden. Trotz des momentanen Gegenwinds für das Regime, dessen Messias sich mit seiner Hasstirade vielleicht auch für einige seiner gläubigen Fans in Schieflage gebracht hat. Dass die Operation auf seinen Befehl hin stattgefunden habe, ist eher unwahrscheinlich. Sie wäre wohl besser geplant gewesen. Die Täter handelten aber getragen von dem von Bukele etc. systematisch aufgepeitschtem Hassklima auf die «Ratten» der Opposition. Dem Haufen ist jede weitere Drehung recht, die das angespannte Klima weiter aufheizt. Seit bald zwei Jahren an der Regierung, hat er mit seiner systematischen Missachtung von Menschenrechten und dem wachsenden Einsatz der Repressionskräfte gegen alles, was nach Opposition riecht, sein Ziel deutlich definiert: die politische, moralische oder auch physische «Ausschaltung» aller, die seiner entfesselten Jagd auf Geld, Macht und einem zentralen Platz an der Sonne, also in einer neuen Oligarchie, im Weg stehen. Und damit vor allem auf den FMLN.

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Nachtrag: Soeben hat der keineswegs linke, aber als einigermassen seriös geltende Radiosender YSKL die seit Tagen in den Social Media zirkulierende Nachricht bestätigt, wonach Nelson Berríos, für den FMLN früher Mitglied der Gemeindeexekutive von Chirilagua (im Department San Miguel), ermordet wurde. Vor einigen Tagen soll in der Departementshauptstadt von Chalatenango ein Taxifahrer böswillig versucht haben, den FMLN-Kandidaten für das dortige Bürgermeisteramt und dessen Gattin zu überfahren. Die Frau wurde dabei schwer verletzt. Ein Parlamentsaspirant einer kleinen, in Sachen Recht auf Abtreibung oder gleichgeschlechtliche Ehe aufgeschlossenen Rechtspartei meinte gestern zu den Morden vom Sonntag (nach der Erinnerung zitiert): «Jetzt, wo es euch betrifft, versteht ihr vielleicht, warum wir LGBTI vor dem Hassdiskurs warnen.»