(zas, 30.10.22) Das Interesse am Wahlausgang vom 8. November liegt nicht daran, eine der beiden Machtparteien zu bevorzugen. Natürlich, die White-Power-Partei ist eh indiskutabel. Die andere Partei positioniert sich, entgegen grosser Teile ihrer eigenen Basis, als Kraft der kriegstreibenden liberalen «Mässigung».
Aber es gibt andere Gründe, genauer hinzuschauen. Selbst in Mainstreammedien hat sich, bei aller Verschönerungsakrobatik, rumgesprochen, dass in den USA Wahlen vielleicht nicht ganz koscher sind. 2000 hatte der Supreme Court eine Nachzählung der Stimmen in Florida mit dem eindrücklichen Argument verboten, diese könnte Bushs Recht auf die Präsidentschaft gefährden. 2013 hob der Supreme Court den alten Schutz für afroamerikanische Wahlberechtigte in den traditionell rassistischen Südstaaten auf, wonach das gliedstaatliche Wahlgesetz einer Antidiskriminierungsüberwachung der Bundesbehörden unterzogen wird. Seither grassieren viele neue Techniken der voter suppression, also des Wahlrechtsentzugs für bestimmte Segmente der Unterklassen, zusätzlich zu traditionellen, aber massiv ausgeweiteten Methoden des Stimmentzugs wie gerrymandering. Dazu gehören in republikanisch regierten Staaten etwa die massive Einschränkung der Briefwahl, die Schliessung Wahllokale gezielt in «Minority»-Wahlkreisen oder der Einsatz bewaffneter «poll watchers». Diese Militanten des Trumpismus lungern jetzt schon vor den (noch nicht in allen Staaten verbotenen) Spezialsammelstellen von Wahlzetteln von FrühwählerInnen herum, um zu «beobachten», ob jemand einen Wahlbetrug begehe. Ein von Trump ernannter US-Bezirksrichter schmetterte am 28. Oktober eine diesbezügliche Klage wegen Einschüchterung von Wählenden von zwei Wahlrechtsgruppen in Arizona ab. Beziehungsweise von einer, denn die hispanische Mitklägerin Voto Latino sei nicht klageberechtigt, da sie keine «finanzielle Beeinträchtigung» durch die Klagepunkte habe nachweisen können. Urteilbegründung: Einschüchterung? Nun, ja, wer weiss? Aber die Bewaffneten (aus der Qanon-verbandelten Gruppe) haben das Versammlungsrecht auf ihrer Seite (die Waffen wären in dieser Logik wohl so eine Art Brillenersatz).
Masskierte poll watchers in Arizona. Bild: New York Times. |
Nun, diese vigilantes werden am 8. November ihr Recht auf bewaffnete Versammlungsfreiheit vor den Wahllokalen in vielen «Minority»-Bezirken wahrnehmen. Zusammen mit beziehungsweise als sogenannte vote challengers. Allein in Georgia hatten bei den letzten Präsidentschaftswahlen 88 solcher challengers präventiv die Wahlberechtigung von 250'000 Wahlberechtigten mit der falschen Begründung angefochten, sie lebten nicht mehr in Georgia. Der massgeblich an der Aufdeckung dieses Wahlrechtsklaus beteiligte Investigativjournalist Greg Palast meinte zu den Angegriffenen: Es sind «im Allgemeinen African Americans, Hispanics, Asians und junge Leute».
Diese wenigen Beispiele zeigen: Es geht um viel mehr als die nicht immer unwichtige Frage, wer Wahlen gewinnt. Es geht darum, dass bei den kommenden Wahlen Terror salonfähig wird. Und zwar Terror gegen jene, die in der Geschichte ohnehin kein Wahl-, also Mitspracherecht hatten. Wie das die rechtsextreme Mehrheit des Supreme Courts zur Begründung ihrer Einführung des Abtreibungsverbots erneut betont hat: von der Verfassung geschützte Rechte sind nur jene, die die Autoren der Verfassung nach dem Bürgerkrieg im Auge hatten. Dazu gehörte nicht das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung. Und wie die folgenden hundert Jahre im Süden der USA zeigten, eigentlich auch nicht das Recht von Ex-SklavInnen mitzureden.
Zu diesem Thema gibt es für kurze Zeit einen Film gratis online zu sehen, «Vigilante» von Greg Palast. Der Streifen dauert eine Stunde und 10 Minuten, die aufzuwenden sich lohnt. Du siehst «challengers», die auf der Basis von mit Wahlausschlussabsichten zusammengestellten Listen Unmengen von ihnen völlig unbekannten Menschen vom Wahlrecht auszuschliessen; du siehst sie, zur Rede gestellt, ausflippen oder Ausflüchte stottern; du siehst auf der anderen Seite Opfer dieser Angriffe Menschen, wie sie bei der Schilderung ihrer Erlebnisse mit den Tränen ringen, den Oberst, dessen Vater ein enger Mitstreiter von Martin Luther King war, die Cousine von Martin Luther King, der bei den Midterms 2018 das Wahlrecht verneint wurde. Du siehst, wie lebendig die Erinnerung an die Civil Rights-Kämpfe bei diesen Leuten ist. Der Film handelt in Georgia, einem der Avantgarde-Labore für die Abschaffung des allgemeinen Wahlrechts. Ein berüchtigter Promotor der voter suppression, Brian Kemp, ist da Gouverneur. Wie einer seiner Vorfahren schon. Jener hatte die Sklaverei in Georgia, wo sie zuvor verboten war, eingeführt für seine riesigen Plantagen. Du siehst Kemp, umringt von anderen weissen Herren, bei einem Amtsgeschäft – vor dem Gemälde einer Plantage.
Kemp wurde in den Mainstreammedien als aufrechter Demokrat gefeiert, weil er Trump gesagt hatte, er können ihm die nötigen 11'000 Stimmen für ein Kippen des Resultats im Swing-State nicht besorgen. Real wollte sich der Mann seine Karriere nicht mit einem Knastaufenthalt verderben. 11'000 Stimmen? Er hatte während Jahren für die Wahlausschaltung von viel grösseren Bevölkerungssegmenten gesorgt. Und das mit Trump würde ihm nicht nochmals passieren. Er hat sich jetzt (auch für seine Wiederwahl) das Recht gezimmert, gewählte Mitglieder der Wahlbezirksorgane mit eigenem Personal zu ersetzen. Es wären diese Organe in entscheidenden Bezirken gewesen, die die Resultate hätten ablehnen sollen, damit Trump an seine 11'000 Stimmen gekommen wäre.
Im Film hörst du auch AktivistInnen davon reden, wie sie in den Communities Widerstand gegen die voter suppression organisieren. Ähnlich motiviert dürfte auch die massiv angestiegene Zahl von Frauenwahlregistrierungen sein. Denkbar dennoch, dass der neue Faschismus made in USA diese Wahlen gewinnt, nicht (nur) wegen seines gesteigerten Terrors, sondern auch wegen der militant antisozialen Praxis von Biden & Co. So oder so, der Angriff wird stärker werden. Der Widerstand auch, weit über Wahlurnen hinaus.