El Salvador: Tendenz zum Faschismus
Seit über zwei Jahren findet in El Salvador unter der Präsidentschaft
von Nayib Bukele eine brutale Entwicklung hin zu einem autoritären System mit
faschistischer Tendenz statt. Einige Stichworte dazu: Februar 2020 - Der
Präsident marschiert an der Spitze von Armeetruppen ins Parlament, um ein
Plazet für einen weiteren Kreditantrag zu erzwingen; dann drei Monate
militarisiertes Lockdownregime als «Pandemiebekämpfung» mit einer folgenden
enormen Übersterblichkeit (wegen Covid-19 und wegen unterlassener Behandlungen
chronischer Schwerkranker im kollabierten Gesundheitssystem); permanente
Hasstiraden und Einschüchterungen gegen alle Oppositionelle inklusive Medien;
enorme Korruption bei Staatsaufträgen und vieles mehr.
Putschjustiz und
Kryptowährung
Im letzten Februar konnte der als weisser Ritter gegen die
Korruption auftretende Bukele eine entscheidende 2/3-Mehrheit bei den
Parlamentswahlen erzielen. Am letzten 1. Mai setzte die neue Parlamentsmehrheit
auf Geheiss des Präsidenten die Verfassungskammer und den Generalstaatsanwalt
ab und ersetzte sie mit linientreuem, teilweise übel beleumundetem Personal –
ein offener Verfassungsbruch (s. Kasten). Der Familienclan Bukele und eine
Gruppe rechtsradikaler, als «BeraterInnen» ausgegebener VenezolanerInnen
mit Weisungsbefugnis dem Kabinett gegenüber kontrollieren nun alle drei
Staatsgewalten vollständig.
Dieser Justizputsch dient auch der Absicherung der
Straffreiheit für die Regierung, indem laufend mehr Bereiche wie
Ausschreibungen oder die Pandemiepolitik zur Verschlusssache erklärt werden.
Für alle Spitalangestellten gilt ein offizielles Redeverbot mit der Presse,
dito für das Lehrpersonal der staatlichen Schulen – horrende Zustände werden so
vertuscht. Die zuvor täglich erfolgten amtlichen Angaben zu Morden und
Verschwundenen gehören der Vergangenheit an, um die Mär von der Befriedung der
mit den Maras zusammenhängenden Gewaltsituation aufrechtzuhalten. Aufgrund
eines dokumentierten Deals der Regierung mit Teilen der Maras (und mutmasslich
anderen Strukturen der organisierten Kriminalität) ging die offizielle Mordrate
zurück, während die Zahl der Verschwundenen massiv anstieg. Als letzten Mai ein
Massengrab von Ermordeten im Haus eines Ex-Polizisten gefunden wurde,
sanktionierte das Regime einen altgedienten Kriminalistik-Experten der Polizei,
der von mindestens 48 Leichenfunden berichtete, und autorisierte einzig den
Sicherheitsminister und den illegal eingesetzten Generalstaatsanwalt als
zuständig für Information. Seither ist das Thema, das hohe Wellen schlug, aus
den Medien weitgehend verschwunden, nicht aber aus den Familien, die
verzweifelt ihre Angehörigen suchen. Das Wenige, das man weiss, deutet auf
einen aus Polizeikreisen unterstützen Apparat von Auftragskillern hin, der die
Leichen der Ermordeten – vor allem Frauen - verschwinden lassen wollte. Gerade kündigte
Bukele die Verdoppelung der Armeebestände zwecks angeblicher Bekämpfung der
als «innerer Feind» bezeichneten Maras an. Diesen Ausdruck reserviert er normalerweise
für die Opposition.
Im gewohnten Expresstempo (ein bis zwei Stunden «Beratung»,
keine fachliche Konsultationen usw.) übernahm das Parlament von der Regierung
am 5. Juni das weltweit erste Gesetz, das die Einführung der Kryptowährung
Bitcoin als Landeswährung neben dem Dollar und ihre Akzeptanz als
obligatorisches Zahlungsmittel vorsieht. Ein wichtiges Motiv dafür: So will der
Bukele-Clan seine riesigen, vor allem unter dem Deckmantel der
Pandemiebekämpfung geraubten Reichtümer waschen. Diese Bitcoinisierung, das
Drama der Verschwundenen, die massive Verteuerung der Lebenskosten und die
immer offensichtlicher werdende Korruption bewirken Popularitätseinbussen für
Bukele, der kürzlich unter Verweis auf die Pandemie ein dünn kaschiertes Verbot
von Strassenprotesten verhängte.
