(zas, 19.2.17)
Es gibt eine klare Tendenz seitens des Regimes, das Friedensabkommen mit den FARC
nicht oder nur ungenügend zu erfüllen. Zuvorderst vielleicht das absolut
straffreie Agieren der Paramilitärs, das seit unserer letzten
Veröffentlichung dazu ungehindert und bedrohlich anhält (S. dazu auch Gewalt in
Kolumbien hält trotz Friedensprozessen an von heute). Nach Angaben von angegriffenen
Sozialorganisationen sind allein seit Anfang Jahr pro Tag zwei linke AktivistInnen umgebracht
worden, mit Schwergewicht auf Regionen in der Nähe der Besammlungsgebiete für
die FARC-Guerillas (Zonas Veredales Transitorias de Normalización, ZVTN, s. Karte).
Es trifft vorallem Mitglieder des Organisationenzusammenschlusses Marcha
Patriótica, doch pünktlich zum Beginn der Verhandlungen der Regierung mit der
Guerilla des ELN in Ecuador traf es auch wieder zwei AktivstInnen des Congreso
de los Pueblos. Das Regime identifiziert den ersten Zusammenschluss als soziale
FARC-Basis, den zweiten als jene des ELN.
Daneben
gibt es weitere besorgniserregende Beispiele einer systematischen Sabotage des
Friedensabkommens mit der FARC. Offensichtlich hat derzeit die Bestrebung Aufschwung,
dieses scheibenweise seines Inhalts zu entleeren und zu einem Gang der
Aufständischen in den Schlachthof oder zumindest die politische Unterwerfung umzuwandeln.
Der Brief eines Mitglieds des Frente 33 der FARC an den Oberkommandierenden Timochenko
sowie ein Kurzauszug aus einem Interview mit einem mittleren FARC-Kommandanten beleuchten
das aktuelle, gravierende Problem der FARC-Übergangszonen. Auch die Verweigerung
der Umsetzung des Amnestieabkommens, das ein zentraler Rechtsberater der FARC
in einem dritten Teil kurz thematisiert, stellt einen klaren Abkommensbruch
dar.
Natürlich
wird auch das ELN die Umsetzung des Abkommens mit den FARC in seine Verhandlungsposition
integrieren. Eine weiter anhaltende Sabotage des Abkommens würde auch eine
Verhinderung eines Verhandlungsabschlusses zwischen der zweiten Guerilla des
Landes und dem Regime bedeuten. Die faschistischen Kräfte in Kolumbien spüren Rückenwind
mit Trump, der schon angekündigt hat, das Abkommen mit den FARC zu „überprüfen“.
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Brief an Timo vom letzten Marsch in der Region
Catatumbo
Frente 33
der FARC, 16. Februar 2017
Genosse,
ich möchte Ihnen schlicht erzählen, was wir auf diesem Marsch zum Caño Indio erleben.
Es gibt
viele Schwierigkeiten, die fehlen wie gewohnt nie im Leben. Einige sind lösbar,
andere hingegen bleiben auf der Wartebank. So wie Sie es in ihrer letzten Note
geschrieben haben, versagt die Regierung bei der Logistik. Ihre Rolle besteht einzig
in der Orientierung, aber die für die Umsetzung Verantwortlichen haben freie
Hand. Sie erheben Angaben zu den für die Verschiebung notwendigen Wagen und
Nahrungsmittel, aber dann verwalten sie das nach Gutdünken. Wir mussten sechs
Autos in Caño Tomás und drei weitere in La Esperanza mieten und sie selber
bezahlen. Genosse, ich weiss nicht, aber wie ich das sehe, ist es nötig, dass
jemand von uns bei der Verwendung der Friedensmittel dabei ist und weiss, was
läuft. Dieser Mechanismus ist unklar. Es heisst, es sei Geld für die ganze
Logistik vorhanden, aber wer kontrolliert, wie diese Mittel wirklich verwendet
werden? Soweit ich sehe, nur die von der Regierung. Es bleiben viele Zweifel.
Aber vielleicht blicke ich da nicht durch?
Hier
studierten wir alle Ihr Zirkular Nr. 3, so dass wir wussten, was uns erwarten
würde. Deshalb haben wir uns vorbereitet. Wir wussten beispielsweise, dass es
von der Regierung keine Säfte geben würde; wir haben sie deswegen gekauft. Sie
wollten, dass wir einige gefrorene Bohnen frühstücken, die gleichen, die sie
uns am Vortag als Mittagessen anboten. Deshalb haben wir unser Frühstück selber
gekauft. Da wir wussten, dass dort, wo wir hingingen, nichts vorhanden sein
würde, haben wir Bretter, Latten, Tische, Astgabeln u. a. aus Waldmaterialien
hergestellt.
Wir sehen klar,
ist, dass die Regierung ihre Verpflichtungen nicht einhält, aber von uns
wortgetreue Umsetzung verlangt. Wir kennen sie bestens, so sind sie. Auf jeden
Fall sehen wir viel guten Willen bei unseren Leuten, und von der Mehrheit eine
Unterstützung. Aber wir sind besorgt, wenn wir daran denken, dass sich die Zukunft
sehr hässlich präsentieren kann und sie anfangen, alle Abkommen zu verletzen.
Das ist der Eindruck, den wir haben.
Wir haben
vor, so schnell wie möglich im Aufbau der ZVTN vorwärts zu machen, damit es
nicht Mai wird und wir noch nicht fertig sind. Soweit zum Hässlichen. Und jetzt
erzähle ich Ihnen, was uns Guerillas Mut und Zuversicht gibt.
