https://amerika21.de/analyse/251501/guatemala-codeca-widerstand-repression
Sie befinden sich zur Zeit als Vertreterin der Landarbeiterorganisation Codeca im Baskenland. Können Sie ihre Arbeit in Codeca vorstellen und was ist der Zweck ihrer Reise?
Mein Name ist Leiria Vay, ich bin Mitglied der nationalen Leitung des "Komitees für bäuerliche Entwicklung" (Comité de Desarrollo Campesino, Codeca) in Guatemala, ich gehöre zur Volksgruppe der Maya Quiche. Meine Reise verfolgt verschiedene Ziele.
Ich bin zur Zeit tätig in einem Programm der baskischen Regionalregierung für Menschenrechtsverteidiger:nnen, mit dem Zweck die Repression gegen Codeca international anzuzeigen.
Der zweite Grund ist, den Kampf von Codeca international bekannt zu machen. In Guatemala heißt es, wir seien "Kriminelle", wir seien gegen die Entwicklung, gegen private Investitionen, da gibt es eine ganze Reihe an Diffamierungen gegen unsere Organisation. Ich möchte darstellen wer wir sind, wir sind Verteidiger der Menschenrechte, der Rechte der indigenen Völker und der Mutter Erde. Ich möchte Kontakte knüpfen zu Organisationen und sozialen Bewegungen in Europa. Eingeladen wurde ich von "Paz y Solidaridad Euskadi", einer solidarischen Organisation mit der wir als Codeca schon länger zusammenarbeiten.
Welche Formen der Repression treffen Ihre Organisation zur Zeit in Guatemala?
Die Repression nimmt zu, nachdem wir in Codeca begannen, uns als Subjekte mit Menschenrechten und für die Rechte der Mutter Erde zu organisieren und einen strukturellen Wandel in Guatemala anzustreben. Damit greifen wir die ökonomischen Interessen der mächtigen Sektoren im Land an, damit wurden wir zu einem unbequemen Akteur, den man vernichten muss. Das waren die Worte des damaligen Staatspräsidenten Otto Pérez Molina, der am 7. März 2014 nach einer großen Mobilisierung von Codeca öffentlich sagte: "in Guatemala existiert ein soziales Krebsgeschwür, das heißt Codeca. Dem müssen wir uns entledigen".
Seitdem gibt es eine eigene Abteilung bei der Staatsanwaltschaft, die nur für "Vergehen" von Codeca zuständig ist, konkret geht es dort um die juristische Verfolgung unseres Boykottes der Stromrechnungen1. Das erste Verfahren, angestoßen von der besagten Abteilung der Staatsanwaltschaft, war das gegen meinen Vater2, gegen Blanca Mejia und einem weiteren Compañero, alle drei waren 2014 einige Monate inhaftiert. Das zweite Verfahren gegen die heutige Abgeordnete der Partei MLP 3, Vicenta Jerónimo und gegen Edvin Sanchez. Der dritte Fall war der von Ceferina Xaminez, dieser begann 2017 als Männer des Energiekonzernes Energuate in ihr Haus eindrangen und sie gewaltsam in einem Fahrzeug von Energuate zur Polizei brachten. In dieser Bedrohungssituation hat Ceferina eine Kneifzange der Energuate-Mitarbeiter zu ihrem Schutz in die Hand genommen. Dafür wurde sie jetzt anfang dieses Jahres wegen Diebstahl der Kneifzange zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt.
Der andere Mechanismus der Repression sind die direkten Attacken. An erster Stelle die zwanzig Morde an unseren Mitgliedern in den letzten Jahren. Desweiteren gibt es Einschüchterungen der individuellen Art, Compañeros werden auf ihrem Weg körperlich angegriffen und bedroht: oder kollektiv, zum Beispiel bei Versammlungen tauchen bewaffnete Personen auf, schießen in die Luft und greifen Compañeros und Compañeras körperlich an, dies passiert auch bei Moblisierungen und Demonstrationen von Codeca.
Eine relativ neu begonnene Strategie ist, innerhalb unserer Gemeinden Konflikte zu schüren, beispielsweise wird der Strom abgestellt und dann gesagt, das passiert wegen der Mitglieder von Codeca, die hier wohnen. So wollen sie Anwohner, die nicht bei uns organisiert sind, gegen uns aufhetzen.Vor dem Hintergrund der Repression, Verbote von Demonstrationen, der Neubesetzung des Verfassungsgerichtes mit Personen denen Korruption und Kontakte zur organisierten Kriminialität nachgesagt werden, dem "Ley ONG", dass die politischen Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen einschränken soll etc., wieviel Rechtsstaat und Demokratie existieren noch in Guatemala?
Als Codeca haben wir immer gesagt, wir leben ohne Staat und ohne Rechte. Mit dem Friedensabkommen 1996 hatten wir die Illusion, jetzt in Frieden zu leben, die Realität ist aber eine andere. Mit dem Vorwand, Guatemala zu entwickeln, hat man den transnationalen Unternehmen die Türen geöffnet. Für unsere Völker bedeutet das mehr Repression, mehr Ausbeutung, mehr Analphebetismus, mehr Armut, mehr Tote, mehr Sklaverei. Das Justizsystem funktioniert nicht, es ist im Interesse kriminieller Gruppen und befördert die Korruption. Es heißt, es gibt einen Rechtsstaat in Guatemala, aber das ist nicht wahr. Für unsere Gemeinden, für die indigenen Völker existiert dieser nicht.
Was können Organisationen in Europa tun, angesichts dieser Sitation?
Ich denke, wichtig ist die Stimme zu erheben, zu sagen was in Guatemala passiert. Sich an das Außenministerium in ihren Ländern wenden, um dieses aufzufordern, sich an die Regierung in Guatemala zu wenden, obwohl die Regierung in Guatemala nicht viel machen wird. In den Medien über die Situation in Guatemala berichten. Eine wichtige Rolle kann auch die internationale Gewerkschaftsbewegung spielen, sie muss dafür aber global tätig sein, um Beispielsweise die Konzerne unter Druck zu setzen, die in Guatemala die Menschen ausbeuten und die Umwelt zerstören.
Welche Aktivitäten planen Sie noch für ihren Aufenthalt in Europa?
Bisher war der Bereich der Vernetzung mit anderen Organisationen nur eingeschränkt möglich. Aufgrund der Einschränkungen durch die Pandemie können wir uns zur Zeit im Baskenland nur mit maximal vier Personen treffen. Ich hoffe aber, dass sich im Juni die Situation mit dem Fortschreiten der Impfkampange etwas entspannt und dann noch andere Treffen möglich sein werden, im spanischen Staat oder in anderen Ländern Europas.
Das Interview ist (gekürzt) zuerst am 3. Juni in der Tageszeitung Junge Welt erschienen
_____________
(zas) Vgl. Die andere Seite der Wahlen aus Correos 195, August 2019.