Feministinnen und
Verschwundene
Angriff ist die beste Verteidigung, weiss der Bukele-Clan.
Also bekämpft er seine Gegner:innen als korrupt. Auf Geheiss des Präsidenten
wurde eine ausschliesslich mit «treuen» Abgeordneten besetzte parlamentarische
Kommission zur «Untersuchung» der von früheren Parlamenten beratenen Subventionen
an hunderte von zivilgesellschaftlichen Organisationen (von lokalen Vereinen
über Universitäten und kirchliche Strukturen bis zur Krebsliga und
Frauenbewegungen) lanciert.
Am 17. Juli wurden zwei ehemalige Präsidentinnen der für die
Beratung von NGO-Finanzhilfen zuständigen Finanzkommission des Parlaments von
der Sonderkommission vorgeladen. Für Aufsehen sorgte die «Anhörung» der
ehemaligen FMLN-Abgeordneten und Feministin Lorena Peña. Erst liess man sie 5
Stunden warten, dann sollte sie während fast 8 Stunden der aggressiven
Kommission Auskunft erteilen (ohne ein Glas Wasser, trotz der Hitze). Das
Problem für die Kommission: Ihre Mitglieder erwiesen sich als eklatant
inkompetent. Das machten sie mit vulgärer, frauenfeindlicher Wortwahl gegen die
Frau wett, vor allem aber stellten sie ihr jeweils das Mikrofon ab, wenn sie
die Lügen der Kommissionsmitglieder zu widerlegen begann. Insgesamt war dieses
Manöver ein Eigentor, die FMLN-Aktivistin erntete auch in rechten, aber nicht
pro-diktatorischen Zirkeln viel Anerkennung, die Bukele-Kommission dagegen
Spott und Verachtung.
Allerdings ist die Sache damit nicht gelaufen. Auch die
bekannte feministische Organisation Mélida Anaya Montes (die Mélidas), bei der
Peña Mitglied ist, hatte für ihre Arbeit zur Alphabetisierung von Frauen in
Armutsgemeinden staatliche Subventionen erhalten. Laut Bukele und seiner
Parlamentsmehrheit aber gibt es die seit 1998 legal eingetragene Organisation
gar nicht, sie sei bloss ein Kanal für private Bereicherung. Mit vergleichbaren
Behauptungen ist die Regierung schon gegen unliebsame Gewerkschaften
vorgegangen und hat zum Beispiel ihre Mitgliederbeiträge regierungskonformen
Gruppen zugeschanzt.
Die Mélidas sind der Regierung wie andere feministische
Organisationen verhasst, nicht nur wegen des im Regierungslager an den Tag
gelegten krassen Sexismus’ (Bukele: Abtreibung
ist «Genozid»), sondern auch, weil diese Bewegungen mit an vorderster Front
für die Aufklärung der Verschwundenen einstehen, die oft Opfer sexueller Gewalt
wurden. Vor wenigen Monaten haben die Mélidas zudem eine ausgedehnte, auf
breites Interesse stossende Feldstudie über die verbreitete sexistische Gewalt
durch Familienangehörige oder Maras veröffentlicht,
zu einem Zeitpunkt, als die Regierung die Botschaft einer für ihren «Sieg» über
die Maras dankbaren Bevölkerung verbreitete.
Lawfare
Am 22. Juli liess Bukele via seinen Generalstaatsanwalt fünf
prominente Mitglieder der ersten FMLN-Regierung (2009-2014) ohne richterlichen
Haftbefehl verhaften und sie anschliessend in Handschellen der Presse
vorführen. Begründung: Sie hätten mehr als ihr ordentliches Gehalt bezogen und
seien deshalb der Geldwäscherei schuldig. Die Sache ist von A-Z illegal
aufgezogen, zuständig für allfälligen Missbrauch staatlicher Gelder wäre ohnehin
eine dem Obersten Gericht angeschlossene Prüfstelle (Departamento de Probidad).
