Präsidentschaftswahlen in Venezuela, 20. Mai 2018
Dienstag, 22. Mai 2018
von Dario Azzellini
Gemäß des zweiten offiziellen Bulletins vom Nationalen Wahlrat in Venezuela
ging Präsident Nicolás Maduro als klarer Sieger der Präsidentschaftswahlen
hervor. Er erhielt mit 67,76% der Stimmen und einer Wahlbeteiligung zwischen
46,02% (bei 98,7% ausgezählten Stimmen). Maduro erhielt 6.190.612 Stimmen.
Der wichtigste Oppositionskandidat Henri Falcón kam auf 21,02% (1. 917.036
Stimmen), der evangelikale Oppositionskandidat Javier Bertucci auf 988.761
Stimmen (10,82%) und der Kandidat der linken trotzkistischen Opposition
Reinaldo Quijada erhielt 36.246 Stimmen (0,39%).
Die Durchführung von Präsidentschaftswahlen mitten in der verheerenden
wirtschaftlichen und sozialen Situation, und unter dem Druck internationaler
Drohungen und Zwänge, ist bereits ein Erfolg für Venezuela.
Und angesichts der internationalen Medienpropaganda ist auch Folgendes
klarzustellen:
- Der Wahlprozess ist ein Ergebnis von, und wurde so durchgeführt wir vor
einigen Monaten zwischen der Regierung und der Opposition in der
Dominikanischen Republik verhandelt. Es wurde ">ein Abkommen
ausgehandelte, unter das - nach Druck und / oder Zusagen aus den USA - die
Opposition plötzlich am Tag der Unterzeichnung die Unterschrift verweigerte.
- Das venezolanische Wahlsystem ist sehr sicher und zuverlässig. Die
elektronische Stimmabgabe wird mit einem ausgedruckten Wahlzettel bestätigt
und die Ergebnisse der elektronischen Zählung können durch Zählen der
ausgedruckten Stimmzettel geprüft werden. ">Maduro kündigte am Sonntagabend
an, dass 100% der Stimmen manuell nachgezählt werden.
- Es ist falsch, dass Venezuela keine internationalen Beobachter zugelassen
hat. Venezuela hat die Vereinten Nationen und die Europäische Union
aufgefordert, Beobachter zu entsenden. Beide haben es abgelehnt. ">Es waren
mehrere hundert internationale Beobachter*innen in Venezuela, einschließlich
des ehemaligen Präsidenten des spanischen Staates, Zapatero, der sicherlich
kein Freund der Regierung oder des Prozesses ist.
Die Oppositionskandidaten Falcón und Bertucci haben sofort erklärt, das
Wahlergebnis nicht anzuerkennen. Das ist keine Überraschung. Nach allen
Wahlen in den letzten zwei Jahrzehnten weigerte sich die Opposition, die
Ergebnisse jedes Mal anzuerkennen, wenn sie die Wahlen verlor. Falcón
berichtete von 900 angeblichen Fällen von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl.
Die Mehrheit bezieht sich auf die so genannten roten Punkte, Stände von
Parteiaktivisten, um Bürger zur Wahlbeteiligung zu mobilisieren. Der Vorwurf
ist ziemlich schwach, um nicht zu sagen absurd, da die Abstimmung geheim ist
und es keine Möglichkeit gibt, herauszufinden, für wen die Wähler gestimmt
haben. Abgesehen davon, dass diese Mobilisierungsstrategie in den letzten
zwei Jahrzehnten sowohl auf der Chavista-Seite als auch von der Opposition
genutzt wurde. Nach den Berichten von Beobachter*innen befanden sich die
Roten Punkte – so wie es das Gesetz vorsieht - mindestens 200 Meter von den
Wahllokalen entfernt.
Die Opposition litt deutlich unter den Boykottaufrufen des rechtesten und
extremistischsten Flügels. Dies obwohl sich in den letzten Monaten immer
mehr Oppositionsführer auf die Seite Falcóns geschlagen hatten. Bei den
Präsidentschaftswahlen 2013 lag die Wahlbeteiligung noch bei 79,68%.
Tatsächlich bildeten sich in den ärmeren urbanen Gebieten und in den
ländlichen Gemeinden lange Schlangen vor den Wahllokalen, ähnlich wie bei
früheren Wahlen, während in den Stadtteilen de Ober- und Mittelschicht eher
wenig Andrang herrschte. Doch hätte die Wahlbeteiligung auch 20% höher
gelegen – 4 Millionen Stimmen mehr – und hätten diese alle für Falcón
gestimmt (was völlig unrealistisch ist), wäre der Sieger immer noch Maduro
gewesen.
