(zas, 22.1.19) El
Salvador gilt gemeinhin nicht als Land der Hypermoderne. Doch im jetzigen
Präsidentschaftswahlkampf werden virtuell futuristische Petarden gezündet. Die
Vorgänge erinnern zuweilen an einen Feldversuch: Wieweit können Menschen via
Social Media- Andocken an diffusen Groll in Bahnen gelenkt werden, die mit
Messianismus und coolem Lifestyle mehr zu tun haben als mit politischer
Positionierung?
Am 3. Februar treten
die regierende Linkspartei FMLN, die klassische Rechte im Bündnis um die
frühere Regierungspartei ARENA sowie die neue Partei Nuevas Ideas (NI) in
Allianz mit der ARENA-Abspaltung GANA zur ersten Runde an. Erzielt niemand mehr
als die Hälfte der abgegebenen Stimmen, kommt es am 10. März zur Stichwahl
zwischen den beiden Erstplatzierten. Sämtliche veröffentlichten Umfragen legen
mehr als 40 %, einige sogar mehr als 50 % der Stimmen für den Kandidaten Nayib
Bukele von NI/GANA nahe. Mit grossem Abstand folgen ARENA und abgeschlagen mit
rund 10 % der FMLN (dazu weiter unten).
Bukele ist ein reicher
Unternehmer. 2012 wurde er auf der FMLN-Liste Bürgermeister einer
hauptstädtischen Vorortsgemeinde und dann 2015 von San Salvador – der Frente
sah in der Allianz die einzige Möglichkeit, einen erneuten ARENA-Sieg in San
Salvador zu verhindern. Damit wurde der Mann über den schon beträchtlichen, per
Facebook unterhaltenen Fankreis von Mittelschichtskids hinaus, landesweit
bekannt. Ende 2017 warf ihn der FMLN aus seinen Reihen, denen er eh nur aus gesetzlichen
Kandidaturgründen angehört hatte, raus. Grund: Als die Parteileitung ihn als
Frente-Präsidentschaftskandidaten ausschloss, verwandelte er seine permanente Selbstbewerbung
via „Soziale“ und traditionelle Medien in eine offene Kampagne gegen den
Frente, der zu ARENA 2.0 geworden sei. „Die sind alle gleich“ war seit dem
ersten Wahlsieg des FMLN 2009 ein Motto von rechten Thinktanks, das über die
Medien andauernd unter die Leute gestreut wurde. Nun war es DAS Thema von
Bukele, dessen Aspiration auf die Präsidentschaft ihn nach seinem Rauswurf in
GANA einen sicheren Hafen für seine Kandidatur finden liess. NI hatte er
bewusst viel zu spät für die aktuellen Wahlen eingeschrieben, was ihm ermöglichte,
sich als Opfer der „Ewiggleichen“ zu gebären und den Deal mit GANA zu
rechtfertigen, um so deren Politschacherexpertise nutzen zu können. Diese
Partei war vom früheren Staatspräsidenten und ARENA-Chef Tony Saca gegründet
worden.
Es waren nicht nur
unerfahrene Jugendliche, die solche Manöver nur als edles Streben nach „Neuem“
wahrnahmen. Ich kenne mehrere SalvadorianerInnen, ihrem Selbstverständnis nach linke
KritikerInnen des FMLN, die diese Umtriebe als vernachlässigbare Konzessionen
zugunsten des Ziels des grossen cambio
revolucionario behandeln. Auch korrupte Machenschaften im Bürgermeisteramt
von San Salvador, deretwegen Bukele auch in Streit mit „seiner“ Partei geriet, scheinen
an ihm abzuprallen.