Doch das interessiert das Bukele-Lager nicht, in dieser Hinsicht folgt es
weiterhin dem von Washington diktierten Prozedere der «Korruptionsbekämpfung» -
wichtige Entscheide der seit zwei Jahren mit der Sache betrauten Abteilung der
Generalstaatsanwaltschaft hängen stets vom Plazet der US-Botschaft ab. So verwundert
es nicht, dass die Generalstaatsanwaltschaft in der gleichen Angelegenheit
weitere Haftbefehle ausgestellt hat, gegen den ehemaligen Staatspräsidenten
Salvador Sánchez Cerén und andere hochrangige Mitglieder der früheren
FMLN-Regierung, und 54 weitere Haftbefehle ankündigt (Sánchez Cerén ist seit
letztem Dezember nicht im Land).
Am 27. Juli wies Bukele das Parlament an, ein Gesetz zu
verabschieden, das Korruptionsdelikte unverjährbar macht. Und zwar retroaktiv,
was namhaften Juristen zufolge der Verfassung widerspricht, aber nicht der
ungemein bedeutsameren politischen Intention des Regimes, nämlich nach Belieben
FMLN-Leute und andere Oppositionelle einzusperren. Wie erwähnt, ist
gleichzeitig praktisch die gesamte Information über alle korruptionsanfälligen
Bereiche der Regierung Bukele für die Öffentlichkeit hermetisch verschlossen
worden. Ein weiterer Aspekt ist, dass das State Department Anfang Juli mehrere
hochrangige Kader der Bukele-Regierung auf eine Korruptionsliste gesetzt hatte
(die Liste
Engel), mit der Folge eines für diese Kreise sehr schmerzhaften Visaentzugs
(no more shopping in Miami!). Bukele versucht, sich mit einer Annäherung an
China zu revanchieren und muss gleichzeitig seiner eigenen Anhängerschaft
Antikorruptionsqualitäten demonstrieren. Nun, der Justizkrieg gegen den FMLN
entspricht exakt der Lawfare-Strategie der USA gegen alle linken und fortschrittlichen
Regierungen in Lateinamerika. Vermutlich will sich Bukele damit auch weitere
Unbill ersparen.
Bis ins bürgerliche Lager hinein empören sich akademische
und juristische Kreise über das Vorgehen des Regimes. Die Lage im Land hat sich
massiv verschärft. Der Marschbefehl ist klar: Die gesamte Opposition inklusive
unbotmässige Medien oder zivilgesellschaftliche Organisationen sollen gelähmt,
der FMLN ausgeschaltet werden. Auch der Teil der Rechtspartei ARENA, der sich
nicht mit Bukele arrangiert hat, ist betroffen. Wie es im rechten Lager
weitergeht, wird primär von der Ausmarchung zwischen neuer (Bukele) und alter
Oligarchie abhängen, die derzeit im Gange ist. Das aufstrebende „Millenial“-Lager
will sich mit «ursprünglicher Akkumulation» via systematische Aneignung von
Staatseigentum an die Spitze setzen. Die Verfolgung des FMLN und die
angestrebte Paralysierung von sozialen Organisationen aber soll jede linke
Perspektive verunmöglichen. Zu befürchten ist eine Entwicklung in
«kolumbianischer» Richtung, also der Einsatz von kriminellen-paramilitärischen
Strukturen zur Ermordung von linken AktivistInnen.
Eppur si muove
«Und sie bewegt sich doch», die Erde, meinte Galileo, in
unserem Fall der Widerstand. Die nähere Zukunft wird gefährlich werden. Aber
die letzten Ereignisse wie die unerschrockene Demaskierung der Regimeintrigen
durch Lorena Peña oder jetzt die unverhüllte Zerstörungsabsicht der bereits anrollenden
Verhaftungswelle haben motivierend in FMLN- und anderen linken Kreisen gewirkt.
Erstmals hören wir wieder von Kampfgeist in einem FMLN, der nach den
verheerenden Wahlschlappen aufgrund schwerer interner Zerwürfnisse gelähmt war.
Das Land ist weit, weit weg von einer breiten Revolte. Aber erste Schritte –
wie die wiederholten Mobilisierungen vor dem Gerichtsgebäude – haben vielleicht
das Potenzial, in der heutigen Situation wachsender Armut verstanden zu werden.