Die überwiegende Mehrheit der Basisaktivisten, die ich in Venezuela kenne,
stimmte für Maduro, obwohl sie starke Kritik an der Regierungspolitik haben
oder sogar vehemente starken Konflikte (wie der Gemeinde El Maizal) mit ihr
austragen. Wer das Wahlergebnis disqualifiziert, wer es nicht versteht,
versteht Venezuela nicht. Mit all den Fehlern und Irrwegen, die die
Maduro-Regierung begangen hat, sehen die meisten Menschen an der Basis im
Fortbestand dieser Regierung die einzige Möglichkeit, weiter kämpfen und
ihre Projekte von unten aufbauen zu können. Ja, sie müssen hart kämpfen
und geraten in schwere Konflikte mit den Institutionen und mit der
Bürokratie, sie sind desillusioniert von der Korruption in vielen
Institutionen ... aber sie können weiterhin kämpfen und sie können ihre
Projekte von unten aufbauen. ">Mit jeder anderen von den Oppositionskräften
gebildeten Regierung würde diese Möglichkeit verschwinden.
Was jetzt?
Die internationale Rechte, die USA und die EU werden die Angriffe und
Sanktionen verstärken. Und obwohl Maduros Wahlsieg ein wichtiger politischer
Sieg auf nationaler und internationaler Ebene ist, wird er Venezuelas
Probleme nicht lösen. Venezuela erlebt zweifellos seine schlimmste Krise der
vergangenen Jahrzehnte. Die Inflation ist dramatisch, es gibt ernste
Schwierigkeiten, notwendige Medikamente zu bekommen und Lebensmittel zu
kaufen, viele arme Menschen müssen in langen Schlangen stehen, an
verschiedenen Orten suchen und hohe Preise an Spekulanten zahlen (außer sie
leben im Osten von Caracas, Lechería und anderen Vierteln der oberen
Mittelschicht und Oberschicht, wo alles zu finden ist). Viele
Venezolaner*innen verlassen das Land auf der Suche nach besseren Bedingungen.
Es ist unbestreitbar, dass die Regierung in ihrer Finanz- und
Wirtschaftspolitik schwerwiegende Fehler begangen hat und auch
mitverantwortlich für die Situation im Land ist. Es gibt kein
sozialistisches Projekt mehr. Die zentrale Rolle des Öls hat die
bürokratischen, zentralistischen, klientelistischen und korrupten Strukturen
der Vergangenheit reproduziert. Dem bolivarianischen Venezuela ist es nicht
gelungen, dieses Phänomen zu vermeiden. Außerdem fehlt es an Klarheit über
die Maßnahmen der Regierung (etwas, das Chávez immer sehr gut kommunizieren
konnte). Auf Seiten der Basis herrscht Misstrauen, inwieweit die Regierung
weiß, wie sie Krise lindern oder lösen soll. Korruption bleibt ein großes
Problem und der Autoritarismus hat zugenommen. Es gibt viele – auch offene
– Kritiken an der Politik der Regierung aus der Basis und auch aus der PSUV
selbst, und noch viel mehr von anderen Parteien, die die Regierung
unterstützen. Die Krise hat einen Großteil des sozialen Fortschritts
zerstört. Die Ungleichheit hat massiv zugenommen. Es gibt eine
besorgniserregende Öffnung zum internationalen Kapital.
In der venezolanischen Regierung (oder vielleicht sogar wieder mehr als
zuvor) ein Kampf zwischen verschiedenen Mächten. Das ist besonders
bezüglich der Landarbeiter*innen deutlich geworden. Während des letzten
Jahres und insbesondere während der vergangenen Monate wurden mehrere
Landbesetzungen von Bauernbewegungen und auch Ländereien, die
Bauernbewegungen legal zugeteilt wurden, von lokalen und regionalen
Polizeibeamten angegriffen und geräumt. Die Polizisten wurden teilweise von
lokalen und regionalen Institutionen und Richter*innen gedeckt und handelten
im Interesse von Großgrundbesitzer*innen. Am 10. April ging Maduro endlich
auf die Forderungen der Bauernbewegungen ein. Er bat die nationale
konstituierende Versammlung, eine Untersuchung einzuleiten und über die
Zwangsräumungen zu informieren, die die Bauernbewegungen in den letzten
Monaten erlebten. ">Gleichzeitig verbot Räumungen von Ländereien unter der
Kontrolle von Bauernbewegungen und warnte davor, dass "derjenige, der eine
Zwangsräumung durchführt, mit der vollen Härte der Gesetzes zu rechnen
habe". Maduro übergab auch 44.000 Hektar Land an Bauernbewegungen.
Der Aufbau des Sozialismus ist ein langer Prozess von unten, in dem es
notwendig ist, Institutionen dazu zu zwingen, auf Volkskämpfe zu reagieren
und mitzuhalten.
Trotz der aktuellen Krise durch den Zusammenbruch der Ölpreise, der
internationalen wirtschaftlichen und finanziellen Einkreisung Venezuelas, den
gewalttätigen Angriffen der Opposition, dem Wirtschaftskrieg der
Privatunternehmer, Mafias und Finanzinstitutionen, und auch der Fehler der
Regierung in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht, gibt es immer noch
ein breites Geflecht alternativer, popularer Projekte, die wir nicht aus den
Augen verlieren dürfen, denn dort entsteht das neue Venezuela. Und es ist
dieses Venezuela, das verteidigt werden muss, weil es das Venezuela ist, das
zerstört werden soll, weil es eine Quelle der Hoffnung ist. Es zeugt von der
Möglichkeit, dass eine andere Welt notwendig und möglich ist.