Verbesserungen…
Dieses «Teflon»-Phänomen,
das auf der Bewirtschaftung enttäuschter Hoffnungen basiert, wäre ohne Fehler
des FMLN nicht erklärbar. Vergessen wir nicht: 2009 wurde der FMLN mit enormen
Hoffnungen auf ein Ende der neoliberalen Zerstörung gewählt, 2014 nur noch
knapp bestätigt. Und er hat tatsächlich vieles erreicht: ein massiv
ausgeweitetes und verbessertes Gesundheits- und Erziehungssystem (nur als
Beispiel: die vorzeitigen Schulabgänge konnten von 2009 bis 2017 von 96‘000 auf
17‘000 reduziert werden; kostenfreier Besuch aller öffentlicher Schulen und
jetzt auch der Nationaluniversität für AbgängerInnen der staatlichen Schulen),
eindeutige Stärkung des Kinderschutzes (wieder ein Beispiel: von 2007 bis 2016
wurde die chronische Unterernährung von ErstklässlerInnen um 42 % reduziert);
staatliche Frauenzentren, deren Schutz-, Beratungs- und Ausbildungsdienste von
1.8 Millionen Frauen benutzt wurden); beinahe Mittelverdoppelung für
Kriegsverletzte und Menschen mit Behinderungen; Schaffung von 26‘000
Arbeitsplätzen pro Jahr im formellen Sektor und in der Landwirtschaft (in den
letzten 10 Jahren ARENA-Regierung waren das 75 Jobs pro Jahr); Reduktion der
Armut von 40 % auf 29 % der Haushalte; Verbesserungen in Sachen Klimaschutz
(von der Position 2 der am meisten gefährdeten Länder auf die Position 13);
grosse Fortschritte in der Landwirtschaft (inkl. Versorgung mit eigenen,
gentech-freien Saatguten dank Stärkung der kooperativen und kleinbäuerlichen
Produktion); weitgehend erfolgreiche Bekämpfung der Nahrungsmittelspekulation u.v.m.
Vieles bleibt oft unter der Wahrnehmungsschwelle. Auch dafür ein Beispiel:
Kürzlich kam an einem Treffen mit SalvadorianerInnen die Frage auf, wie viele
Tote es in den letzten Jahren bei den sich häufenden Stürmen und schweren
Überschwemmungen gegeben habe. Verdutzte Blicke – „ja … stimmt…“. Mit
Sicherheit fast keine mehr, im Gegensatz zu vor der FMLN-Regierung. Warum? Weil
der Zivilschutz aktiv die Kooperation mit lokalen Strukturen sucht, die sich
dabei auf Frühwarn- und Evakuationsmodelle wie jenes stützen können, das die Leute
am unteren Lempafluss gegen ihre systematische Missachtung durch die
ARENA-Regierungen entwickelt hatten.
(In „200
logros gobiernos del FMLN“ sind Verbesserungen und Veränderungen detailliert
aufgelistet.)
… und enttäuschte Hoffnungen
Trotz solcher
Fortschritte, die allein schon das NI-Gefasel von wegen null Unterschied
zwischen ARENA und FMLN erledigen, hat der FMLN auch viele Hoffnungen
enttäuscht. S. dazu Correos 191 (Chancen
und Limiten einer linken Regierung und Verwirren
oder Kämpfen). Super kurz zusammengefasst: die „verlockende“ Abgehobenheit
des Regierens, der Glaube an die Kraft der Regierungsleistungen, die
Verliebtheit eines zwar kleinen, aber medien-affinen Teils des FMLN-Kaders ins
Geschäftemachen. All das ist viel leichter festgestellt als bekämpft. So ist
schon seit einiger Zeit in Lateinamerika klar, dass noch so gute Werke (um
nicht von den fragwürdigen zu reden) allein keine Garantie für die
„Anhänglichkeit“ der Leute sind. Es ist das alte Lied: Werden Reformen erkämpft,
stärken sie Bewusstsein und Kampfbereitschaft, werden sie „geschenkt“, können
sie Passivität fördern, das ideale Terrain für Manipulierbarkeit. Das Problem
ist nicht, dies zu erkennen, sondern die Kräfte sowohl für eine (lebensrettende)
institutionelle wie eine Basisdynamik zu haben. „Exzesse“ kapitalistischen Räsonierens
sind dafür Gift. Etwa, wenn die Frente-Regierung Weltbank-konform die Subventionen
für den täglichen Bedarfsartikel Kochgas auf eine derart blinde Weise auf „real
Bedürftige“ fokussiert, dass es mindestens 100‘000 Unterklassenhaushalte trifft.
Und es erst die schwere Schlappe bei den Parlaments- und Gemeindewahlen von
letztem März brauchte, damit die Regierung realisiert, was sie angerichtet hat.
Am wichtigsten
vielleicht die technokratische Weise, in der Regierungs-, aber auch Parteikader
sich „dem Volk“ mitzuteilen beliebten. Das Problem war nicht, wie oft
dargestellt, eine „mangelnde“, sondern eine wiederholt verschleiernde
Kommunikation. Linke Kräfte verlieren so ihre Glaubwürdigkeit, also die emanzipatorische
Mobilisierungskraft.
