El Salvador: Tendenz zum Faschismus

Samstag, 31. Juli 2021

 El Salvador: Tendenz zum Faschismus

Seit über zwei Jahren findet in El Salvador unter der Präsidentschaft von Nayib Bukele eine brutale Entwicklung hin zu einem autoritären System mit faschistischer Tendenz statt. Einige Stichworte dazu: Februar 2020 - Der Präsident marschiert an der Spitze von Armeetruppen ins Parlament, um ein Plazet für einen weiteren Kreditantrag zu erzwingen; dann drei Monate militarisiertes Lockdownregime als «Pandemiebekämpfung» mit einer folgenden enormen Übersterblichkeit (wegen Covid-19 und wegen unterlassener Behandlungen chronischer Schwerkranker im kollabierten Gesundheitssystem); permanente Hasstiraden und Einschüchterungen gegen alle Oppositionelle inklusive Medien; enorme Korruption bei Staatsaufträgen und vieles mehr.

 

Putschjustiz und Kryptowährung

Im letzten Februar konnte der als weisser Ritter gegen die Korruption auftretende Bukele eine entscheidende 2/3-Mehrheit bei den Parlamentswahlen erzielen. Am letzten 1. Mai setzte die neue Parlamentsmehrheit auf Geheiss des Präsidenten die Verfassungskammer und den Generalstaatsanwalt ab und ersetzte sie mit linientreuem, teilweise übel beleumundetem Personal – ein offener Verfassungsbruch (s. Kasten). Der Familienclan Bukele und eine Gruppe rechtsradikaler, als «BeraterInnen» ausgegebener VenezolanerInnen mit Weisungsbefugnis dem Kabinett gegenüber kontrollieren nun alle drei Staatsgewalten vollständig.

Dieser Justizputsch dient auch der Absicherung der Straffreiheit für die Regierung, indem laufend mehr Bereiche wie Ausschreibungen oder die Pandemiepolitik zur Verschlusssache erklärt werden. Für alle Spitalangestellten gilt ein offizielles Redeverbot mit der Presse, dito für das Lehrpersonal der staatlichen Schulen – horrende Zustände werden so vertuscht. Die zuvor täglich erfolgten amtlichen Angaben zu Morden und Verschwundenen gehören der Vergangenheit an, um die Mär von der Befriedung der mit den Maras zusammenhängenden Gewaltsituation aufrechtzuhalten. Aufgrund eines dokumentierten Deals der Regierung mit Teilen der Maras (und mutmasslich anderen Strukturen der organisierten Kriminalität) ging die offizielle Mordrate zurück, während die Zahl der Verschwundenen massiv anstieg. Als letzten Mai ein Massengrab von Ermordeten im Haus eines Ex-Polizisten gefunden wurde, sanktionierte das Regime einen altgedienten Kriminalistik-Experten der Polizei, der von mindestens 48 Leichenfunden berichtete, und autorisierte einzig den Sicherheitsminister und den illegal eingesetzten Generalstaatsanwalt als zuständig für Information. Seither ist das Thema, das hohe Wellen schlug, aus den Medien weitgehend verschwunden, nicht aber aus den Familien, die verzweifelt ihre Angehörigen suchen. Das Wenige, das man weiss, deutet auf einen aus Polizeikreisen unterstützen Apparat von Auftragskillern hin, der die Leichen der Ermordeten – vor allem Frauen - verschwinden lassen wollte.  Gerade kündigte Bukele die Verdoppelung der Armeebestände zwecks angeblicher Bekämpfung der als «innerer Feind» bezeichneten Maras an. Diesen Ausdruck reserviert er normalerweise für die Opposition.

Im gewohnten Expresstempo (ein bis zwei Stunden «Beratung», keine fachliche Konsultationen usw.) übernahm das Parlament von der Regierung am 5. Juni das weltweit erste Gesetz, das die Einführung der Kryptowährung Bitcoin als Landeswährung neben dem Dollar und ihre Akzeptanz als obligatorisches Zahlungsmittel vorsieht. Ein wichtiges Motiv dafür: So will der Bukele-Clan seine riesigen, vor allem unter dem Deckmantel der Pandemiebekämpfung geraubten Reichtümer waschen. Diese Bitcoinisierung, das Drama der Verschwundenen, die massive Verteuerung der Lebenskosten und die immer offensichtlicher werdende Korruption bewirken Popularitätseinbussen für Bukele, der kürzlich unter Verweis auf die Pandemie ein dünn kaschiertes Verbot von Strassenprotesten verhängte.

