(zas) Für den
Autor, ein
hervorragender Kolumnist der mexikanischen Zeitung La Jornada, stellt die
zapatistische Mobilisierung vom 21. Dezember ein strategisches Element für die
kommenden gesellschaftlichen Kämpfe im Land dar. Sein Artikel vermittelt, wie
sehr die beeindruckende Aktion der Zapatistas (s. auch den Blogeintrag von
gestern) weit über die ihre Territorien hinaus Hoffnung und Kraft vermittelt.
Originaltitel:
Derrumbe y
renacimiento en el mundo may zapatista, La Jornada, 22.12.12
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Untergang und Neugeburt in der
zapatistischen Maya-Welt
So wie sie sich das Gesicht haben
bedecken müssen, um gesehen zu werden, hielten sie jetzt im Reden inne, um
gehört zu werden.
Luis Hernández Navarro
Was nie untergegangen ist, kann nicht wieder erstehen. Was die
zapatistischen Maya-RebellInnen an diesem 21. Dezember gemacht haben, als sie
friedlich und schweigend fünf chiapanekische Städte besetzt haben, war nicht
ein Auferstehen, sondern ein Belegen ihrer Relevanz.
Das EZLN ist hier seit 28 Jahren. Es war nie weggegangen. Während 10 Jahren
war es unter dem Gras gewachsen, vor 18 Jahren machte es sich öffentlich
bekannt. Seither hat es abwechselnd geredet und Schweigen bewahrt, aber es hat
nie aufgehört zu tun. Ein und ein ander Mal ist sein Verschwinden oder seine Irrelevanz
dekretiert worden, aber noch stets ist es kraftvoll und mit einer Botschaft wieder
aufgetaucht.
Dieser Beginn des neuen Maya-Zyklus stellte keine Ausnahme dar. Mehr als 40'000
Mitglieder aus der zapatistischen Unterstützungsbasis marschierten im Regen in
fünf Städten von Chiapas: 20'000 in San Cristóbal, 8'000 in Palenque, 8’0000 in
Las Margaritas, 6'000 in Ocosingo und mindestens weitere 5'000 in Altamirano. Es
handelt sich um die grösste Mobilisierung seit dem Auftauchen der RebellInnen
des mexikanischen Südostens.
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Zapatistische Mobilisierung. Bild: La Jornada, 22.12.12 |
Die Dimension des Protestes verweist darauf, dass ihre innere Stärke im Lauf
der Jahre alles andere als abgenommen hat, sondern gewachsen ist. Es handelt
sich um einen Indikator dafür, die von den verschiedenen Regierungen gegen sie eingesetzte
Aufstandsbekämpfungsstrategie gescheitert ist. Ein Zeichen dafür, dass ihr
Projekt genuiner Ausdruck der Welt der Mayas ist, aber auch sehr vieler armer
mestizischer BäuerInnen in Chiapas.
Das EZLN hat die nationale Bühne nie verlassen. Geleitet von seinem eigenen
Politkalender, treu seiner ethnischer Kongruenz und gegen die Macht des
Staates, hat es seine Formen autonomer Regierung gestärkt und seine politische
Autorität bei den indigenen Völkern und in den aktiven internationalen
Solidaritätsnetzen am Leben gehalten. Der Umstand, dass es nicht öffentlich
aufgetreten ist, bedeutet nicht, dass es nicht in vielen bedeutenden Kämpfen im
Land präsent wäre.
In den von Juntas der Guten Regierung, die in Chiapas existieren, und in den
autonomen Gemeinden regieren sich die Unterstützungsbasen selbst. Ihre Behörden
sprechen Recht und lösen Landkonflikte. In ihren Territorien haben die
RebellInnen ihre Gesundheits- und Erziehungssysteme jenseits der glied- und
bundesstaatlichen Regierungen zum Funktionieren gebracht. Sie organisieren
Produktion und Handel und halten die Militärstruktur aufrecht. Sie sind der
Herausforderung der Generationenablösung ihrer Kommandostrukturen erfolgreich
begegnet. Und wie wenn das noch wenig wäre, haben sie die Gefahren des
Drogenhandels, der öffentlichen Unsicherheit und der Migration wirksam
umschifft. Das Buch „Luchas muy otras. Zapatismo y autonomía en las comunidades
indígenas de Chiapas“ ermöglicht einen aussergewöhnlichen Blick auf einige dieser
Erfahrungen.
Die Zapatistas marschierten an diesem 21. Dezember geordnet, würdig,
diszipliniert und kohärent, und schweigend; es war ein gut vernehmbares Schweigen.