Fanons Haare sträuben sich
Dann beginnt die
rechte Kampagne - „die sind alle gleich“ - zu greifen, die ja immer nach linken
Etappensiegen zum Einsatz kommt. Markiert die Rechte erst wieder Terrain,
verstummt diese Hetze. Hier ist der Auftritt Bukeles zu situieren. Er sagt
nicht, die Rechte sei gut, er sagt, die Linke und die Rechte seien das Gleiche
bzw. er allein repräsentiere historisch linke Inhalte, wobei diese Labels heute
aber überholt seien. Damit appelliert er an zwei Momente bei vielen Leuten. Zum
einen an den Groll, entstanden wegen der erwähnten Schwierigkeiten in FMLN und
Regierung, aber auch sehr stark aufgrund der Unmöglichkeit radikalerer
Veränderungen im gesellschaftlichen und transnationalen Machtkontext. Zum
andern richtet sich dieser Diskurs an aufwärts mobile Schichten, die es gerne
cool haben, also bitte ohne lästigen, gar gefährlichen Kampf. Motto: Guter
Spruch, click, und schon gibt’s einen Change. In diesem Mittelstanddunst sind
die Kerntruppen des Bukelelagers zu situieren. Als Bukele kürzlich in seiner
Show sein „Regierungsprogramm“ präsentierte, jubilierte
ein bekannter Bukelista und „Analytiker“: Er bringt uns „ein Stück Europa“. Kein Ausrutscher. Die Orientierung am Modell der «Entwickelten»
ist Programm. Bukele verspricht, mittels geeigneter Tricks und Einfälle die
Gesellschaft in die Modernität des Cyberraums zu transportieren. Die «weisse»
Orientierung wirkt auch in der Migration. In einem politisch gemischten
salvadorianischen Whatsapp-Chat in Europa meinte eine Frau, ihre Landsleute sollten
weniger streitsüchtig sein und sich an den EuropäerInnen orientieren, die
Differenzen in zivilisierter Diskussion bereinigen. Sie lebt in einem Land, in
dem faschistische Bewegungen und Regierungsmassnahmen gegen MigrantInnen
Urständ feiern. Und sie aspiriert darauf, Botschafterin in diesem Land zu
werden.
Immer wieder Probleme: Warteschlange für subventioniertes Ga 2013. |
Solo-Tänzer
Nayib kann
Massenanlässe organisieren, aber seine Auftritte erfolgen ausnahmslos in
«freundlichem» Ambiente: im TV-Auftritt als Solostar, in der Wahlkundgebung,
vorallem aber in Facebook und Twitter. Er, der sich als diskussionsfreudiger
Moderner gibt, scheut die Debatte wie der Teufel das Weihwasser. Mit gutem
Grund – in der Auseinandersetzung schneidet er schlecht ab. Eine Erfahrung hat ihm gereicht: Als er Ende
Oktober an der Jesuitenuniversität UCA Aufschluss über sein Regierungsprogramm
geben sollte, erging er sich in Angriffen auf die (abwesenden) Mitbewerber,
trotz wiederholter UCA-Insistenz auf der Frage nach seinen Vorschlägen. Damit
hat er in den „kultivierten“, stets auf einen dritten Weg zwischen links und
rechts ausgerichteten Kreisen um die UCA an Appeal verloren. Seither verzichtet
Bukele auf Auftritte vor einer anderen als der Fangemeinde. Er widerrief seine
Teilnahme an Debatte der Präsidentschaftskandidaten mit dem Argument, die
jeweils einladenden Organisationen – von der linken Nationaluniversität bis zum
rechten Sender – hätten sich gegen ihn verschworen.
Das ist erklärbar. Wie
ARENA, aber im Gegensatz zum FMLN, hatte auch Bukele kein Regierungsprogramm
vorgelegt. Abgesehen von ein paar Allerweltvorschlägen ohne jede Substantiierung
(Gesundheitssystem verbessern, Arbeitsplätze schaffen etc.) hatte Mr. Virtual eigentlich
nur zwei konkrete Dinge von sich gegeben: Die Installation einer von der
Washingtoner Gemeinschaft gepushten weitgehend extraterritorialen
Antikorruptionskommission und den Bau eines neuen internationalen Flughafens im
Osten des Landes, zusätzlich zu dem gerade zu gross ausgebauten nahe der
Hauptstadt. Woher er für letzteren Punkt die Finanzen und die Mengen von nach
El Salvador drängenden FlugpassagierInnen nehmen will, bleibt sein Geheimnis.
