(zas, 29.9.16) Am kommenden 2. November finden in Nicaragua
Präsidentschaftswahlen statt. Laut den Umfragen liegen Daniel Ortega (Präsidentschaftskandidat)
und seine Frau Rosario Murillo (Vize) konsistent mit über 60 % vorn. Am 21. September 2016 verabschiedete das US-Abgeordnetenhaus
einstimmig einen von der ultrareaktionären Kongressabgeordneten Ileana
Ros-Lehtinen und ihrem Kollegen Albio Sires eingebrachten Gesetzesvorschlag
namens NICA Act (Nicaraguan Investment Conditionality Act). Es scheint unklar,
ob das Gesetz auch im Senat durchkommt und, falls ja, könnte Präsident Obama ein
Veto einlegen. Es verordnet, dass Washington künftig in den multilateralen Finanzinstituten
jeden Kredit an Nicaragua blockiert. Angeführter Grund: Ortega betreibe
Wahlbetrug. Erst wenn „der Staatssekretär
beglaubigt […], dass die Regierung von Nicaragua wirksame Schritte unternimmt,
um 1. freie, faire und transparente, von glaubwürdigen nationalen und
internationalen Beobachtern überwachte Wahlen abzuhalten; 2. die Demokratie und
ein unabhängiges Justiz- und Wahlsystem zu fördern; 3. den Rechtsstaat zu
stärken und 4. das Meinungsäusserungs- und Organisationsfreiheit zu
respektieren“, sieht
das Gesetz ein Ende dieser Politik vor.
In den 80er Jahren gehörte genau ein solches multilaterales
Kreditverbot zum „Krieg niederer Intensität“ gegen das sandinistische
Nicaragua.
Rosario Murillo und Daniel Ortega |
Auch wenn das transnationale Medienkartell unisono die
propagierte Sichtweise Ros-Lehtinens teilt, richtig ist diese dennoch nicht.
Der NICA Act führt etwa, wie die einschlägigen Medienberichte, auf, Ortega habe
seine Kandidatur verfassungswidrig per dem von ihm kontrollierten Obersten
Gericht durchgesetzt. Ausgelassen wird dabei, dass das Verbot einer erneuten
Kandidatur in den 90er Jahren mithilfe einiger auf dem FSLN-Ticket gewählter,
abtrünniger ParlamentarierInnen in die Verfassung geschrieben wurde, mit dem
erklärten Ziel, eine Kandidatur des durchaus populären Ortegas zu verhindern. Dito
berichten die US-Abgeordneten und die transnationalen Medien übereinstimmend,
der aktuelle Wahlbetrug zeige sich darin, dass der ebenfalls von Ortega
kontrollierte Oberste Wahlrat CSE vor einigen Monaten den bisherigen Führer der
stärksten Oppositionspartei, des PLI, Eduardo Montealegre, abgesetzt habe. Vordergründig
gab es einen internen Streit um einen von der Montealegre-Fraktion nicht
anerkannten Parteikongress, welcher eine neue Leitung wählte. Der CSE
unterstützte dabei die Fraktion gegen Montealegre. Da 16 der insgesamt 23 PLI-Abgeordnete
den formaljuristisch massgeblichen Entscheid des CSE nicht akzeptieren wollten,
ersetzte sie der CSE mit bisher stellvertretenden PLI-ParlamentarierInnen.
Realer Hintergrund ist allerdings wohl der folgende: Die Rechtsparteien
haben laut konstant gleichen Umfrageergebnissen keine Chance, gegen Ortega und den
FSLN zu gewinnen. Montealegre und die kleine Rechtspartei MRS beschlossen daher
einen Wahlboykottgegen angeblichen sandinistischen Wahlbetrug. Das wäre für die
imperialistische Propagandamaschine ein gefundenes Fressen gewesen. Eine andere
Fraktion im PLI wollte aus was für Gründen auch immer aber an den Wahlen
teilnehmen – und erhielt Rückendeckung von Ortega. Was Montealegre & Co. planten,
ist real Wahlbetrug. Während der neoliberalen Regierungszeit in den 90er Jahren
betrieb die Rechte (inklusive Montealegre) „natürlich“ eklatant, massiv und
routiniert Wahlbetrug, was den „glaubwürdigen internationalen BeobachterInnen“
der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der transnationalen Medien ebenso systematisch
entgangen war. Montealegre war in jener Zeit einer der Haupttäter und –profiteure
eines Multimillionenbetrugs mit Schuldentiteln (Cenis). Auch das stört heute,
wo die globale Rechte sich überschlägt im „Antikorruptions“-Eifer, natürlich
keineswegs.
Die Probleme im sandinistischen Lager, die peinliche
Tatsache etwa, dass der FSLN die Frau des Comandante
als Vizepräsidentin lanciert (wohl für den Fall eines möglichen Tods von Ortega),
sind real. Sie haben aber mit der imperialistischen Hetzte nichts zu tun. Und
natürlich geht es vielen Leuten heute in Nicaragua besser als vorher. Deshalb
die Attacke.
Die jetzt verschärfte Kampagne via US-Kongress wird den
Wahlausgang wohl nicht entscheidend beeinflussen können (a ver…). Aber sie
lässt keinen Zweifel, dass auch das sandinistische Nicaragua eher früher als
später ausgehebelt werden soll, im Einklang mit der Konteroffensive im
Kontinent. Mehr noch als anderswo werden hier „Menschenrechtsgruppen“, NGOs, „desillusionierte“
Sandinistas u. ä. den Begleitchor abgeben. Nur als Beispiel: Letztes Jahr
durften, wie Giorgio Trucchi Anfang August 2016 mitteilte,
die sog. Reformsandinistas des MRS und „Menschenrechtsgruppen“ mit Ros-Lehtinen
treffen, um die transnationale Sprachregelung des Umsturzes einzupauken oder zu
verfeinern. Und heuer im Juli anlässlich der demokratischen Konvention am International
Leaders Forum des National Democratic Institutes (NDI, eine Interventionsagentur
Washingtons) teilnehmen. Aber auch „gestandene“ Organisationen werden sich
einklinken. OAS-Generalsekretär Luis Almagro will demnächst einen Bericht gegen Nicaragua ausscheiden.