Kolumbien: US-„Milde“ für Paramilitärs

Freitag, 16. September 2016



„Nach Jahrzehnten der Grausamkeiten wurden die Warlords endlich zur Verantwortung gezogen. Dann schritten die Amerikaner ein.“
New York Times, 10.9.16, Deborah Sontag: The Secret History of Colombia’s Paramilitaries and the U.S. War on Drugs.


(zas, 14.9.16) Der lange Artikel in der New York Times (englisch, spanisch) transportiert viele der üblichen Lügen und Dummheiten, wenn es um Kolumbien geht. Die FARC betrieben den Krieg ebenso wie die Paramilitärs aus Drogengeschäftsinteresse. Die Paras hatten nichts mit der Armee zu tun. Die USA orientierten sich leider zu sehr an der Drogenbekämpfung und weniger an Menschenrechtlichem. Usw. Dennoch enthält er interessante Infos.
Im Zentrum des Berichts steht die im Mai 2008 erfolgte Auslieferung von vierzehn führenden Paras in die USA durch die Regierung Uribe. Die Journalistin bringt immerhin das Motiv dahinter zur Sprache. Uribe hatte mit seinen bisherigen Kumpels eine Pseudo-Demobilisierung ausgehandelt, die ihnen eine Garantie der Nicht-Auslieferung an die USA oder etwa die Strafe einiger Jahre „Ruhe“ in ihren geraubten Besitztümern (statt Knast) einbrachte. Im Gegenzug sollten sie der Justiz ihre Verbrechen beichten. Das mochten die Paras aber nicht so besonders, die Sache schleppte sich geruhlich dahin. Bis das Oberste Gericht des Landes 2006 die Bedingungen für die Strafmilderungen verschärfte und die Massenmörder in Gefängnisse gesteckt wurden und sie sie zu detaillierterer „Kooperation“ mit den Strafvollzugsbehörden als Bedingung für eine justizielle Sonderbehandlung verknurrte. Folge: Die Herren begangen zu singen. Machtfiguren im engsten Umkreis des Präsidenten wurden wegen Komplizenschaft und Finanzierung der Paras verhaftet, darunter, im April 2008, ein Cousin und Wegbegleiter des Paras in der Casa Presidencial. Die Schlinge drohte sich um den Hals des Präsidenten selbst zuzuziehen. Der Menschenrechtler und Senator Iván Zepeda sagte der Journalistin: Die Paras wollten „gemeinsam Aussagen machen, die Uribe in die Sache verwickelten.“ Doch „die Behörden drangen in die Zellen, wo sie ihre Computer und ihre USBs hatten, und beschlagnahmten alles. Die ganzen Beweise, die sie der Justiz vorlegen wollten, verschwanden.“
Uribe ging, erzählt die Times, Washington mit der Bitte um die Auslieferung an. Die Gringos waren ganz Ohr. Uribe, so Sontag, gestützt auf die Aussage eines/einer US-Offiziellen, „wollte [die Paras] nach Arbeitsschluss des kolumbianischen Obersten Gerichts zusammen geführt und ausgeflogen sehen, bevor das Gericht am folgenden Tag seine Arbeit wieder aufnehmen würde. Uribe sagte, er befürchte, dass das Gericht die Auslieferung stoppen würde. Die Amerikaner wurden aktiv. Sie mussten ‚die Männer aus den vier Ecken des Landes an einem Punkt zusammenführen, danach musste ein Flugzeug mit allen gefangenen an Bord sofort starten, bevor das Gericht am folgenden Tag wieder arbeiten würde‘, sagte die/der Offizielle“.
Was die Mainstreammedien als Schlag gegen den Drogenhandel gefeiert hatten – die Auslieferung – war natürlich anderen Ursachen geschuldet. Heute sagt dies auch die NYT: „‘Das ganze Land war geschockt‘, sagte Miguel Samper Strouss, ein ehemaliger Vizejustizminister. ‚Es war, als ob sie unsere Chancen, jemals die Wahrheit zu kennen und Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für unsere Opfer zu erlangen, ausgeliefert hätten.‘“ Und Senator Zepeda meint zum gleichen Thema: „Diese Auslieferungen bedeuteten ein Vorher und ein Nachher. Falls die Absicht wirklich war, Schweigen [der Paras] und Straflosigkeit zu erreichen, hatte sie beträchtlichen Erfolg. Erst jetzt, nach so vielen Jahren, sehen wir erste Resultate.“
 Der Bericht detailliert, dass die US-Justiz jahrelang zentrale Informationen über die US-Verfahren gegen die Paras geheim gehalten hat. Erst jetzt, nach einigen Prozessen um das Recht auf Zugang zu Informationen, werden einige Dinge etwas sichtbarer: „Während Jahren hüllte das Justizministerium einen Geheimnisschleier um die Verfahren der Milizenmänner. Es versiegelte nicht nur delikate Dokumente, sondern verbarg auch Grundinformationen und schloss manchmal sogar [ZivilklägerInnen] aus.“
Die Times hat die Fälle der insgesamt rund 50 in die USA ausgelieferten Paras untersucht. Sie wurden wegen Drogenhandel belangt, nicht wegen ihrer systematischen Verbrechen gegen die Menschheit. „Für Grossdrogenhändler, die auch als für Massaker, gewaltsames Verschwindenlassen und die Vertreibung ganzer Dörfer verantwortliche Terroristen genannt wurden, sind die [Ausgelieferten von Mai 2008] mild behandelt worden. Wenn die kolumbianischen Paramilitärs ihre Strafen verbüsst haben, waren sie im Schnitt 71/2 Jahre im Gefängnis. Die im Mai 2008 ausgelieferten Anführer rund 10 Jahre, für Tonnen von Kokain. Im Vergleich sitzen Bundesgefangene für Crack-Deals – meist weniger als eine Unze im Strassedeal – 12 Jahre ab.“
Nicht so erstaunlich, wenn man liest, was dem New Yorker Staatsanwalt zu Salvatore Mancuso einfällt, dem Oberboss der Paras: „Mir“ erschien „er stets als Gentleman“. Richter Reggie B. Walton vom US-Bezirksgericht Washington verurteilte den berüchtigten Para-Boss Tovar-Pupo zu 16 Jahren Gefängnis. Er fand diese Worte für den Killer: „Er war engagiert in einem Kampf gegen einen Feind, der, hätte er gewonnen, kaum die Lebensbedingungen für die Leute in Kolumbien verbessert hätte. Er war also in einige Aktivitäten involviert, die einige positive Aspekte aufwiesen.“ Robert Spelke, der erwähnte Ankläger Mancusos, steuerte dieses bei: „Einige dieser Leute waren richtige Schläger, aber nicht so viele. Es ist manchmal schwer zu glauben, dass sie taten, was sie taten. Sie haben klar ein paar widerliche Sachen gemacht. Aber wissen sie, es war ein Bürgerkrieg da unten.“
Bei dieser Geisteshaltung dürfte es dem Verteidiger eines der Angeklagten nicht schwer gefallen zu sein, Verständnis zu wecken, als er von seinem Klienten sagte: Er „war zu Beginn, und das können wir protokollieren, von unserer [US-] Regierung finanziert.“
Mancuso, der "Gentleman", bei seiner Auslieferung 2008.