http://www.heise.de/tp/artikel/37/37452/1.html
Harald Neuber
17.08.2012
Seit einem Monat läuft in Venezuela die Kampagne für die Präsidentenwahl am 7. Oktober. Es wird mit harten Bandagen gekämpft
Einen Monat nach Beginn des Wahlkampfes in Venezuela wird der Konflikt zwischen Amtsinhaber Hugo Chávez und seinem Herausforderer Henrique Capriles Radonski
mit zunehmender Härte ausgefochten. Die Armut in dem Land, mögliche
Interventionen und Pläne zur Destabilisierung - es gibt kaum ein Thema,
das in dem Schlagabtausch ausgespart wird. Knapp acht Wochen vor der
Abstimmung am 7. Oktober stellt sich damit auch die Frage, wie es nach
der Wahl weitergeht.
Nach einem Drittel des Wahlkampfes, der am 1. Juli
offiziell begonnen hatte, Venezuela aber eigentlich permanent
beherrscht, steht das Thema der Armut im Fokus. Der smarte 40-jährige
Capriles warf der linksgerichteten Chávez-Regierung zuletzt mehrfach
vor, auf ihrem zentralen Gebiet, der Sozialpolitik, versagt
zu haben. Obgleich die Chávez-Regierung seit ihrem Antritt Anfang 1999
die Erdöleinkünfte des Landes massiv in den Ausbau der Sozialsysteme
gesteckt hat, gebe es nach wie vor 2,5 Millionen Menschen, die mit einer
nur mangelhaften Ernährung auskommen müssen, sagte der Politiker der
rechtspopulistischen Partei Primero Justicia.
Amtsinhaber Hugo Chávez. Bild: chavez.org.ve |
Chávez würde dem Volk in diesem Zusammenhang
"unverschämte Lügen" auftischen, schob Capriles nach: Auch 13 Jahre nach
Beginn des als "Bolivarianische Revolution" bezeichneten
Reformprozesses gebe es nach wie vor Straßenkinder in Venezuela.
Die Angriffe trafen Chávez. Sein Herausforderer sei
"entweder ignorant oder ein großer Lügner, oder vielleicht doch eine
Kombination aus beidem", entgegnete der 58-Jährige. Tatsächlich sei die
Zahl der in extremer Armut Lebenden von 900.000 im Jahr 1998 auf derzeit
400.000 reduziert worden. Insgesamt würden noch 27 Prozent der Menschen
in Armut leben, gestand der amtierende Präsident, um hinzuzufügen,
"dass wir diese Quote in den kommenden Jahren auf Null senken werden".
Statistische Genauigkeit kann man im aufgeheizten Klima
des Wahlkampfes kaum erwarten. Ein rascher Blick auf die Erhebungen des
Nationales Statistikinstitutes (INE)
geben dem Amtsinhaber jedoch Recht: Ende vergangenen Jahres gab
INE-Präsident Elías Eljuri die extreme Armut mit 6,8 Prozent an. Die
"einfache Armut" sei von 41 Prozent auf 27 Prozent gesenkt worden, sagte
der Institutschef - und gab damit die gleiche Quote an, die Chávez nun
nannte. "Das sind nachprüfbare Zahlen, die auch von der CEPAL, der
UNO-Wirtschaftskommission für Lateinamerika, anerkannt sind", so Eljuri
im Programm Contragolpe des staatlichen Fernsehkanals VTV.
|
Capriles präsentiert sich als Vertreter des "brasilianischen Modells"
Der Disput belegt zugleich eine neue Taktik der
Opposition: Anders als in den vergangenen Jahren versucht sich Capriles
als gemäßigte Variante des polarisierenden Chávez zu präsentieren. Die
aggressive Kritik an der Sozialpolitik der amtierenden Regierung geht
daher mit dem Entwurf eigener Sozialprogramme einher, die sich
offensichtlich am brasilianischen Vorbild orientieren. Im Bundesstaat
Miranda, dem Capriles als Gouverneur vorsteht, legte er ein
Hungerbekämpfungsprogramm mit dem Titel "Hambre Cero" (Null Hunger) auf -
eine offensichtliche Parallele zu dem Konzept "Fome Cero", das 2002 von
dem damaligen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva
initiiert worden war.
Die Nachahmung des brasilianischen Modells trifft bei
der dort regierenden Arbeiterpartei (PT) jedoch nicht gerade auf
Begeisterung: "Wir amüsieren uns immer über Pressemeldungen, in denen
Lula als Guter und Chávez als Böser dargestellt wird", sagte der
führende PT-Politiker Valter Pomar, ein Vertreter des linken
Parteiflügels, Ende Juni auf einer Konferenz der Linksfraktion im
Bundestag. "Wir versuchen solche Darstellungen immer wieder zu
entkräften", fügte Pomar dabei an. Vor allem in Venezuela würde sich die
Opposition unter Cariles wiederholt als Verfechter des "brasilianischen
Modells" präsentieren: "Es gibt aber keinen politischen Unterschied
zwischen dem 'Lulaismus' und dem 'Chavismus' - es gibt zwischen uns nur
eine uneingeschränkte Solidarität."
Herausforderer Henrique Capriles. Bild: hayuncamino.com |
Neben dieser Imagekampagne der Opposition im laufenden
Wahlkampf, wird die aktuelle politische Lage vor allem durch zwei
Faktoren bestimmt: Zum einen ist es dem regierungskritischen Lager mit
der Nominierung von Capriles erstmals gelungen, einen gemeinsamen
Kandidaten aufzustellen. Zum anderen hatte die Krebserkrankung des
Amtsinhabers die Debatte lange dominiert. Zu Beginn des Wahlkampfes aber
erklärte Chávez die in Kuba behandelte Krankheit für besiegt. Seither
erwähnte er sie nur zwei Mal.