Kasten
Zu dem illegal als Generalstaatsanwalt eingesetzten Rodolfo
Delgado schrieb
der frühere Ombudsmann für Menschenrechte, David Morales, auf Twitter: «Der vom Präsidenten aufgezwungene
Generalstaatsanwalt deckte Vorfälle von Folter unter der Verantwortung von
Polizeichefs, die heute wieder die Polizei kommandieren. Das hat die
Ombudsstelle für Menschenrechte (PDDH) demonstriert. Die BürgerInnen heute in
ihren Händen». 2001 war der heutige Generalstaatsanwalt als Staatsanwalt
bei der Folterung eines mutmasslichen Mitglieds einer Entführungsbande anwesend
gewesen. Die damalige PDDH-Chefin, Beatrice de Carrillo, hatte den Fall
untersucht und 2003 den Generalstaatsanwalt vergeblich aufgefordert,
einzuschreiten. 2005 verlangte de Carrillo erneut eine Untersuchung von Delgado
im
Fall der Ermordung 2004 des US-Salvadorianers Gilberto Soto von der
US-Gewerkschaft der Teamsters. Wahrscheinliches Motiv für Sotos Ermordung in El
Salvador: Im zentralen, von Drogenbanden kontrollierten Handelshafen von
Acajutla wollte Soto eine Gewerkschaft aufbauen. Delgado und zwei Amtskollegen
der Staatsanwaltschaft, die beide bei der Folterung der materiellen Täter,
Mitglieder der Mara 18, anwesend waren, beschuldigten nachweislich grundlos die
Ex-Frau Sotos, den Mordauftrag erteilt zu haben. Über die «Personalie» hinaus
ist das in verschiedener Hinsicht von Belang. Delgado hatte unter der letzten
ARENA-Regierung von Tony Saca (2004 – 2009) die Abteilung gegen die
organisierte Kriminalität der Staatsanwaltschaft (UCCO) geleitet. Die Ermordung
Sotos fand in der Amtsperiode von Präsident Tony Saca statt. Viele damalige Kader
sind heute prominent in der Bukele-Administration aktiv, so Sicherheitsminister
Gustavo
Villatoro, Vorgänger Delgados in der UCCO und wichtiger Politoperateur
Sacas, der in der jetzigen Verhaftungswelle ebenfalls eine prominente Rolle
spielt. Unter Saca leitete Villatoro die Zollbehörde; Anschuldigungen, dort
internationale Schmuggelnetze protegiert zu haben, wurden nie offiziell
untersucht. Delgado wurde unter Saca Berater des Generalstaatsanwalts Douglas
Meléndez, der seinerseits eng verbandelt war mit den US-Sicherheitsbehörden und
nach seiner Nicht-Wiederwahl eine Karriere an der Florida International
University und in prominenten Think-Tanks wie das Wilson Center in den USA als
«Korruptionsexperte» antrat. Auch die
staatsanwaltschaftliche UCCO war notorisch von US-Kader kontrolliert. Aussagen
gefangener Drogendealer, wonach Delgado als UCCO-Leiter Transportrouten des in
die kontinentalen Drogenhandelsnetze eingebundenen Kartells von Texis protegiert
habe, blieben ergebnislos.
Es sind solche Figuren, die unter Bukele gedeihen und den
Justizkrieg gegen die Linke organisieren dürfen. Unterstützt von Richtern des
Schlags von Ramón Iván García, den Bukele am 1. Mai zum Mitglied der
Verfassungskammer machte. García hatte als Präsident einer Rekurskammer in der
Departementshauptstadt Cojutepeque mehrmals Urteile abgesegnet,
die Vergewaltiger freisprachen, wenn sie ihre minderjährigen Opfer ehelichten.
Auch an anderer Front tat er sich hervor. Von ihm sind Botschaften an einen
Generalstaatsanwalt unter Saca aktenkundig, in denen er sich für einen rechten
Abgeordneten und Geldwäscher des Drogenkartells der Perrones, Wílver Rivera,
einsetzte. Und nebenbei für eine des Kinderhandels überführte Frau, für die er
eine Strafminderung forderte, da sie, «unsere Freundin», wie der dem
Generalstaatsanwalt sagte, «uns den Kontakt mit dem Abgeordneten Wílver
gemacht» hatte.