 

Feministinnen und Verschwundene

Angriff ist die beste Verteidigung, weiss der Bukele-Clan. Also bekämpft er seine Gegner:innen als korrupt. Auf Geheiss des Präsidenten wurde eine ausschliesslich mit «treuen» Abgeordneten besetzte parlamentarische Kommission zur «Untersuchung» der von früheren Parlamenten beratenen Subventionen an hunderte von zivilgesellschaftlichen Organisationen (von lokalen Vereinen über Universitäten und kirchliche Strukturen bis zur Krebsliga und Frauenbewegungen) lanciert.

Am 17. Juli wurden zwei ehemalige Präsidentinnen der für die Beratung von NGO-Finanzhilfen zuständigen Finanzkommission des Parlaments von der Sonderkommission vorgeladen. Für Aufsehen sorgte die «Anhörung» der ehemaligen FMLN-Abgeordneten und Feministin Lorena Peña. Erst liess man sie 5 Stunden warten, dann sollte sie während fast 8 Stunden der aggressiven Kommission Auskunft erteilen (ohne ein Glas Wasser, trotz der Hitze). Das Problem für die Kommission: Ihre Mitglieder erwiesen sich als eklatant inkompetent. Das machten sie mit vulgärer, frauenfeindlicher Wortwahl gegen die Frau wett, vor allem aber stellten sie ihr jeweils das Mikrofon ab, wenn sie die Lügen der Kommissionsmitglieder zu widerlegen begann. Insgesamt war dieses Manöver ein Eigentor, die FMLN-Aktivistin erntete auch in rechten, aber nicht pro-diktatorischen Zirkeln viel Anerkennung, die Bukele-Kommission dagegen Spott und Verachtung.

Allerdings ist die Sache damit nicht gelaufen. Auch die bekannte feministische Organisation Mélida Anaya Montes (die Mélidas), bei der Peña Mitglied ist, hatte für ihre Arbeit zur Alphabetisierung von Frauen in Armutsgemeinden staatliche Subventionen erhalten. Laut Bukele und seiner Parlamentsmehrheit aber gibt es die seit 1998 legal eingetragene Organisation gar nicht, sie sei bloss ein Kanal für private Bereicherung. Mit vergleichbaren Behauptungen ist die Regierung schon gegen unliebsame Gewerkschaften vorgegangen und hat zum Beispiel ihre Mitgliederbeiträge regierungskonformen Gruppen zugeschanzt.

Die Mélidas sind der Regierung wie andere feministische Organisationen verhasst, nicht nur wegen des im Regierungslager an den Tag gelegten krassen Sexismus’ (Bukele: Abtreibung ist «Genozid»), sondern auch, weil diese Bewegungen mit an vorderster Front für die Aufklärung der Verschwundenen einstehen, die oft Opfer sexueller Gewalt wurden. Vor wenigen Monaten haben die Mélidas zudem eine ausgedehnte, auf breites Interesse stossende Feldstudie über die verbreitete sexistische Gewalt durch Familienangehörige oder Maras veröffentlicht, zu einem Zeitpunkt, als die Regierung die Botschaft einer für ihren «Sieg» über die Maras dankbaren Bevölkerung verbreitete.

