Chiapas: Totgesagte leben länger

Sonntag, 23. Dezember 2012



(zas, 23.12.12) Wow! „Ewig“ hat man so gut wie nichts aus Chiapas gehört, und wenn, meistens schlechte News von erfolgreichen Spaltungsversuchen der PRD-Regierung des Gliedstaates, die es immer wieder schafft, Paramilitärs und konkurrierende indigene BäuerInnengruppen zu schweren Angriffen auf die zapatistischen Comunidades anzustacheln. Vorgestern haben sich die Zapatistas eindrücklich zurückgemeldet. Ein Bericht von desInformemonos.org (“¿Escucharon? Es el sonido de su mundo derrumbándose”: EZLN).
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„Habt ihr gehört? Es ist der Sound der untergehenden Welt“: EZLN



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 Am letzten 17. November wurde auf der Seite des Enlace Zapatista eine baldige Erklärung der Comandancia General des Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN) angekündigt. Wir haben ein Communiqué erwartet, nur wenige stellten sich das vor, was nun eingetreten ist. In einer seit den Tagen des zapatistischen Aufstandes von 1994 nicht mehr gesehenen disziplinierten und zeitlich parallelen Massenaktion besetzten zehntausende Zapatistas friedlich und in ohrenbetäubendem Schweigen fünf Städte von Chiapas. Einige Stunden danach veröffentlichten sie in kurzes Communiqué:
„To whom it may concern. Habt ihr gehört? Es ist der Sound der untergehenden Welt. Der unseren, wiederauferstehenden. Der Tag, der der Tag war, war Nacht. Und Nacht wird der Tag sein, der der Tag sein wird.“
Subcomandante Marcos, Mexiko, Dezember 2012
Zehntausende von unterstützenden Basismitgliedern des EZLN besetzten die Strassen von fünf chiapanekischen Gemeinden. Es war die erste, in sinnbildlichem Schweigen verlaufene öffentliche Demonstration der Zapatistas seit dem 7. Mai 2011, als sie sich dem Aufruf des Movimiento por la Paz con Justicia y Dignidad [gegen den Terror des „Drogenkriegs“] angeschlossen hatten.
In jeder der fünf besetzten Städte (Ocosingo, Las Margaritas, Palenque, Altamirano und San Cristóbal) marschierten die Tzeltales, Tzotziles, Ch’oles, Tojolabales, Zoques, Mames und MestizInnen mit ihren typischen Tüchern und Kopfmasken in Reihen und in striktem Schweigen. Männer und Frauen, die meisten jung, liefen in jeder der fünf Städte mit erhobener Faust über eine Tribüne. Das stellte den symbolischsten Ausdruck der ganzen Mobilisierung dar.

In San Cristóbal

Stärke, Disziplin, aussergewöhnliche Ordnung, Würde, Charakter, Zusammenhalt. Das ist nicht wenig. In den letzten 19 Jahren sind sie unzählige Male als tot, gespalten, isoliert deklariert worden. Und ein fürs andere Mal kommen sie und sagen: „Hier sind wir!“ Heute haben die 40'000 Zapatistas in den Strassen all diese Gerüchte mit einem Schlag abgestellt.
Nach San Cristóbal de las Casas, Stadt, in der die Zapatistas traditionell ihre Mobilisierungen ausserhalb ihres Territoriums durchziehen, kamen mehr als 20'000 Frauen und Männer aus Oventik her, wo sie sich einen Tag zuvor gesammelt hatten. Sie demonstrierten unter einem mit Tagesbeginn einsetzenden Regen. Der Marsch der 28 Detachemente (nach den Zahlen auf Gesichtsmasken der Gruppen) begann um halb neun in der Früh vor der Stadt; um Mittag befand sich der Demoschluss noch weit weg vom Zentrum. Der Platz reichte nicht, um sie alle aufzunehmen.
Es kam zu Unterstützungsrufen von BewohnerInnen und TouristInnen, die an einigen Stellen auch die zapatistische Hymne sangen. Die Läden liessen wie üblich ihre Gitter runter, von neuem von den Indios überrascht. Die Tribüne befand sich vor der Kathedrale, während sich die geordneten Blöcke um das erste Geviert der Stadt gruppierten.
Palenque, alte Ch’ol-Stadt und eines der wichtigsten touristischen Zentren des Staates, betraten die zapatistischen Indígenas über die Hauptstrasse. Sie hoben auf der Tribüne im Zentrum der Stadt die Faust und verliessen die Stadt über die Avenida Chiapas, um wieder in ihre Comunidades zu gelangen.
In Las Margaritas wiederholten die Zapatistas die Dynamik mit 7000 Basismitgliedern, während in Ocosingo mehr als 6000 Basismitgliedern die Aktion ab sechs Uhr früh durchzogen. Dieser Ort war auch beim Aufstand vom 1. Januar 1994 eingenommen worden, wo es dann in den ersten Kriegstagen zum Armeemassaker an ZivilistInnen kam. Es wurde bekannt, dass wegen Transportproblemen mehr als 8000 Zapatistas im Caracol [autonome zapatistische Gemeinde] von La Garrucha bleiben mussten. Seit den blutigen Kämpfen des indigenen Aufstandes haben sich hier nie mehr so viele Zapatistas versammelt.
Es sind viele Symbole, denn sie haben den letzten Tag des Maya-Zyklus ausgewählt, der für viele das „Ende der Welt“ bedeutete und für andere den Beginn einer neuen Ära, eine Häutung, eine Erneuerung. In seinen 19 Jahren war der zapatistische Kampf voller Symbole und Prophezeiungen, und dieser Moment stellte keine Ausnahme dar.
Seit die Comandancia General des EZLN ihr Wort angekündigt hatte, war die Spannung über den Inhalt ihrer Botschaft gestiegen. Aber diesen Freitag hörte man ihre Schritte, ihren schweigenden Marsch über die fünf Plätze, ihr würdiges und rebellisches Gehen in den Strassen.