(zas, 22.
3. 17) Letzten Samstag demonstrierten vielleicht eine Million Menschen gegen
die geplante Rentenkonterreform der Putschregierung Temer (Renten nur ab 65 und
nach mindestens 25 Jahren Arbeit - für die Mehrheit unmöglich; private Pensionsfonds
– für die Mehrheit unerschwinglich - als Lösung für die Rausgefallenen). Hauptkraft bei
der Riesenmobilisierung war die LehrerInnengewerkschaft CNTE, deren Mitglieder
am 14. März einen zehntägigen Streik gegen die Rentenzerstörung begannen. Die
Demo gliedert sich ein in eine Reihe zunehmender Aktionen des Widerstands gegen
die neoliberale Zerstörung (und eine breite Mobilisierung um Lula, um dessen Präsidentschaftskandidatur
2018 gegen den Versuch der Justiz, ihn als Kandidaten auszuschalten, zu
schützen). Am 7. März blockierten 1500 Frauen des MST die Anlagen des
Agrogiftfabrikanten Vale Fertilizantes in Cubatão (São Paulo), der zum
brasilianischen Minen- und Logistikmulti Vale gehört. (Vale Fertilizantes
schuldet der staatlichen Rentenversicherung $ 90 Mio. Insgesamt schulden Privatunternehmen
der Versicherung nach Aussagen der Frauen des MST rund $ 140 Mrd. Temer &
Co. argumentieren wie auch hierzulande gewohnt mit der „Nicht-Nachhaltigkeit“
des öffentlichen Pensionsystems). Die Blockade war Teil eines Kampfzyklus der
MST-Frauen vom 6. – 10. März gegen die Rentenkonterreform. Am 10. übernahmen also
die LehrerInnen.
Cubatão, 7. März 2017: MST-Frauen blockieren Vale. |
Temer
versucht nun eine taktische Neuaufstellung: Er zieht die Reform für die von
Einzelstaaten angestellten LehrerInnen zurück, nicht aber für die vom Bund
besoldeten, für alle anderen Bundesangestellten und die Werktätigen im Privatsektor.
Die Einzelstaaten, so Temer, hätten ihre je eigenen Reformpläne.
Der Mord
Waldomiro Costa Pereira |
Am 19. März
wurde Waldomiro Costa Pereira im Spital der Stadt Parauapebas im Staat Pará im
Nordosten des Landes von einem fünfköpfigen Killerkommando umgebracht. Tags
zuvor wurde er mit Schussverletzungen hospitalisiert. Drei Killer hatten versucht,
ihn auf seinem Hof nahe von Eldorado dos Carajás zu erschiessen.
Spitalkameras nahmen das Killerkommando auf. |
Eldorado dos
Carajás? International ein Symbol für den Kampf für eine Landreform. Hier brachte
am 17. April 1996 die Militärpolizei 19 LandarbeiterInnen des MST um, in einer „Konfrontation“,
wie sich das Medienimperium O Globo noch heute nicht
zu lügen enthalten kann. Seither ist
der 17. April der Internationale Tag des Landkampfs. Waldomiro gehörte damals
zu den Überlebenden. 2 der von der Staatsanwaltschaft angeklagten 154
Militärpolizisten sind verurteilt worden (zwei Kommandanten). Im Pará gibt es
viele Landkämpfe, 14‘000
Familien lebten letztes Jahr in MST-Besetzungsaktionen.
