„Nach Jahrzehnten der Grausamkeiten wurden die Warlords endlich zur Verantwortung gezogen. Dann schritten die Amerikaner ein.“New York Times, 10.9.16, Deborah Sontag: The Secret History of Colombia’s Paramilitaries and the U.S. War on Drugs.
(zas, 14.9.16) Der lange Artikel in der New York Times (englisch,
spanisch)
transportiert viele der üblichen Lügen und Dummheiten, wenn es um Kolumbien geht.
Die FARC betrieben den Krieg ebenso wie die Paramilitärs aus
Drogengeschäftsinteresse. Die Paras hatten nichts mit der Armee zu tun. Die USA
orientierten sich leider zu sehr an der Drogenbekämpfung und weniger an
Menschenrechtlichem. Usw. Dennoch enthält er interessante Infos.
Im Zentrum des Berichts steht die im Mai 2008 erfolgte Auslieferung
von vierzehn führenden Paras in die USA durch die Regierung Uribe. Die Journalistin
bringt immerhin das Motiv dahinter zur Sprache. Uribe hatte mit seinen
bisherigen Kumpels eine Pseudo-Demobilisierung ausgehandelt, die ihnen eine
Garantie der Nicht-Auslieferung an die USA oder etwa die Strafe einiger Jahre „Ruhe“
in ihren geraubten Besitztümern (statt Knast) einbrachte. Im Gegenzug sollten
sie der Justiz ihre Verbrechen beichten. Das mochten die Paras aber nicht so
besonders, die Sache schleppte sich geruhlich dahin. Bis das Oberste Gericht
des Landes 2006 die Bedingungen für die Strafmilderungen verschärfte und die
Massenmörder in Gefängnisse gesteckt wurden und sie sie zu detaillierterer „Kooperation“
mit den Strafvollzugsbehörden als Bedingung für eine justizielle Sonderbehandlung
verknurrte. Folge: Die Herren begangen zu singen. Machtfiguren im engsten
Umkreis des Präsidenten wurden wegen Komplizenschaft und Finanzierung der Paras
verhaftet, darunter, im April 2008, ein Cousin und Wegbegleiter des Paras in
der Casa Presidencial. Die Schlinge drohte sich um den Hals des Präsidenten
selbst zuzuziehen. Der Menschenrechtler und Senator Iván Zepeda sagte der
Journalistin: Die Paras wollten „gemeinsam
Aussagen machen, die Uribe in die Sache verwickelten.“ Doch „die Behörden drangen in die Zellen, wo sie
ihre Computer und ihre USBs hatten, und beschlagnahmten alles. Die ganzen
Beweise, die sie der Justiz vorlegen wollten, verschwanden.“
Uribe ging, erzählt die Times, Washington mit der Bitte um
die Auslieferung an. Die Gringos waren ganz Ohr. Uribe, so Sontag, gestützt auf
die Aussage eines/einer US-Offiziellen, „wollte
[die Paras] nach Arbeitsschluss des kolumbianischen Obersten Gerichts zusammen
geführt und ausgeflogen sehen, bevor das Gericht am folgenden Tag seine Arbeit
wieder aufnehmen würde. Uribe sagte, er befürchte, dass das Gericht die Auslieferung
stoppen würde. Die Amerikaner wurden aktiv. Sie mussten ‚die Männer aus den
vier Ecken des Landes an einem Punkt zusammenführen, danach musste ein Flugzeug
mit allen gefangenen an Bord sofort starten, bevor das Gericht am folgenden Tag
wieder arbeiten würde‘, sagte die/der Offizielle“.
Was die Mainstreammedien als Schlag gegen den Drogenhandel
gefeiert hatten – die Auslieferung – war natürlich anderen Ursachen geschuldet.
Heute sagt dies auch die NYT: „‘Das ganze
Land war geschockt‘, sagte Miguel Samper Strouss, ein ehemaliger
Vizejustizminister. ‚Es war, als ob sie unsere Chancen, jemals die Wahrheit zu
kennen und Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für unsere Opfer zu erlangen,
ausgeliefert hätten.‘“ Und Senator Zepeda meint zum gleichen Thema: „Diese Auslieferungen bedeuteten ein Vorher
und ein Nachher. Falls die Absicht wirklich war, Schweigen [der Paras] und
Straflosigkeit zu erreichen, hatte sie beträchtlichen Erfolg. Erst jetzt, nach
so vielen Jahren, sehen wir erste Resultate.“
Der Bericht detailliert,
dass die US-Justiz jahrelang zentrale Informationen über die US-Verfahren gegen
die Paras geheim gehalten hat. Erst jetzt, nach einigen Prozessen um das Recht
auf Zugang zu Informationen, werden einige Dinge etwas sichtbarer: „Während Jahren hüllte das Justizministerium
einen Geheimnisschleier um die Verfahren der Milizenmänner. Es versiegelte
nicht nur delikate Dokumente, sondern verbarg auch Grundinformationen und
schloss manchmal sogar [ZivilklägerInnen] aus.“
Die Times hat die Fälle der insgesamt rund 50 in die USA ausgelieferten
Paras untersucht. Sie wurden wegen Drogenhandel belangt, nicht wegen ihrer systematischen
Verbrechen gegen die Menschheit. „Für
Grossdrogenhändler, die auch als für Massaker, gewaltsames Verschwindenlassen
und die Vertreibung ganzer Dörfer verantwortliche Terroristen genannt wurden,
sind die [Ausgelieferten von Mai 2008] mild behandelt worden. Wenn die
kolumbianischen Paramilitärs ihre Strafen verbüsst haben, waren sie im Schnitt
71/2 Jahre im Gefängnis. Die im Mai 2008 ausgelieferten Anführer rund
10 Jahre, für Tonnen von Kokain. Im Vergleich sitzen Bundesgefangene für
Crack-Deals – meist weniger als eine Unze im Strassedeal – 12 Jahre ab.“
Nicht so erstaunlich, wenn man liest, was dem New Yorker Staatsanwalt
zu Salvatore Mancuso einfällt, dem Oberboss der Paras: „Mir“ erschien „er stets als
Gentleman“. Richter Reggie B. Walton vom US-Bezirksgericht Washington verurteilte
den berüchtigten Para-Boss Tovar-Pupo zu 16 Jahren Gefängnis. Er fand diese
Worte für den Killer: „Er war engagiert
in einem Kampf gegen einen Feind, der, hätte er gewonnen, kaum die
Lebensbedingungen für die Leute in Kolumbien verbessert hätte. Er war also in
einige Aktivitäten involviert, die einige positive Aspekte aufwiesen.“ Robert
Spelke, der erwähnte Ankläger Mancusos, steuerte dieses bei: „Einige dieser Leute waren richtige Schläger,
aber nicht so viele. Es ist manchmal schwer zu glauben, dass sie taten, was sie
taten. Sie haben klar ein paar widerliche Sachen gemacht. Aber wissen sie, es
war ein Bürgerkrieg da unten.“
Bei dieser Geisteshaltung dürfte es dem Verteidiger eines
der Angeklagten nicht schwer gefallen zu sein, Verständnis zu wecken, als er
von seinem Klienten sagte: Er „war zu
Beginn, und das können wir protokollieren, von unserer [US-] Regierung
finanziert.“
Mancuso, der "Gentleman", bei seiner Auslieferung 2008. |