 

Lawfare

Am 22. Juli liess Bukele via seinen Generalstaatsanwalt fünf prominente Mitglieder der ersten FMLN-Regierung (2009-2014) ohne richterlichen Haftbefehl verhaften und sie anschliessend in Handschellen der Presse vorführen. Begründung: Sie hätten mehr als ihr ordentliches Gehalt bezogen und seien deshalb der Geldwäscherei schuldig. Die Sache ist von A-Z illegal aufgezogen, zuständig für allfälligen Missbrauch staatlicher Gelder wäre ohnehin eine dem Obersten Gericht angeschlossene Prüfstelle (Departamento de Probidad). Doch das interessiert das Bukele-Lager nicht, in dieser Hinsicht folgt es weiterhin dem von Washington diktierten Prozedere der «Korruptionsbekämpfung» - wichtige Entscheide der seit zwei Jahren mit der Sache betrauten Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft hängen stets vom Plazet der US-Botschaft ab. So verwundert es nicht, dass die Generalstaatsanwaltschaft in der gleichen Angelegenheit weitere Haftbefehle ausgestellt hat, gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Salvador Sánchez Cerén und andere hochrangige Mitglieder der früheren FMLN-Regierung, und 54 weitere Haftbefehle ankündigt (Sánchez Cerén ist seit letztem Dezember nicht im Land).

Am 27. Juli wies Bukele das Parlament an, ein Gesetz zu verabschieden, das Korruptionsdelikte unverjährbar macht. Und zwar retroaktiv, was namhaften Juristen zufolge der Verfassung widerspricht, aber nicht der ungemein bedeutsameren politischen Intention des Regimes, nämlich nach Belieben FMLN-Leute und andere Oppositionelle einzusperren. Wie erwähnt, ist gleichzeitig praktisch die gesamte Information über alle korruptionsanfälligen Bereiche der Regierung Bukele für die Öffentlichkeit hermetisch verschlossen worden. Ein weiterer Aspekt ist, dass das State Department Anfang Juli mehrere hochrangige Kader der Bukele-Regierung auf eine Korruptionsliste gesetzt hatte (die Liste Engel), mit der Folge eines für diese Kreise sehr schmerzhaften Visaentzugs (no more shopping in Miami!). Bukele versucht, sich mit einer Annäherung an China zu revanchieren und muss gleichzeitig seiner eigenen Anhängerschaft Antikorruptionsqualitäten demonstrieren. Nun, der Justizkrieg gegen den FMLN entspricht exakt der Lawfare-Strategie der USA gegen alle linken und fortschrittlichen Regierungen in Lateinamerika. Vermutlich will sich Bukele damit auch weitere Unbill ersparen.

Bis ins bürgerliche Lager hinein empören sich akademische und juristische Kreise über das Vorgehen des Regimes. Die Lage im Land hat sich massiv verschärft. Der Marschbefehl ist klar: Die gesamte Opposition inklusive unbotmässige Medien oder zivilgesellschaftliche Organisationen sollen gelähmt, der FMLN ausgeschaltet werden. Auch der Teil der Rechtspartei ARENA, der sich nicht mit Bukele arrangiert hat, ist betroffen. Wie es im rechten Lager weitergeht, wird primär von der Ausmarchung zwischen neuer (Bukele) und alter Oligarchie abhängen, die derzeit im Gange ist. Das aufstrebende „Millenial“-Lager will sich mit «ursprünglicher Akkumulation» via systematische Aneignung von Staatseigentum an die Spitze setzen. Die Verfolgung des FMLN und die angestrebte Paralysierung von sozialen Organisationen aber soll jede linke Perspektive verunmöglichen. Zu befürchten ist eine Entwicklung in «kolumbianischer» Richtung, also der Einsatz von kriminellen-paramilitärischen Strukturen zur Ermordung von linken AktivistInnen.

 

Eppur si muove

«Und sie bewegt sich doch», die Erde, meinte Galileo, in unserem Fall der Widerstand. Die nähere Zukunft wird gefährlich werden. Aber die letzten Ereignisse wie die unerschrockene Demaskierung der Regimeintrigen durch Lorena Peña oder jetzt die unverhüllte Zerstörungsabsicht der bereits anrollenden Verhaftungswelle haben motivierend in FMLN- und anderen linken Kreisen gewirkt. Erstmals hören wir wieder von Kampfgeist in einem FMLN, der nach den verheerenden Wahlschlappen aufgrund schwerer interner Zerwürfnisse gelähmt war. Das Land ist weit, weit weg von einer breiten Revolte. Aber erste Schritte – wie die wiederholten Mobilisierungen vor dem Gerichtsgebäude – haben vielleicht das Potenzial, in der heutigen Situation wachsender Armut verstanden zu werden.