Um die Wiederwahl muss sich Chávez indes wenig Sorgen machen. Nach einer Erhebung
des Umfrageinstitutes Hinterlaces lag er mit 47 Prozent Ende Juli 17
Prozentpunkte vor Capriles, für den 30 Prozent der 1.500 Befragten
stimmen würden. Doch damit ist die Geschichte nicht zu Ende.
Was geschieht nach dem Wahltag?
Eine der vorrangigen Fragen ist nämlich nicht das
Ergebnis der Wahlen am 7. Oktober, sondern die Entwicklung am und nach
dem Wahltag. Chávez beschuldigt die Opposition angesichts des
wahrscheinlichen Wahlausgangs, das Ergebnis in Frage zu stellen, "um so
Chaos anzuzetteln" und eine politische Krise zu provozieren. "Ein Teil
der Bourgeoisie bereitet sich darauf vor, den Sieg des Volkes infrage zu
stellen, um das Land in eine politische Krise zu stürzen und mit Gewalt
zu überziehen", sagte er bei einer Wahlveranstaltung in der vergangenen
Woche in Caracas.
Darauf weise auch die Festnahme
eines US-Bürgers hin, der von Kolumbien aus offenbar illegal nach
Venezuela eingereist ist. Der Fall passt Chávez gut ins Konzept: Der
Mann lateinamerikanischer Herkunft habe im Pass Einreisevermerke aus
Irak, Afghanistan und Libyen gehabt, so Chávez, bei seiner Festnahme
habe er zudem ein Notizbuch "voller Koordinatenangaben" vernichten
wollen. Bestätigungen von Ermittlungsbehörden für diese Darstellung gibt
es zwar nicht, für das Regierungslager scheint der Fall aber klar: Die
Festnahme weise auf eine Einsickerung von Paramilitärs aus Kolumbien
hin. Tatsächlich waren in den vergangenen Jahren Dutzende dieser
Milizionäre festgesetzt worden. Aber steht die Opposition hinter diesen Aktivitäten?
Der Generalsekretär des Oppositionsbündnisses MUD, Ramón
Guillermo Aveledo, weist diese Anschuldigung entschieden zurück. Es
handele sich dabei "um altbekannte kommunistische Parolen", so Avaledo,
der sich selbst nicht gerade mäßigte: Die Regierung mache ihren Gegnern
dauernd irgendwelche Vorwürfe oder bezichtige sie,
Destabilisierungspläne zu verfolgen. Diese "Unterstellungen" seien
",eine bekannte Taktik des Faschismus und Stalinismus", sagte
Aveledo gegenüber dem Sender Unión Radio. Die Äußerungen auf beiden
Seiten belegen das angespannte Klima zwei Monate vor der entscheidenden
Abstimmung.
Wahlkampf in Venezuela ist immer auch Medienwahlkampf
Die Kampagnenstrategen von Chávez versuchen Capriles und
seine Mitstreiter nicht nur im Fall des mutmaßlichen Söldners mit
ausländischen Interessen in Verbindung zu bringen. Der Kampagnenchef und
Bürgermeister von Caracas, Jorge Rodríguez, warf dem
Oppositionskandidaten unlängst auf einer Pressekonferenz vor, Kontakte
mit dem ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe zu
unterhalten, den er als "Psychopathen, Mörder und Drogenhändler" bezeichnete.
Tatsächlich gereichen die Kontakte zwischen der
Opposition und dem rechtsgerichteten Uribe Capriles nicht zum Vorteil.
So erklärte der kolumbianische Ex-Staatschef unlängst, ihm habe für eine
militärische Invasion in Venezuela "leider die Zeit gefehlt". Chávez
reagierte auf seine bekannte Art. Uribe habe für einen solchen Schritt
mitnichten die Zeit gefehlt, sondern die "cojones", also die Eier.
Rodríguez präsentierte indes ein Foto, das Capriles’
Wahlkampfkoordinator Leopoldo López mit Uribe zeigt.
Solche Auseinandersetzungen werden in Venezuela
verstärkt auch über die Medien geführt. So präsentierte sich Chávez bei
einer Wahlveranstaltung zuletzt pressewirksam mit dem US-Schauspieler
und zweimaligen Oscar-Gewinner Sean Penn, einem erklärten Unterstützer
der linksgerichteten Regierung Venezuelas.
Angesichts der mehrheitlich regierungskritischen
Privatpresse können auch solche PR-Aktionen wohl aber nur wenig
ausrichten. Nach einer Erhebung
des Meinungsforschungsinstituts Hinterlaces positionieren sich private
Printmedien eindeutig gegen Chávez. Untersucht wurden von der Firma die
Berichte von sechs privaten Zeitungen - El Nacional, El Universal,
Últimas Noticias, Tal Cual, El Nuevo País und 2001 - zwischen dem 23.
und 29. Juli. Im Fall von Chávez macht der Medienanalytiker Federico
Ruiz Tirado 863 negative Adjektive, Attribute und Synonyme aus, in 311
Fällen fand er positive Termini. Bei Capriles zeigte sich das umgekehrte
Bild: In 697 Fällen wurde er positiv beschrieben, gerade einmal 150 Mal
mit negativen Bezeichnungen.