Brasilien: Drogenbarone gegen Candomblé, Psychiater gegen Schwule

Donnerstag, 21. September 2017



„Zerschlag alles, lösch die Kerzen, verjag alle Geister! Das Blut Jesu ist mächtig.“ Gottesfürchtiger Tiefgang, wie er in einem am letzten Wochenendeviral in den social media verbreiteten Video dargeboten wird. Juliana Gonçalves beschreibt in ihrem auf Brasil de Fato veröffentlichten Artikel: „‘Querem substituir a Constituição pela Biblia‘, diz sacerdotede matriz africana“ den Vorfall: „Man sieht, wie eine weiss gekleidete Frau gezwungen wird, in einem Zimmer ihre religiösen Objekte zu zerstören. Untersuchungen zufolge befolgte der Täter Befehle von Drogenhandelsbossen in Rio de Janeiro.“
Als Antwort auf und über den Vorfall hinaus kam es in Rio am letzten Sonntag zu einem Protest von AnhängerInnen und FreundInnen Afrika-stämmiger Religionen gegen religiöse Intoleranz. In São Paulo war etwas Entsprechendes für letzten Mittwoch geplant. Die Journalistin nennt als einen von einem der dortigen Organisatoren, Lucas d’Ogum, angeführten Grund „die prekäre Lage der ‚Völker des axé‘ [afro-brasilianische Musikrichtung], die oft von dem stets evangelischer und fundamentalistischer werdenden [Drogen-] Handel terrorisiert werden. ‚Freunde in Rio berichteten mir von der Situation dort. Es gibt Zonen dort, wo die Leute sich verstecken müssen wegen der Repressionen des Handels gegen die religiösen Manifestationen afrikanischer Herkunft‘, sagt er.“
Der Artikel fährt fort:
„Pater Sidney de Xangô ist Priester der Gemeinschaft da Comprensão e da Restauração Ilê Àse Sàngó in Sâo Paulo. Für ihn sind diese Akte religiösen Rassismus gegen die Kultorte des Candomblé Teil einer konservativen Woge im Land. ‚Aber die grosse Wahrheit ist, dass sie sich verbünden, um uns zu zerstören. Wir sind in einem ungleichen, unfairen Kampf, der sogar Teil eines Plans des Genozids am schwarzen Volk ist.‘“
Die Zahlen von Disque 100 [im Kampf gegen Homophobie 2011 von der PT-Regierung eingerichtete Telefonnummer des Menschenrechtsministeriums] bestätigen die Angaben von Pater Sidnei. Zwischen 2011 und 2016 stiegen die Denunziationen von religiösem Rassismus landesweit von 15 auf 750. In diesem Zusammenhang warnt Pai Sidnei auch vor der Mitschuld der Gesellschaft: ‚Wir leben in einer Zeit, in der die Leute sogar die Verfassung mit der Bibel ersetzen wollen.‘“
___
(zas) In dieses bestürzende Bild passt auch die Nachricht vor wenigen Tagen, dass ein Richter in Rio auf Ersuchen einer Gruppe von Psychologen die „medizinische Heilung“ von Homosexualität für rechtens erklärt hat. Diese „Therapie“, auch von der brasilianischen Standesorganisation abgelehnt, meint insbesondere die „Aversionstherapie“ – Schwulen bekommen etwa erotische Bilder von Männern gezeigt und werden gleichzeitig mit eklig riechenden Substanzen traktiert, oder sie erhalten im Fall von Erregungsanzeichen Stromschläge über an ihrem Penis angebrachte Elektroden.Mehrere der homophoben PsychologInnen sind in evangelischen Sekten beheimatet, wie Veja berichtet.
Gegen das Urteil läuft ein Rekurs. Nicht aber gegen die reaktionäre Putschkonstellation, die solches hervorbringt.