 

Kasten

Zu dem illegal als Generalstaatsanwalt eingesetzten Rodolfo Delgado schrieb der frühere Ombudsmann für Menschenrechte, David Morales, auf Twitter: «Der vom Präsidenten aufgezwungene Generalstaatsanwalt deckte Vorfälle von Folter unter der Verantwortung von Polizeichefs, die heute wieder die Polizei kommandieren. Das hat die Ombudsstelle für Menschenrechte (PDDH) demonstriert. Die BürgerInnen heute in ihren Händen». 2001 war der heutige Generalstaatsanwalt als Staatsanwalt bei der Folterung eines mutmasslichen Mitglieds einer Entführungsbande anwesend gewesen. Die damalige PDDH-Chefin, Beatrice de Carrillo, hatte den Fall untersucht und 2003 den Generalstaatsanwalt vergeblich aufgefordert, einzuschreiten. 2005 verlangte de Carrillo erneut eine Untersuchung von Delgado im Fall der Ermordung 2004 des US-Salvadorianers Gilberto Soto von der US-Gewerkschaft der Teamsters. Wahrscheinliches Motiv für Sotos Ermordung in El Salvador: Im zentralen, von Drogenbanden kontrollierten Handelshafen von Acajutla wollte Soto eine Gewerkschaft aufbauen. Delgado und zwei Amtskollegen der Staatsanwaltschaft, die beide bei der Folterung der materiellen Täter, Mitglieder der Mara 18, anwesend waren, beschuldigten nachweislich grundlos die Ex-Frau Sotos, den Mordauftrag erteilt zu haben. Über die «Personalie» hinaus ist das in verschiedener Hinsicht von Belang. Delgado hatte unter der letzten ARENA-Regierung von Tony Saca (2004 – 2009) die Abteilung gegen die organisierte Kriminalität der Staatsanwaltschaft (UCCO) geleitet. Die Ermordung Sotos fand in der Amtsperiode von Präsident Tony Saca statt. Viele damalige Kader sind heute prominent in der Bukele-Administration aktiv, so Sicherheitsminister Gustavo Villatoro, Vorgänger Delgados in der UCCO und wichtiger Politoperateur Sacas, der in der jetzigen Verhaftungswelle ebenfalls eine prominente Rolle spielt. Unter Saca leitete Villatoro die Zollbehörde; Anschuldigungen, dort internationale Schmuggelnetze protegiert zu haben, wurden nie offiziell untersucht. Delgado wurde unter Saca Berater des Generalstaatsanwalts Douglas Meléndez, der seinerseits eng verbandelt war mit den US-Sicherheitsbehörden und nach seiner Nicht-Wiederwahl eine Karriere an der Florida International University und in prominenten Think-Tanks wie das Wilson Center in den USA als «Korruptionsexperte» antrat. Auch die staatsanwaltschaftliche UCCO war notorisch von US-Kader kontrolliert. Aussagen gefangener Drogendealer, wonach Delgado als UCCO-Leiter Transportrouten des in die kontinentalen Drogenhandelsnetze eingebundenen Kartells von Texis protegiert habe, blieben ergebnislos.

Es sind solche Figuren, die unter Bukele gedeihen und den Justizkrieg gegen die Linke organisieren dürfen. Unterstützt von Richtern des Schlags von Ramón Iván García, den Bukele am 1. Mai zum Mitglied der Verfassungskammer machte. García hatte als Präsident einer Rekurskammer in der Departementshauptstadt Cojutepeque mehrmals Urteile abgesegnet, die Vergewaltiger freisprachen, wenn sie ihre minderjährigen Opfer ehelichten. Auch an anderer Front tat er sich hervor. Von ihm sind Botschaften an einen Generalstaatsanwalt unter Saca aktenkundig, in denen er sich für einen rechten Abgeordneten und Geldwäscher des Drogenkartells der Perrones, Wílver Rivera, einsetzte. Und nebenbei für eine des Kinderhandels überführte Frau, für die er eine Strafminderung forderte, da sie, «unsere Freundin», wie der dem Generalstaatsanwalt sagte, «uns den Kontakt mit dem Abgeordneten Wílver gemacht» hatte.