Niger, El Salvador und die EU

Sonntag, 30. Juli 2023

 

(30. 7. 23) Putsch in Niger. Josep Borrell, der EU-Aussenbeauftragte, für den die EU ein Garten im globalen Rest darstellt, bezieht am 28. Juli Position: «Jeder Bruch der Verfassung wird Konsequenzen auf die Kooperation der EU mit Niger haben.»

Nicht so in El Salvador. Da interessiert sich die EU z. B. für den Tren del Pacífico, also eines der Megaprojekte des Regimes, eine Zuglinie für den internationalen Handel. Das passt ausgezeichnet in das am EU-CELAG-Gipfel Mitte diesen Juli in Brüssel verkündeten 45-Milliarden-Euro-schwere Infrastrukturprojekt der EU in Lateinamerika, Global Gateway, das die chinesische «Seidenstrasse» und russische Expansionsgelüste zurückdrängen und den Handel EU/Lateinamerika formidabel ankurbeln soll. In einer ersten Etappe soll der Tren del Pacífico die Hauptstadt und Wirtschaftsmetropole San Salvador mit dem Handelshafen Acajutla an der pazifischen Küste verbinden. Eine zweite Phase sieht danach eine Zuglinie an einen atlantischen Hafen in Guatemala und eine andere zu dem von der mexikanischen Regierung gegen allen sozialen und indigenen Widerstand vorangetriebenen Tren Maya in Südmexiko vor. Eine dritte schliesslich soll den Osten des Landes, wo ein internationaler Flughafen für die ominöse Bitcoin-City geplant und weitere Handelswege ins benachbarte Ausland geplant sind, mit dem Gesamtnetz verbinden.[1] 

Auch in El Salvador sind von dieser Art Entwicklung gar nicht alle begeistert. Die Mesa Nacional de la Línea Ferrea (Runder Tisch der Eisenbahnlinie), ein Zusammenschluss betroffener städtischer Comunidades, befürchtet die Vertreibung von bis zu 70'000 Haushalten. Sie hatten sich als Kriegsflüchtlinge auf dem Gebiet des in den frühen 80-er Jahre zugunsten des Bustransports, damals dernier cri der Modernisierung, stillgelegten Eisenbahnnetzes angesiedelt. Unter den FMLN-Regierungen wurden diese Siedlungen legalisiert und an das öffentliche Dienstleistungsnetz angebunden. Doch Ende April 2022, knapp einen Monat nach Verhängung des Ausnahmezustands, erliess Präsident Bukele via Parlament ein Gesetz zur administrativen «Vereinfachung» und Beschleunigung des Handelsinfrastrukturprojekts. Subito danach begannen in verschiedenen Städten die Vermessungsarbeiten. Rosenda Escobar vom Runden Tisch sagte dazu: «Wir wissen, dass sie diesen Ausnahmezustand verhängt haben, um dem Volk einen Maulkorb zu verpassen».

Solche Details haben für die EU in Abwesenheit eines öffentlichen Drucks wenig Gewicht. Nun nimmt das Vorhaben Fahrt auf. Letzten Dezember wurde offiziell bekannt, dass das Design für ein erstes Teilstück der Pazifikverbindung (von Acajutla nach Sonsonate) von einem geheim gehaltenen französischen Unternehmen erarbeitet worden ist. Anlässlich der erwähnten CELAG-EU-Konferenz gab die Wirtschaftsministerin Bukeles bekannt, dass der EU ein Finanzierungsgesuch von $ 150 Millionen für den Tren del Pacífico und eines für $ 300 Millionen für ein topmodernes Verkehrsnetz im Grossraum San Salvador vorgelegt worden sei. Die Verhandlungen seien «in einem fortgeschrittenem Stadium». Zuvor hatte ein EU-Vertreter im Land mitgeteilt, die EU habe der Europäischen Investitionsbank ein formales Gesuch für eine Teilfinanzierung des Tren-Projekts vorgelegt, wobei es erst «vorläufig grünes Licht für die Studien zur Operation» gebe.

Was hat das mit Niger zu tun? In Niger ist ein für die EU-Expansion nach Afrika hinein wichtiger Präsident gestürzt worden. Brüssel reagiert deshalb mit Verweis auf die Verfassung scharf. In El Salvador besetzte der Präsident 2020 an der Spitze von Armeeinheiten das Parlament, weil er einen weiteren Kredit bewilligt haben wollte. Eine Gewaltenteilung existiert nicht mehr. Bukele kandidiert erneut für die Präsidentschaft, trotz eindeutigem Verfassungsverbot. Noch vor dem CELAG-EU-Treffen brachte Bukele im Parlament eine kurz danach durchgewinkte «Reform» des Ausnahmezustands ein, die es dem Regime erlaubt, die Verfahren der angeblich 71'000 als Bandenmitglieder Verhafteten zu «vereinfachen». Der Sicherheitsminister hat das vor dem Parlament so erklärt: Wenn zu einer Suborganisation einer Mara 900 verhaftete Mitglieder gehören, braucht es nicht mehr 900 Prozesse wegen Mitgliedschaft, sondern ein einziges Verfahren für alle zusammen. So könne der «Stau» erfolgreich abgebaut werden. Nota bene: In dem seit März 2022 dauernden «Ausnahme»-Zustand, mit Abertausenden von Menschen in Folterhaft, ist noch kein einziges Strafurteil gefallen; es gibt bloss Massenvorführungen vor Sonderhafttribunalen, die meist für alle meist verteidigungslosen Gefangenen zwei Jahre Untersuchungshaft sprechen. So unglaublich es klingt, so etwas wie eine individuelle Schulduntersuchung ist mit der dystopischen «Reform» gestrichen - also das, worauf das Strafgesetz international beruht. Das ist nur ein Aspekt unter anderen ihrer Entsetzlichkeiten, wie sie auch von der Menschenrechtsorganisation Cristosal analysiert werden.

Das mit der Verfassung ist hier der EU allenfalls eine Mahnung wert, die keiner Millioneninvestition im Wege steht. In Niger steht sie als Joker für Interessen. Mit Tschad zusammen blieb Niger bisher das einzige Sahelland, das für französische Truppen offenstand. Seit 1962 baut Frankreich in Niger fast gratis das für seine Atompolitik benötigte Uran fast gratis ab. Eine radioaktiv verseuchte, stillgelegte Mine und französische Nuklearabfälle verseuchen Mensch und Tier. In Arlit mit 150'000 EinwohnerInnen grassiert seit 10 Jahren Blut- und Lungenkrebs. Wohnungen und das Spital wurden mit verstrahltem Lehm erbaut[2]. Auch die USA sind mit massiver Militärhilfe, Special Forces und einer CIA-Drohnenbase präsent.

Der EU geht es nicht um Recht und Verfassung. Weder in Niger noch in El Salvador noch im Mittelmeer.



[1] s. dazu https://diario.elmundo.sv/economia/el-salvador-solicita-a-la-eu-150-millones-para-tren-del-pacifico-y-200-millones-para-monorriel

[2] https://rebelion.org/niger-un-presente-muy-frances/