(Die Lufthansa dementierte eine von Bukeles Newsportal Última Hora am 3.
November verbreitete Nachricht an «Interesse» an diesem Projekt).
Flughafentpour in München als Foto-Op für ersehnte Investitionen. |
Reality Show
An einer von der Vereinigung
privater Radiosender für den 13. Januar angesagten Kandidatendebatte nahm Bukele
nicht teil, gab dafür aber bekannt, zur gleichen Zeit sein Regierungsprogramm via
«Facebook Live» vorzustellen. Die Ausstrahlung erfolgte wie angekündigt. Nur: Nayibs
über einstündiger „Auftritt“ vor den begeisterten Leuten war in Wirklichkeit
eine zusammengeschnittene Studioaufnahme vom Vorabend, einschliesslich der unzähligen
charmanten und witzigen Antworten auf die Reaktionen des mitgerissenen virtuellen
Auditoriums. Nun, danach waren alte und neue Medien voll mit Kommentaren dazu und
zu der beeindruckend grossen Zahl von Plagiaten in seinem Regierungsprogramm:
Da wurden akademische Arbeiten mit Modellen des Flughafens von Abu Dhabi,
Territorialprogramme der jetzigen Regierung mit Massnahmen des
Gesundheitsministeriums zur Preiskontrolle bei Medikamenten ausgiebigst kopiert
und als Ergebnis einer enormen Volksbefragung per Facebook ausgegeben.
Darauf, dass «Facebook
Live» real «Facebook Montiert » war, geht Bukele trotz grossem Hallo im
Land in seinem Social-Media-Universum mit keinem Wörtchen ein. Augenzwinkernd
an die Fan-Gemeinde: «Seht, wie souverän ich mit ihnen spiele». Gamen und
Augenzwinkern liegen ihm, etwa auch, als er letzten Dezember ganz du und ich
eine Twitterdebatte mit Fans und Trolls über die aufregende Frage führte, welche
von mehreren US-amerikanischen Sci-Fi- und Comicfiguren (Darth Vader etc.) wohl
den Kampf gegen die anderen gewinnen würde. Fun is.
Was aber steht im
Regierungsprogramm? Vieles kann man als reine Aufzählung von Desideraten ignorieren,
ohne jede konkretere Aussage dazu. Anderes ist eine Umformulierung aktueller
(und bedenklicher) Regierungsprogramme zur sog. Entwicklung des Küstengebiets
und des Nordens des Landes, beide von den USA angestossen. Bei sämtlichen
Vorschlägen fehlt jede Andeutung zu ihrer Finanzierung, ausser dem
Generalcredo, dass dem Staat mit der Korruptionsbekämpfung in Zusammenarbeit
mit der ersehnten transnationalen Kommission die Gelder zufliessen werden. In Guatemala, wo eine solche Kommission seit
Jahren primär damit beschäftigt ist, im Zeichen der Bekämpfung der nur zu realen
Korruption die Herrschaftsmechanismen im Land im Sinne der Transnationalen zu
modernisieren, ist die Arbeit erfolgreich, was die Ausschaltung überkommener
Machtstränge, aber nicht, was die Staatskassen für soziale Programme betrifft. Wenig
originell Bukeles Herleitung der Korruption: ARENA und FMLN haben eine korrupte
Staatsklasse geschaffen, die den Markt und seine soziale Marktwirtschaft am
Funktionieren hindert.
