Jorge - Jürg Weis

Donnerstag, 22. August 2024

 

36 Jahre sind es her! Jorge – Jürg Weis – wurde am 22. August 1988 zusammen mit Compas des FMLN im Departement Cabañas von der salvadorianischen Armee ermordet. Seine Leiche entstellten sie, als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Solidarität. Die Botschaft war klar: So ergeht es denen, die sich mit dem Befreiungskampf identifizieren.

Jorge, der als Student Befreiungstheologisches bei Ernst Bloch studiert und als Besucher beim «roten Bischof» von Cuernavaca in Mexico erlebt hatte; der im Basel der 70-er Jahre ein Sänger der linken Bewegung und engagierter Genosse war; der leicht staunend dabei war, als eine Gruppe von uns in den Bergen auf einen Acidtrip gingen; der kurz vor dem Putsch 1973 in Chile in die Schweiz zurückgekehrt war und dann in der Bewegung für die Aufnahme von Flüchtlingen kämpfte, die der Bundesrat und auch damals nicht wollte (und welchen die Schweizer Botschaft die Zuflucht vor den Schergen der Diktatur versperrte) und der uns nach dem Etappensieg mit ihnen in Verbindung brachte; Jorge, früher maotisch orientiert, der für unsere autonome Soliszene ins Zentralamerika-Sekretariat ging; Jürg, der liebevolle Mensch, der 1988 in El Salvador unbedingt ein Dorf von zurückgekehrten Flüchtlingen besuchen wollte und auf diesem Gang, den er trotz aller Warnungen der Compas ging, zusammen mit einem salvadorianischen Guerillaarzt – auf ihn hatte es die Armee vor allem abgesehen – und einem Guerillero in die Falle lief und hingerichtet wurde. 

Jorge (im Türeingang) mit einer Soligruppe in Nicaragua, Februar 1984.

 Das Schweizer Aussenministerium verbreitete danach die Lüge der Salvadorianischen Armee: «im Gefecht gefallen». Eine vom ZAS organisierte internationale Untersuchungskommission wies nach, dass die Morde von hoher Stelle angeordnet und von höchster mindestens vertuscht worden waren. Die dann zusammengebrochene Propaganda des Bundesrates war Teil der stillen Komplizenschaft mit dem US-Massenmorden in Zentralamerika. 1986 wurde Maurice Demierre, ein Kriegsdienstverweigerer aus christlicher Überzeugung, der mit christlichen Basisgemeinden in Nicaragua arbeitete, bei einer Fahrt zurück von einem agrarischen Entwicklungsprojekt im Westen Nicaraguas zusammen mit vier Frauen von der US-gesteuerten Contra ermordet.  Wenige Monate später liefen Joel, Yvan, Bernd und nicaraguanische Compas bei Pancasán in eine Falle der US-gesteuerten Contras und fielen im hoffnungslosen Kampf. Nachdem der Bundesrat nach der Ermordung von Maurice keinen Protest in Washington eingelegt hatte, wussten die Contras, dass Schweizer Internacionalistas «risikolos» umgebracht werden konnten. Die Antwort des Bundes: Verbot staatlicher Schweizer Hilfe für die Bevölkerung in Kriegsgebieten. Washington war zufrieden. Weitere Schweizer Reaktion: die Gründung von Strukturen wie der Swiss Contra, die mit aktiver Beteiligung prominenter Parlamentarier das Morden in der Region weisswaschen sollten.  

Gestern so wie heute. Ein Genozid-Fanclub unterstützt in Parlamenten, Bundesrat und Lobbyvereinen das Morden durch Bekämpfung auch nur humanitärer Hilfe in Gaza. Der Unterschied zu damals: Das Morden hat jetzt eine noch viel grauenhaftere Dimension.

Wir wissen heute mehr als 1988, wie es zum Mord an Jorge kam. Die Militärs hatten die Frau eines Guerilleros gefangen genommen und drohten, sie weiter zu foltern, wenn er nicht Verrat üben werde. Der Mann brach zusammen und lieferte mehrmals Infos. So starben Pedro «Médico», Jorge und der andere Compa, einer vierter konnte sich im Gebüsch verstecken und sah, wie Jürg, der rief, er sei suizo und Zivilist, erschossen wurde.

Heute herrscht in El Salvador ein brutales, faktisch neofaschistisches Regime. In Nicaragua erstarrte die Befreiungsdynamik bei allen sozialen Verbesserungen weitgehend zu einer Karikatur ihrer selbst. Dazu soll die Schnauze halten, wer damals die Treibjagden auf die Menschen begrüsste, unterstützte, schönschwatzte, wer den jahrelangen Sommer der Hoffnungen und der Träume in Nicaragua an einem, wie sie es nennen, Krieg der niederen Intensität auflaufen liess und zermürbte, wer eben noch in westlichen Thinktanks und in Botschaften Schritt für Lüge den Horror des Bukele-Regimes samt seiner hypercoolen Show in El Salvador aufgleiste.

Das sind wir dir und so vielen anderen schuldig, Jorge. Das Prinzip Hoffnung schliesst aus, mit den Biestern der Zerstörung zu heulen. Wir sehen klarer als früher, wie lange und extrem schwierig der Weg ist, den unsereins noch gehen muss, um aufatmen zu können.

Es stimmt, was wir oft hören. Solange ein Mensch, sein Leben, sein Handeln, seine Art in der Erinnerung anderer weiterleben – und sei es noch so leise – solange lebt er oder sie in den anderen weiter.

Hasta la victoria siempre.