(zas, 30.8.16) Heute Abend wird der weisse Putsch gegen
Präsidentin Dilma Rousseff im Senat seinen formalen Abschluss finden. Die
Medieninternationale lügt in verschiedenen, jedoch stets affirmativen Tonlagen
zum Geschehen, am „progressivsten“ noch die Variante, wie sie etwa NZZ-Korrespondent
Tjerk Brühwiller vertritt. Ihm ist seit einiger Zeit klar, dass die Absetzung
putschistisch erfolgt. Das drückt er in seinem Bericht
von heute so aus: „Allen
Senatoren dürfte bewusst sein, wie dünn die rechtliche Grundlage des
Absetzungsverfahrens ist.“ Aber natürlich sei die Sache verfassungskonform.
Weiter führt er an: „Der Machtwechsel
könnte Brasilien guttun, besonders aus wirtschaftlicher Sicht.“ Sein Credo, seit Monaten vorgetragen. Die
Primitivlinge, die sich in den meisten andern Medien (auch in der NZZ) zum
Thema auslassen, mögen es nicht kapiert haben, doch natürlich ist den global
Mächtigen klar, dass die bigotte, rechtsradikale Kleptokratenmafia, die jetzt
im Land am Drücker ist, alles andere als eine Garantie für stabile
Ausbeutungsverhältnisse ist. Auch in diesem Punkt verfällt der NZZ-Schreiber in
seinen Dauersermon: „Doch die Tatsache,
dass mit Michel Temer und dessen Partido do Movimento Democrático Brasileiro
eine mindestens ebenso [wie der PT¡ von Opportunismus und Klientelismus
getriebene Gruppe das Zepter übernehmen wird, verspricht kein Ende der
politischen Krise.“
Aber eben, die wirtschaftliche Gesundung…
Dilma Rousseff: Damals vor dem Gericht der Militärdiktatur, heute vor jenem der "Märkte" |
Bisher hat sich das Kabinett Temer so etwas wie Zurückhaltung
auferlegt. Ab morgen, wenn der PT definitiv von der Regierung ausgeschlossen
ist, wird die Mafia so richtig loslegen.
Um eine Vorstellung zu bekommen, was das bedeutet, ein Blick
auf die bisherige „Bedachtsamkeit“.
Gestern berichtete
Brasil de Fato (BdF), gestützt auf eine Meldung
des Regimeblatts Folha de S. Paulo, dass das Putschkabinett das Programm zur
Bekämpfung des Analphabetismus „suspendiert“. Die schon angelaufenen Schulungen
werden zwar weiter abgewickelt, aber staatliche Informationen aus Gemeinden und
Einzelstaaten machen deutlich, dass keine NeuzugängerInnen zum Programm
akzeptiert werden. Das unter 2003 initiierte Programm hatte die
Analphabetismusquote im Land von anfangs 12.4 % auf 8.3% (immer noch über 13
Millionen Menschen) reduziert, unter den Erwartungen, aber immerhin etwas. Das
Erziehungsministerium teilte mit, „im
Moment seien keine Wiedereröffnung“ für Einschreibungen vorgesehen. Bis 2013
profitierte über eine Million Menschen vom Programm, aktuell sind es noch
168‘000.
Diese Sozialkürzung reiht sich ein, wie BdF schreibt, in die
Angriffe auf den Sozialwohnungsbau (Minha Casa Minha Vida) und die diversen
Unterstützungsprogramme für UnterklassenschülerInnen – und StudentInnen (Fies
und Pronatec).
Nicht zu vergessen: Auf dem Programm der De-fact-Regierung
stehen grosse Umwälzungen in den Bereichen Arbeit (massive „Flexibilisierung“)
und Pensionen (Privatisierungen und starke Erhöhung des Mindestrentenalters).
Segensreich im Sinne der Konzernmedien soll sich auch die für die nächsten 20
Jahre angestrebte automatische Ausgabenbremse (PEC) auswirken. Zwischen 35 und
40 Prozent sollen sich so die „unproduktiven“ Ausgaben für öffentliche
Gesundheit, Erziehung, Renten und Mindestlohn reduzieren.
Oh, und da wäre das schon angelaufene Verschachern der öffentlichen
Infrastruktur und der beträchtlichen energetischen Ressourcen des Landes, um
die es beim Putsch auf jeden Fall auch geht. Da bekommt ein NZZler natürlich
glänzende Augen und sieht gerne über eine US-gesponserte Putschlinie in
Lateinamerika und einen neuen Verlendungszyklus gegen Unterklassen hinweg.
Für Argentinien, wo der Sozialangriff schon entwickelter ist
als in Brasilien, hat Finanzminister Prat-Gay interpretative Hilfe geleistet. Wie
die Página/12 heute schreibt:
„Der Ex-Kader von JP Morgan versicherte
mit der Sensibilität eines Bankers: ‚Ich weiss, dass viele, die ihre Stelle
verloren haben, wissen, dass dies der einzige Weg war.‘“
Temer (Mitte) im Kreis des putschistischen Agrokapitals. Quelle: BdF. |