April 1996: An der Beerdigung der LandarbeiterInnen. |
Einfühlsam - der „Skandal“
Fleischskandal
in Brasilien –die Schweiz ist davon angeblich nur am Rand betroffen, also
fliegt die Nachricht schnell wieder aus den Medien. Nicht ohne dass zuvor am
21. März die NZZ in Schadenbegrenzung gemacht hätte. „Unappetitliche Vorwürfe“, „Auch
aussenpolitisch ärgerlich“ – so die doch einfühlsame Tonlage zu einem gesundheitsschädigenden Grossbetrug, an
dem die beiden global führenden Multis JBS und BRF, und eine Reihe staatlicher
FunktionärInnen, eventuell bis hinauf zum noch amtierenden Justizminister
Temers, beteiligt waren. Die NZZ leistete ihren gewohnten Schreibeinsatz für
die „Argumente“ der Betrüger und ihres Landwirtschaftsministers: Die Bullen
hätten keine Beweise, bloss oft falsch interpretierte Abhörprotokolle etc. Dem
Wirtschaftskorrespondenten in São Paulo scheinen zwei Dinge aufgestossen zu
sein: dass seine Speise so gut wie angenommen vielleicht nicht gewesen sei, und
vor allem, dass das „Ärgernis“ protektionistischen Kräften Auftrieb geben
könne, wo doch eigentlich ein Freihandelsvertrag EU/Mercosur die Welt beglücken
sollte: „Die Lobbys der
Fleischproduzenten in den Absatzländern der brasilianischen Marktführer
bekommen nun Aufwind: Abgeordnete und der Agrarminister Irlands verlangen einen
umgehenden und permanenten Importstopp für brasilianisches Fleisch in Europa.
Auch in Belgien und Finnland gibt es Druck auf Brüssel, den Markt längerfristig
zu sperren.“
Demnächst einfühlsam – die Sklaverei?
Dass der „Marktführer“
JBS auf der „schmutzigen
Liste“ des Arbeitsministeriums auftaucht, die Unternehmen, die von „Sklaverei-ähnlichen“
Ausbeutungsbedingungen profitieren, erfasst, muss im Freihandels-Modus nicht
erwähnt werden. Um genau zu sein: Nicht
JBS, „bloss ihr Zulieferer“ (Fazenda
CSM). Falls über die „Affäre“ doch noch berichtet werden müsste, dürfen wir uns
wohl auf eine neue „Einfühlsamkeit“ freuen, wie sie JBS vorspurt. Sie teilt
nämlich mit, „dass ihre letzte
Kaufoperation mit Fazenda CSM Agropecuária Ltda am 14. November 2016 erfolgt
ist, also vor der Veröffentlichung der Liste der Sklavenarbeit durch Repórter
Brasil am 14. März 2017“. Ohnehin benutzt JBS „täglich erneuerte Blockierungsmechanismen, um den Kauf von Rohstoffen
bei Lieferanten zu verhindern“, die in der Sklavereiliste auftauchen.
Quelle: Repórter Brasil. |
Corporate Social Responsibility at its best! Ein Licht auf diese edle Politik
wirft Folgendes: Unter Präsident Lula wurde die “schmutzige Liste” ab 2003
veröffentlicht. Im Dezember 2014 verbot der Präsident des Obersten Gerichts, Ricardo
Lewandowski, ein Putschgehilfe, deren Publikation auf Verlangen einer
Immobiliengesellschaft. Im Mai 2016 hob die neue oberste Magistratin das Verbot
nach einer Änderung der Veröffentlichungsregeln auf. Das hinderte den Arbeitsminister
Temers, Ronaldo Nogueira, nicht daran,
am Veröffentlichungsverbot festzuhalten. Letzten Dezember verlangte aber die Arbeitsrechtliche Staatsanwaltschaft die Aufhebung
der Geheimhaltung, worauf Nogueira mehrere Rechtsschritte dagegen ergriff.
Seine Begründung: Es brauche eine weitere Problemdiskussion und es gelte, die
Rechtsgarantien besagter Wirtschaftssubjekte zu respektieren. (Die Liste wird
von der UNO als eines der wichtigsten Instrumente gegen die Sklaverei in
Brasilien taxiert.) Schliesslich konnte die auf Arbeits- und Umweltfragen
spezialisierte NGO Repórter Brasil gestützt auf das Informationszuganggesetz die
Liste erhalten und publizieren.
Quelle: Repórter Brasil. |