Es ist die Unterstützung
der Leute, man kann sagen, des ganzen Catatumbo. Sie haben uns beim ganzen
Transport von Anfang bis Ende begleitet. Hier haben sie uns Essen zubereitet,
dort haben sie sich die Nacht um die Ohren geschlagen, um uns zu empfangen. Sie
haben uns mit solchen Willkommensgesten zu Tränen gerührt, mit ihrer Art, in
Wort und Tat zu sagen, was sie empfanden. Einmal sagte uns ein in die Jahre gekommener
Herr: „Heute sind wir gekommen, um Euch
zu begleiten. Aber wenn die Regierung die Abkommen bricht, werden wir wieder
hierher kommen, um Euch zu begleiten, um Euch dorthin zu bringen, woher wir
Euch geholt haben.“
Das hat uns
klar gemacht, dass, wenn uns die Regierung verarscht, uns das Volk wirklich wieder
von hier heraus holen und bei Wiederaufnahme der Waffen begleiten wird, falls
uns dies unglücklicherweise bevorstehen sollte. Jetzt ist die Stunde gekommen.
Es gibt 300 Campesinos, die 80 km von der ZVTN weg ihr eigenes Lager errichtet
haben. So ist das Volk, wir lieben es und sind stolz auf die Opfer, die wir
Guerillas für die Leute erbracht haben. Ich wäre zufrieden im Leben, wenn mit
unserem Kampf und den Abkommen viele der Probleme, die im Catatumbo drücken,
gelöst würden. Die Leute, Genosse, verdienen das wirklich. Das ist die Meinung
der Mehrheit von uns.
Das Campesino-Dorf nahe der Übergangszone der FARC. Quelle: Caracol, 16.2.17 |
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Ein weiteres Beispiel der Vertragsverletzung
Seit die
FARC begonnen haben, ihre (noch bewaffneten) Truppen in die in den Abkommen
vorgesehenen transitorischen Besammlungszonen zu verlegen, verdichten sich
Hinweise auf eine bewusste Strategie der Sabotage dieses Prozesses.
Vorangetrieben von der mafiös-klassischen Rechten um Ex-Präsident Álvaro Uribe,
aber letztlich bestimmt von der Regierung Santos. Überall das gleiche Lied:
Kein Trinkwasser, oder alles verschlammt, nichts steht… In einem Gespräch mit
der kolumbianischen Journalistin Vivián Andrea Ruiz, veröffentlicht von
Prensa Rural am 1. Februar, äussert sich Bairon Yepes von der Kommandantur des
Bloque Oriental der FARC dazu. Ein Auszug daraus:
Bairon Yepes. Quelle: Prensa Rural |
„Noch haben wir uns mit der Regierung nicht
über die Zone geeinigt, in die wir gehen werden. Die Regierung will uns in einer
Zone haben, die für uns ungeeignet ist. Es gibt ein Abkommen für ein 21.5 km2
grosses Gebiet, innerhalb dessen wir unsere Standort nach seiner militärischen
Sachdienlichkeit wählen können. Denn wir stehen immer noch unter Waffen und
müssen vorbeugen. Sie wollen uns einen Ort aufzwingen, dessen Zustand wir sehr
genau kennen, denn wir kennen das Territorium. Wir wissen, dass es dort in der
Regenzeit schlammig wird und sich Insekten ausbreiten, die Krankheiten
übertragen.“
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Politisch gewollte Sabotage
Auszüge aus
einem Interview
in der kolumbianischen Zeitung Semana vom 14. Februar 2017 mit Enrique
Santiago, spanischer Anwalt und Rechtsberater Enrique Santiago:
Semana: Was verzögert die Amnestie für die FARC-Guerilleros?
Enrique Santiago: Von wenigen
ehrenhaften Abnahmen abgesehen, setzen Richter und Staatsanwälte die Amnestie nicht um und bewilligen auch keine
im Amnestiegesetz vorgesehenen bedingten Entlassungen. Das Gesetz ist seit mehr
als 40 Tagen in Kraft. Die in manchen Gerichtsentscheiden vorgetragenen
Begründungen überraschen: Man wisse nicht, ob die Amnestierten in der Zukunft
nicht wieder rebellieren würden; dass die Spezielle Friedensjurisdiktion noch nicht
existiere; dass die Generalstaatsanwaltschaft noch kein Zirkular an die Staatsanwaltschaften
mit Anweisungen verschickt habe, wie das Gesetz umzusetzen sei; oder dass die
Regierung noch keine Orientierung gegeben habe. In einem Rechtsstaat braucht es
weder eine Anweisung der Exekutive noch ein Zirkular der Generalstatsanwaltschaft
für die Anwendung eines Gesetzes.
Wie kann diese Verzögerung die Waffenniederlegung beeinträchtigen?
Ohne Anwendung der Amnestie und
Freilassung jener Mitglieder und UnterstützerInnen der FARC, die darauf laut
dem Friedensabkommen ein Anrecht haben, ist es unverantwortlich, die
Waffenniederlegung zu fordern. Die FARC zeigen eine explizitere und effektivere
Verpflichtung auf den Friedensprozess als verschiedene Regierungsinstitutionen.
Ich gehe davon aus, dass sowohl der Generalstaatsanwaltschaft wie den Gerichte bewusst
ist, dass die Nichtanwendung der Amnestie eine grosse Unruhe unter den gefangenen
Guerillas und in der Basis der Guerilla provoziert. So wird Misstrauen
geschaffen und der Regierungswillen zur Umsetzung der Verpflichtungen in
Zweifel gezogen. Das stimuliert die Dissidenz in den FARC. In meinen Augen gibt
es Sektoren, die darauf abzielen, das Friedensabkommen auf diese Weise
scheitern zu lassen.