(zas,
19.5.18) Wer im Mainstream zu Venezuela mitlabbern darf, kommt dieser Tage
wieder auf Touren: Man weiss, dass die morgigen Präsidentschaftswahlen im
karibischen Land einen klaren Betrug darstellen, dass Venezuela schon längst
eine Diktatur ist und die Menschen wegen Medikamenten- und Nahrungsmangel
sterben oder flüchten.
Was jetzt
läuft, ist nichts anderes als Emotionalisierung für den Krieg. Wir kennen das,
z. B. von Libyen her. Wie stöhnte die geschundene, nach der NATO flehende Medienseele
ob der ganz bestimmt unmittelbar bevorstehenden Massaker der Gaddafi-Regierung
auf, um seither den Horror dort in Randnotizen und Mittelmassaker zu ersticken.
Jetzt hypern sie zu Venezuela, bewusste oder absichtlich unwissende GehilfInnen
des geplanten Massakers dort.
Sie reden
vom realen Notstand im Gesundheitswesen, apokalyptisch ‚verschönert‘, versteht
sich. Vor einigen Tagen haben wir über konkrete Eigenheiten dieses Notstandes berichtet:
Episoden vom mörderischen Schmuggel von Medikamenten etc. nach Kolumbien, von
westlichen Finanzblockaden gegen den Erwerb von lebenswichtigen Dialysemitteln
durch die venezolanischen Gesundheitsbehörden. Misión Verdad berichtete am 15.
Mai über andere „Eigenheiten“ des Mangels im Land (Recuento y análisis de los
contragolpes a las mafias fronterizas): In der Gemeinde Jáuregui im an Kolumbien
angrenzenden Gliedstaat Táchira, dem Dreh- und Angelpunkt der
Wirtschaftssabotage, soweit es den Schmuggel betrifft (und des Paramilitarismus),
wurden am letzten 10. Mai 200 Tonnen Nahrungsmittel gefunden. Ein Zehntel war für
den lokalen Verkauf, der Rest für den Schmuggel nach Kolumbien vorgesehen. Die
venezolanische Staatsanwaltschaft führt unter der neuen Leitung von William
Saab einen energischen Kampf gegen das Riesennetz des paramilitärisch
kontrollierten Schmuggels. Am 8. Mai organisierte sie eine Grossaktion gegen
den Schmuggel von subventioniertem Benzin aus Táchira nach Kolumbien, es kam
dabei zur Beschlagnahmung von 296 Fahrzeugen, von PKWs bis zu Autobussen und
Camions. That’s business, die Kleinschmuggelnden, die das aus Armutsgründen u.
ä. machen, sind Peones dabei.
Im Geist
der US-Truppe rechter lateinamerikanischer Regimes (der sog. Gruppe von Lima) äusserte
sich der kolumbianische Präsident Santos vor wenigen Tagen anlässlich einer
Unternehmerkonferenz in Ungarn zu Venezuela so: „Mit einem Regimewechsel – der sehr bald kommen wird – wird die
venezolanische Wirtschaft mit einer effizienten Regierung schnell wachsen und
die Chancen für Kolumbien werden enorm sein.“ Man könnte ja meinen, es sei
nicht Sache Kolumbiens, in Venezuela nach dem Rechten zu schauen, doch da würde
man die Tonlage der meisten Regierungen in Lateinamerika ignorieren. Solche Drohungen
gehören heute zum Standard demokratischen Gebarens.
Das fällt
den Imperiumsmedien ja auch nicht auf, da es von oben kommt, USA etc. Deshalb auch
ist ihnen auch ein Guardian-Artikel
vom 8. Mai nicht des Aufhebens wert. Dieser bezieht sich auf das kürzlich
publizierte Buch „Ejecuciones extrajudiciales en Colombia – 2002-2010“ von Omar
Eduardo Rojas, einem langjährigen, in den Ruhestand getretenen Obersten der
kolumbianischen Polizei, und dessen Mitautors Fabián Leonardo Benavides,
ebenfalls ehemaliger Polizeioffizier. Es geht darin um die falsos positivos, ungefähr „falsche Erfolgsmeldungen“. Unter diesem
Begriff flog 2008 eine entsetzliche Praxis der kolumbianischen Armee auf: Sie
hatte seit 2002 oft jugendliche Proleten aus Armutsquartieren der Grossstädte
mit falschen Jobversprechen von zuhause fort gelockt. Später wurden die in
FARC-Uniformen gekleideten Leichen dieser Männer von der Armee als im Kampf
gefallene Terroristen und als Beleg für die erfolgreiche Kriegsführung und die
Notwendigkeit weiterer US-Militärhilfe präsentiert. 2002 hatte unter dem
damaligen Präsidenten Álvaro Uribe der damalige Kriegsminister und heutige
Präsident Juan Manuel Santos eine Beförderungs- und Belohnungsregulierung für
jede/n getötete/n Guerilla erlassen.
Santos, Uribe |
Die
Rede war von über 3000 solcher falsos
positivos, mit deren Aburteilung sich die kolumbianische Justiz schwer tut
(einfache Soldaten wurden verurteilt, nie die verantwortlichen hohen
Offiziere). Die Studie von Rojas und Benavides kommt auf die enorme Zahl von
10‘000 solcher falsos positivos für
den Zeitraum 2002 – 2010. Ein kolumbianisches Medium zitiert
diesen Abschnitt aus dem Buch: „In den über das ganze Land verteilten 180
militärischen Einheiten setzten sich Personen in Uniform an den Tisch, um zu
entscheiden, wo ein Gefecht simuliert wird, von wo die Muchachos geholt werden
sollen, um sie zu ermorden, wer das Verbrechen ausführen soll und woher das
Budget für den Kauf von Waffen, Munition, Flugblättern und Computer stammen
soll. All das, um der kolumbianischen Gesellschaft die Idee zu verkaufen, diese
Jungen seien im Gefecht mit unseren Streitkräften gefallen. Aus diesem Grund
gab es nie einen Fall eines gefährlichen falso positivo.“
Der
Guardian schreibt: „Rojas sagte, Junge
mit Behinderungen wurden wegen ihrer Verletzbarkeit speziell ins Visier
genommen, sowie eine Handvoll von Armeeangehörigen, die als Whistleblower
verdächtigt wurden.“ Und noch etwas sagte Rojas: „Das ist nicht einfach etwas von früher. Wir finden noch heute Fälle
von falsos positivos. Nicht mehr mit der gleichen Intensität wie zuvor, und
jetzt nennt man sie ‚militärische Fehler‘“ (id.).
Schweigen
herrscht. Schliesslich ist Kolumbien ein der NATO angegliedertes Land, mit
prächtigen humanitären Charakteristika.
Und noch
ein Detail zum Demokratieverständnis. Die kanadische Regierung hat es der
Botschaft und den Konsulaten Venezuelas im Land verboten,
Wahltische in ihren Räumlichkeiten aufzustellen. Denn schliesslich hatte die
Aussenministerin Christya Freeland Anfang Woche gesagt: „Kanada weist das Abhalten einer illegitimen Präsidentschaftswahl unter
Ausschluss der Opposition und einer freien Presse, die nur dazu dient, ein
diktatorisches Regime weiter zu festigen, zurück.“ Weshalb diese Ecke der
Zivilisation heute nicht anders kann als zu bestimmen, was im
Botschaftsterritorium der venezolanischen Republik läuft und was nicht. Heute
die Botschaft, morgen das Land.
Ungehorsam gegen imperailes Wahlverbot: Chavistische Abschlusskundgebung. |