Reality Show: Das abwesende Publikum grüssen... |
Die Kultur von Star Wars
Es scheint, Bukele hat
seinen Auftritt nach Event des verstorbenen CEO von Apple, Steve Jobs,
modelliert. Könnte sein. Auffallend war auf jeden Fall die Betonung, El
Salvador werde unter seiner Leitung voll bei der 4. Industriellen Revolution
dabei sein, alles eine Frage des Willens. In diesem Land, in dem der
Neoliberalismus die Industrie weitgehend abgeschafft hat, können uns also
forcierte Technikausbildung (insbesondere IT) und uberisierte Modelle für die
Produktion in smarten Maquilas in ein goldenes Morgen führen. Wichtig sei in
diesem Zusammenhang eine „digitale Regierung“: Gibt es irgendeine Krise, hat
der Präsident dank entsprechender Reorganisation des Regierungsapparats alle
für eine effiziente Antwort nötigen Infos über den Stand der Dinge im Land per
Knopfdruck auf seinen Grossbildschirmen im Blick. Ovation des Publikums. Du
sahst die «Facebook Fake»-Show und hast dich an die «War Rooms» in Sci-Fi- oder
CIA-Filmen erinnert.
Auf einen Blick sieht der Präsident den Strassenzustand des Landes und reagiert effizient. |
The medium is the
message, sagte mal ein Futurist.
Umfragen, Unsicherheiten
Einige
Umfrageinstitute stehen auf der rechten Lohnliste. Der Zentralamerikachef des
Instituts Mitovsky (Superresultat für Bukele) etwa erhielt unter
ARENA-Staatspräsident Tony Saca grosse Beträge aus einer geheimen Staatskasse.
Der wegen Korruption verurteilte Saca ist der reale Gründer von GANA, für die
Bukele kandidiert (die Idee des Flughafens im Osten stammt übrigens von ihm).
CID-Gallup (ebenfalls Kantersieg von Bukele) ist notorisch unzuverlässig, nicht
nur in El Salvador: Bei den letzten Präsidentschaftswahlen in Guatemala etwa
sahen sie einen Kandidaten einsam an der Spitze, der dann unter ferner liefen
landete. Der FMLN-Intellektuelle Walter Raudales, der während 10 Jahren für die
rechte Privatuniversität Gavidia Wahlumfragen gemacht hatte, kritisierte vor
wenigen Tagen die Unseriösität der meisten Institute, die seinen Ausführungen
zufolge viel zu wenig Leute befragen, um zu einem Resultat mit akzeptabler
Fehlerquote zu gelangen. Nur: Warum kommen dann alle mehr oder weniger auf die
gleichen Resultate, warum ermitteln sie nie ein Patt oder die Führung von ARENA
oder FMLN? Das Bukele-Lager verweist zur Begründung seines Umfragehochs darauf,
dass jetzt manche bisher Wahlunwillige an die Urne gehen wollen, gerade auch gerade
erst wahlberechtigt gewordene Jugendliche. Allerdings blieb deren zu
beantragende Neueinschreibung ins WählerInnenregister auch dieses Mal sehr
tief.
ARENA behauptet, in
eigenen (unveröffentlichten) Umfragen in Führung zu liegen. Für den FMLN
seinerseits bahnt sich ein Wechsel an: Sein Kandidat Hugo Martínez sei am
Aufholen, ARENA komme seit einer Weile nicht mehr weiter, Nayib breche langsam
aber sicher ein. Es zeichne sich für die erste Runde ein dreifaches Patt ab. Leider
hat der Frente vor der massiven Niederlage letzten März auch von knappen
Resultaten gesprochen. Solche Bekundungen können blosser Ansporn für die eigene
Basis sein, nicht jetzt schon das Handtuch zu werfen. Andererseits gibt es
Anzeichen für eine Minderung der Popularität Bukeles. Für das erste Januarwochenende
hatte Bukele die Mobilisierung von 200’000 Freiwilligen angekündigt, die sich
für Arbeiten in den Wahlzentren und die Kontrolle des korrekten Wahlverfahrens
einschreiben würden. Die weitgehend leer gebliebenen Zelte mit den
Einschreibelisten reflektierten einen verblüffenden Flopp.
Wo blieben die 200'000? |
Im Gegensatz dazu
gelangen dem FMLN in der letzte Zeit grosse Mobilisierungen mit entsprechender
Ausstrahlung nach innen und aussen. Nur, die Linke war in Sachen
Strassenmobilisierung schon immer stärker als die Rechte, Wahlen hat sie
trotzdem oft verloren.
Sollte Nayib gewinnen,
ist sehr offen, was aus ARENA werden wird. Der Frust, schon wieder nicht an die
Staatströge zu gelangen, dürfte dann die inneren Spaltungsmomente massiv
aufladen. In den FMLN-Reihen würde eine herbe Niederlage eine enorme
Enttäuschung auslösen; möglicherweise käme es zu einer Auseinandersetzung
zwischen einem linken, an den gesellschaftlichen Kämpfen (etwa gegen die von
rechts angestrebte Wasserprivatisierung) orientierten Flügel und einer
Business-freundlichen Strömung.