So wie sie sich das Gesicht haben bedecken müssen, um gesehen zu werden, hielten
sie jetzt im Reden inne, um gehört zu werden. Es handelt sich um ein Schweigen,
das eine fruchtbare Kapazität der Schaffung neuer Horizonte für die
gesellschaftliche Veränderung ausdrückt, eine grosse Potenz. Ein Schweigen, das
den Willen zum Widerstand angesichts der Macht ausdrückt: Wer im Schweigen
verharrt, ist unregierbar, sagte Ivan Illich.
In Mexiko kam an diesem ersten Dezember [Regierungsantritt von Präsident Peña
Nieto] ein politischer Kampfzyklus zu seinem Ende, während sich ein anderer
auftat. Das EZLN hat in der entstehenden Karte der gesellschaftlichen Kämpfe,
die sich im Land abzuzeichnen beginnt, viel zu sagen. Seine Mobilisierung kann auf
sie in relevanter Weise einwirken. Zu den Umrissen dieser neuen Phase von gesellschaftlichen
Kämpfen gehören die Rückkehr des alten priistischen Dinosauriers nach Los Pinos
[Präsidentenpalais], gesteuert vom Salinismus und seiner autoritären Art der Staatsführung;
das Vorhaben, die gesellschaftliche Konfliktualität auf der Basis eines Paktes
zwischen den Eliten, unter Ausschluss der subalternen Sektoren, zu steuern; die
Krise, Zersetzung und Reorganisation der Parteilinken; und das Auftauchen neuer
sozialer Bewegungen.
Das EZLN ist ein neuer Spieler, der sich, ohne eingeladen zu sein, an den
Tisch setzt, an dem die neue Runde der nationalen Politik beginnt.
Der „Pakt für Mexiko“, unterschrieben von PRI [seit 1. Dezember wieder
Regierungspartei], PAN [bisherige Regierungspartei], und, in seiner Eigenschaft
als Einzelperson, vom Präsidenten des PRD [ex-linke Partei], will unter Ausschluss
breiter gesellschaftlicher Sektoren ein Reformpaket schnüren. Die Mobilisierung
des EZLN verdeutlicht, dass ein sehr grosser Teil der mexikanischen Bevölkerung
in diesem Abkommen nicht vertreten ist, und dass, worin seine Unterschreibenden
übereinkommen, nicht notwendig auch auf die Zustimmung der BürgerInnen trifft.
Die Partei der aztekischen Sonne [PRD] ist in einem internen Kampf verfangen,
der ihren Bruch bedeuten kann. Das Vorhaben der
Nueva Izquierda [Parteiströmung], ihr Schicksal an das der
Regierung von Peña Nieto zu koppeln, belegt jede Möglichkeit einer kritischen
Distanz zur Macht mit einer Hypothek.
Das
Movimiento de Regeneración
Nacional [Morena, Gruppierung um den aus dem PRD ausgetretenen
Ex-Präsidentschaftskandidaten Manuel López Obrador] widmet sich den
organisatorischen Aufgaben, um seine [Partei-] Registrierung zu erreichen. Vermutlich
wird die
Organización Popular y de los
Trabajadores (OPT) den gleichen Weg gehen. Es gibt also ein weites
politisches und soziales Territorium, das die Parteilinke nicht besetzt. Die
Zapatistas erfreuen sich einer unzweifelhaften politischen Autorität bei jenen,
diese Gegenden bevölkern.
In den letzten anderthalb Jahren sind soziale Bewegungen entstanden, die die
Macht von ausserhalb der politischen Parteien hinterfragen. Sie sehen sich
durch keine Partei vertreten. Das
Movimiento
por la Paz con Justicia y Dignidad, #YoSoy132, die Kämpfe der Comunidades
gegen die öffentliche Unsicherheit und die ökologische Zerstörung, die
studentischen Proteste zur Verteidigung der öffentlichen Ausbildung und andere
gehen auf anderen Wegen als jenen der institutionellen Politik. Die Sympathien
dieser Kräfte für die Zapatistas sind real.
Aber jenseits der Konjunktur sind die Märsche des 13. Baktún der Mayas ein
neues „Ya Basta!“, dem vom Januar 1994 vergleichbar, eine neue Version des im
Oktober 1996 formulierten „Nie wieder ein Mexiko ohne uns!“, die andere
Horizonte eröffnen. Sie verlangen nichts, sie fordern nichts. Sie zeigen die
Potenz des Schweigens. Sie kündigen an, dass eine Welt untergeht und eine neue
entsteht.