Argentinien: Aufruhr um Hebe de Bonafini

Freitag, 5. August 2016



(zas, 5.8.16) Seit 40 Jahren demonstrieren die Madres de la Plaza de Mayo auf dem genannten zentralen Platz in Buenos Aires. Sie haben der Diktatur getrotzt und ihre verschwundenen Kinder lebend zurückgefordert. Nach dem Ende der Diktatur kam es 1984 leider zu einer Spaltung um die Fragen der Führung und des Umgangs mit Massnahmen der ersten Nachdiktaturregierung in Sachen Verschwundene. Eine Gruppe nannte sich fortan Madres de la Plaza de Maya Línea Fundadora, die andere blieb beim klassischen Namen. In beiden kämpften die Mütter der ersten Stunde und die später dazugekommenen weiter. Die Mehrheitsgruppe mit dem Namen ohne Zusatz wird bis heute von Hebe de Bonafini (87) geleitet und gehört zur linken Fraktion des Kirchnerismus.
Gegen die Frau führt die argentinische Justiz eine Untersuchung wegen Korruption in einem Sozialwohnungsprogramm der kirchneristischen Regierungen. Auf gestern Donnerstag nun hatte Richter De Giorgi Hebe de Bonafini ein zweites Mal zum Verhör als Verdächtigte vorgeladen, worauf sie ihm am frühen Morgen per Anwalt ein Schreiben zukommen liess, dass sie auch dieses Mal nicht zum Verhör erscheinen werde. Der Richter schickte die Bundespolizei am Morgen los, mit dem Auftrag, Hebe de Bonafini aus dem Lokal der Madres vorzuführen. Denn wie jeden Donnerstag, würden die Madres auch gestern von hier zu ihrer traditionellen Demo auf der Plaza de Mayo aufbrechen. So war es auch. Doch 30 UnterstützerInnen stellten sich gegen die Polizei, skandierten „Madres de la Plaza, el pueblo las abraza“ (Mütter der Plaza. Das Volk umarmt euch) und geleiteten Hebe de Bonafini durch den Hinterausgang in Richtung Plaza.
Dann gab es SMS, WhatsApp, Anrufe – die Madres hatte gerade zweimal die Pyramide auf der Plaza umkreist, da demonstrierten nicht mehr 50 Menschen, sondern 400. Zwei Stunden später waren es 5000, und viele mehr sollten kommen. Die Leute der Gewerkschaft ATE der Staatsangestellten, in hartem Kampf gegen die Regierung Macri, unterbrachen ihren Kongress und eilten herbei. 
Soli-"Caravana de Emergencia". Quelle: Resumen Latinoamericano.

Bonafini verlas ihren Brief an den Richter, in dem sie, nachdem sie die Stationen erfahrenen Justizunrechts seit den 70er Jahren schilderte, schrieb: „Wir kämpfen dafür, dass wir uns eines Tages integren Richtern gegenübersehen, die uns helfen, in unseren Körpern den Wert von Gerechtigkeit zu spüren.“ Zum Korruptionsvorwurf, den der Hauptangeklagte Schoklender gegen die Madres und speziell gegen sie erhob, schrieb die alte Kämpferin dem Richter: „Freiwillig und dank grosser Anstrengung haben die Madres 60 Kartons mit Beweisstücken zusammen mit 40 Backups und anderen Elementen […] vorgelegt, die Sie nicht einmal lasen. Unzählige Male erschienen wir zur Einvernahme, wir legten Gutachterbeweise vor, dass die Unterschriften nicht meine sind.“  
 Der Richter ist insofern „zurückgekrebst“, als er die Polizei aufforderte, der Frau in einem als „opportun“ erachteten Moment habhaft zu werden. Das Medienkartell von Clarín und La Nación hat heute eine Kampagne gegen die „Unternehmerin“ Bonafini als schlimmsten Ausdruck der kirchneristischen Korruption lanciert. Hat Bonafini mit ihrer Weigerung, sich der Justiz zu unterwerfen, eine neue Kampfdynamik mitangestossen? Eine Justiz, die Verfahren gegen die Massenmörder der Diktatur offenbar auffallend zurück schraubt, dafür aber die Ex-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner unbedingt ins Gefängnis bringen will und die Parlasur-Abgeordnete Milagro Sala unter grausamen Bedingungen weiter inhaftiert hält. Jedenfalls war einer der meist skandierten Slogans gestern: “Si las tocan a las Madres, que quilombo se va armar” (Wenn sie die Madres anrühren, welch Puff werden wir veranstalten).