Mobilisierung gegen Wasserprivatisierung. |
Was die
FMLN-Leitung klar gemacht hat, ist, dass es auch bei einer 2. Runde zu keinem
Deal mit Bukele komme (mit ARENA sowieso nicht). Also entweder Aufruf zur
Stimmenthaltung oder Stimmfreigabe. Bei einer Konstellation ARENA vs. GANA
würden wohl viele Frente-WählerInnen ihre Stimme für das “kleinere Übel”, gegen
die Rückkehr einer ermutigten und rachsüchtigen ARENA, abgeben.
Geschlossenes Universum und seine Enthüllung
Das wäre
logischerweise verständlich, aber riskant. In vieler Hinsicht bleibt das
Bukele-Phänomen eine Black Box. Die Allianz mit GANA inklusive Präsenz mehrerer
Politstrategen von Tony Saca und anderer ehemaliger ARENA-Grössen in seinem
Führungskries spricht eh schon Bände. Vorallem aber lässt seine
“Technoaffinität”, also die Bereitschaft, sich in neue Ausbeutungsverhältnisse
einzubringen, Schlimmes befürchten. Und es wäre wohl ein Novum, dass ein
Wahlausgang derart krass per Social Media bestimmt werden könnte. “Social”
Media meint hier über das Technische hinaus die virtuelle Schaffung eines in
sich geschlossenen Polituniversums der friends, immun gegen Infiltrationen der
korrupten Aussenwelt. Z. B. musste die NI-Riege wissen, dass die Fälschung der
Reality Show und die Plagiate schnell enthüllt würden, dass die Ankündigung eines
Hochgeschwindigkeitszuges quer durchs Land reihum mit Spott provozieren werde.
Es scheint, die Bukele-Gruppe setzt darauf, dass ihre «Gemeinschaft» gegen jegliche
Anfechtung von aussen geimpft sei und einfach die Botschaft hören wolle, dass «die
alle gleich» sind und sich jetzt, mit der Lichtgestalt, alles ändere. Das steht
wohl hinter der Diskussionsverweigerung, hinter dem “coolen” Ignorieren der
Kritik an gefälschten Auftritten, hinter der “spielerischen” Frage nach der
Stärksten der Sci-Fi- und Comicfiguren. Eine neue Variante der Messianismus –
messianisch nur schon deshalb, weil einzig durch einen «Zaubertrick» - die
Stimmabgabe, das Klicken auf das «like» - die neue Zukunft bringen wird, so
anders als das Heute. Ohne Kämpfe, ohne organisierte Präsenz im Territorium, just
follow the leader …. Man muss z. B. Mario Durán gesehen haben, einen der Profipropagandisten
Bukeles. Er durfte die Reality Show mit Interviews mit prominenten Bukelistas
einrahmen. Nach Bukeles Auftritt sah man im Studio einen Durán nach Worten
ringen. Denn Bukele hatte nicht ein Programm präsentiert, nein, er hatte eine
Vision offenbart. Durán brauchte Zeit, um aus der Entrückung zu sich zu kommen,
mehr als Dinge wie “Habt ihr das gehört?” wie trunken von sich zu geben …. Mit
Bestimmtheit wussten er und die Interviewten, wie gefälscht die Show war. Aber wie
dem Sektenprediger ging es ihnen darum, den Glauben zu vermitteln, auf dass er
Wunder wirke, Wahlwunder.
Das ist das Programm!
Über einen Bukele hinaus.
Félix Ulloa ist
Bukeles Wahl für die Vizepräsidentschaft. Er war während des Kriegs in den
80-er Jahren im Exil und später ein fortschrittlicher Magistrat am Wahlgericht.
Und dann - Direktor des
National Democratic Institute in Haiti und Marokko. Das NDI ist ein
Tentakel der National Endwoment for Democracy (NED) der USA, also eines
zentralen Instruments der Washingtoner Interventionspolitik um den Globus. In
El Salvador zirkuliert die Einschätzung, dass bei einem Sieg von GANA-NI Bukele
für die Show und Ulloa eher fürs Regieren zuständig sein werden.