Notizen eines deutschen Anwalts in Guatemala (15)

Sonntag, 7. August 2016




Guatemala Stadt, Ende Juli 2016
Neben demin der Presseim Juli ständig kommentierten Korruptionsprozess gegen 57 Bankiers, Unternehmer, Geldwäscher, Minister und das ex-Präsidentenpaar (s. Notizen 14) gab es noch einen anderen historischen, von den Medien aber fast gänzlich ignorierten Fall. Am 27.7. wurden sieben Maya-Autoritäten in fast allen Punkten freigesprochen, womit eine Kriminalisierung, die Symbol geworden war, vorläufig endete und mit ihr 16 bis 25 Monate Haft.
In Guatemala gibt es seit Jahren Streit um das Wirtschaftsmodell. Auf der einen Seite haben die jeweiligen Regierungen hunderte von Minenprojekten autorisiert, zumeist europäischen und nordamerikanischen Kapitals, die wiederum Energieund damit Wasserenergieanlagen brauchen. Die Genehmigungen dieser Projekte kommen von korrupten Politikern, die sich die Tasche füllen und als Gegenleistung die potenziellen Abgaben auf ein Minimum reduzieren. Es ist kein Zufall, dass der ex-Energieminister Archilagerade mit Haftbefehl gesucht wird. Keiner weiss, wieviel in den Minen wirklich abgebaut wird und das Wenige, was bekannt ist, wird mit 1 bis 5 % versteuert. Fast alle “Projekte” liegen in Maya-Gebieten, weswegen das Konzept der “Verteidigung desTerritoriums” entstanden ist.
Guatemala ist durch die ILO-Konvention Nr. 169 verpflichtet, vor jedem dieser Projekte die indigene Bevölkerung zu befragen, was nie passierte. Vorsorglich wurde die nötige Verordnung zur Durchführung der Befragun-gen nie verabschiedet, weswegen viele Bürgermeister und lokale Organisationen “einspringen” mussten. Mehr als 300 (!) repräsentative Befragungen haben die jeweiligen Projekte bei hoher Beteiligung abgelehnt, so auch 2007 in Barrillas, Huehuetenango, als es um das Santa Cruz-Projekt ging; ein kleines Energieprojekt, das nie rentabel schien, was die Vermutung der Bevölkerung nährte, dass es sich um eine getarnte Mine handelte.
Um diesen Widerstand zu brechen, ordnete Pérez Molina 2013 den Ausnahmezustand an und eröffnete die systematische Kriminalisierung des Widerstandes; die begann mit einem Dossier des Unternehmens, das der Staatsanwaltschaft übergeben und skandalöserweise von dieser zur Grundlage ihrer Ermittlungen gemacht wurde. Es erstellt “Profile” von über 40 indigenen Autoritäten und macht sie, in alter Geheimdienstmanier, zu Terroristen und Kriminellen, ohne ihnen auch nur eine konkrete Tat vorzuwerfen.
2014 und 2015 wurden dann sieben dieser Personen festgenommen und über 40 weitere Haftbefehle erlassen. Ein korruptes Regime rief zur Verfolgung seiner Bevölkerung auf und verteidigte seine Pfründe, die mit jeder Konzession weiterwuchsen.
In Huehuetenango treffen zwei Welten aufeinander. Zum einen die neoliberale Logik, für die alles Geldwert hat, auch Wasser, Luft  und Menschen. Auf der anderen Seite eine Kosmovision, in der die traditionellen Autoritäten noch existieren, die integral Gemeindeangelegenheiten behandeln. Gleichzeitig suchen diese Autoritäten Kontakt mit staatlichen Stellen, nur dass ihre Dialogversuche in den letzten Jahrenins Leere liefen, weil die Regierung von Pérez sie zum internen Feind erklärt hatte. Erst wurden Videos über eine angebliche Guerrilla verbreitetund dann steckte das Unternehmen im Jahr 2013 alte Maschinen wohl selber an, was zu Ausnahmezustand und Militarisierung der Region führte.
Insgesamt waren es drei verbundene Prozesse: der erste wegen einer Auseinandersetzung zwischen Arbeitern des Unternehmens und der Gemeinde, die mit einem gemeinsamen Dokument endete; und zwei weitere um die juristische Aufarbeitung dieser Ereignisse, in der die “Terroristen” die Justizbeamten angeblich entführten, bedrohten, nötigten und ihre mit “Stöcken, Steinen und Macheten bewaffneten Anhänger” zu weiteren Straftaten aufriefen.
Die Anklage gerade wegenEntführung war kein Zufall, zieht sie doch Todesstrafe oder Freiheitsstrafe von 30 bis 50 Jahren nach sich und schliesst die Haftverschonung aus! Die “Entführung” des Gerichtspersonals soll übrigens im Gerichtin Anwesenheit bewaffneter Polizisten und in Handschellen passiert sein. Ein absurder Vorwurf, der die zum Teil über 70 jährigen Angeklagten die Freiheit kostete; erst im April, zwei Monate vor der Verhandlung, erreichte die Verteidigung die Ersetzung des Verbrechens der Entführung durch Freiheitsberaubung. Zwei der Angeklagten waren übrigens nie am “Tatort”, aber die Staatsanwälte weigerten sich, die Zeugen dafür auch nur vorzuladen.
In der Hauptverhandlung versuchte die Verteidigung dann nachzuweisen, dass die Autoritäten nicht nur unschuldig waren, sondern ihre Verhaftung der Konspiration von Staatsanwälten, Richtern und dem Unternehmen geschuldet war. Es war uns dabei völlig bewusst, dass wir von einem Gericht verlangten, seine eigenen Kollegen zu beschuldigen.
Die von der Staatsanwaltschaft präsentierten Zeugen verstrickten sich schnell in Lügen. Die vorsitzende Richterin sollte sich später während der Urteilsverkündung an die Angeklagten wenden und sagen: “Ich weiss, dass Sie unschuldig sind. Ich weiss auch, dass die Zeugen gelogen haben...” Aber leider trauten sich ihre Beisitzer nicht, dieser Schlussfolgerung vollständig zu folgen, hätten sie dann doch zur Konspiration ihrer Justizkollegen Stellung nehmen müssen. Die Richtermehrheit wählte den Weg des geringeren Widerstandes und verurteilte zwei der Angeklagten zu geringen Bewährungsstrafen.
Und trotzdem war das Urteil ein Sieg, der deutlich machte, dass hinter der Kriminalisierung Rassismus, Profitstreben und Korruptionstecken. Bischof Ramazini hatte es als Zeuge ähnlich gesagt: “Die Anklage ist eine Erfindung des Unternehmens” und er war persönlich zur Generalstaatsanwältin gereist, um sie davor zu warnen.
Miguel Mörth