USA: den Putschmoment verpasst

Montag, 9. November 2020

 

Allan Nairn (in Democracy Now)*

COVID – in diesem Kontext, bald ein Viertel Million Tote hat Trump im Kern kriminell gemordet – benutzt er zynisch zu seinem politischen Vorteil. Er sagte seinen AnhängerInnen: «Macht euch wegen COVID keine Sorge. Geht in die Wahllokale und wählt.» Er hatte registriert, dass die Demokraten ihren Leuten sagen: «Nein, COVID kann euch umbringen.» Ein medizinischer Tatbestand. Trump meinte: «Toll. Die Demokraten werden brieflich wählen. Ich werde einfach die Post sabotieren.» Gesagt, getan. Zweifellos werden viele Wahlzettel von DemokratInnen nicht rechtzeitig ankommen.

Und jetzt sagt Trump in einem zweiten Schritt: «Erklärt die angekommenen Wahlzettel für ungültig.  Zählt sie nicht.» Dann werden die republikanischen AnwältInnen vor die Gerichte ziehen, in der Hoffnung auf einen der zahmen Bundesrichter, die sie haben, oder auf den jetzt zahmen Supreme Court, damit die sagen: «Ja, diese Wahlstimmen sind ungültig». Und falls das nicht klappt, sind sie bereit, einige republikanische Parlamente aufzufordern, die Ergebnisse in ihren Gliedstaaten zu ignorieren und Pro-Trump-ElektorInnen zu ernennen[i]. Lindsey Graham[ii] erwähnte diese Möglichkeit.

Auf der Strasse haben sie zudem ihre bewaffneten harten Typen, die Trump von Beginn weg kultiviert hat – die Milizen, die bewaffneten ZivilistInnen, die rassistischen Polizeigewerkschaften. Sie haben sie zuerst zu den Wahllokalen aufgerufen. (Übrigens, eine weitere, während Jahren von republikanischen Parlamenten und GouverneurInnen betriebene Form der strukturellen Manipulation besteht in der systematischen Reduktion der Anzahl von Wahllokalen in Gebieten mit Anti-Trump-Tendenz, was Gerichte chirurgisches racial profiling genannt haben.) Sie haben ihre harten Typen zur Präsenz vor den Wahllokalen in Feindesterritorium aufgefordert, um die Leute einzuschüchtern, damit sie nicht hingehen. Jetzt, wo die Auszählung läuft, suggerieren Leute wie Don Jr., Bannon, Gorka[iii] und, wenn auch nicht so direkt, Trump selber die Möglichkeit physischer Angriffe auf die Auszähllokale.

6. November: Vor dem Auszählzentrum des Maricopa County, Phoenix Arizona. Bild: AP

Ich habe während vieler Jahre US-Operationen im Ausland unter Leitung der Special Forces und der CIA gesehen und dagegen angekämpft, wo sie systematisch versucht haben, Wahlen aufzumischen und manchmal auch Putsche zu unterstützen. Der letzte in Bolivien 2019. Vor diesem Hintergrund kann ich sagen, dass du den richtigen Moment für den Einsatz deiner Strassenkräfte erwischen musst. Und ich denke, Trump hat diesen Moment wohl verpasst, als er in den kritischen Stunden spät in der Wahlnacht wie ein verhinderter Schläger zu schmollen anfing. Das wäre der Moment gewesen, seine Leute auf die Strasse zu beordern und die Auszählung zu stoppen und zu zerschlagen. Da hat er versagt. Sie versuchen jetzt aufzuholen. Aber ich glaube, der Moment ist nicht günstig für sie.

Vieles hängt dabei von der politischen Atmosphäre ab. Der einzige Grund etwa, dass Obamacare noch existiert, wenn auch reduziert, ist, dass, als die Sache vor einigen Jahren vor den Supreme Court kam, Richter Roberts aus Angst vor der öffentlichen Reaktion den republikanischen Vorstoss zur Liquidierung von Obamacare ablehnte. Er fürchtete den öffentlichen Rückschlag. Jetzt halten auch die militantesten rechten RichterInnen ihre Ohren offen. Sie schauen auf die Stimmung auf den Strassen. Und sie achten darauf, mit was sie durchgehen können. Sie machen alles, womit sie durchkommen können. Aber wenn sie denken, etwas gehe nicht durch, unterlassen sie es.

Das bringt uns zum Senat. Seine Kontrolle wird [im Falle eines Biden-Siegs] zentral. Falls die Demoraten den Senat nicht kontrollieren können, wird McConnell[iv] versuchen, als eigentlicher Co-Präsident zu agieren. Und der Supreme Court mit seiner radikal rechten 6:3-Mehrheit wird sich zu jeglicher Sache ermutigt fühlen.

·        aus Democracy Now, 6.11.20: Allain Nairn: Trump and Republicans Use Legal & Physical Means in Attempted Coup Against Democracy.

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(zas) Der US-Journalist Allan Nairn hatte in den 80-er Jahren zu US-gestützten Todesschwadronen in Guatemala und El Salvador recherchiert. Anfang der 90-er Jahre war zu Ost-Timor aktiv, wo er zusammen mit Amy Goodman von Democracy Now Zeuge eines indonesischen Armeemassakers wurde. Beide wurden gefangen und misshandelt. Nairns Recherchen waren wichtig für die Streichung 1993 der US-Militärhilfe für das indonesische Regime. 1994 enthüllte er die intimen Beziehungen Washingtons mit der haitischen paramilitärischen FRAPH. 2017 beschrieb Nairn die engen Verbindungen der jihadistischen, IS-liierten Organisation FPI, einem paramilitärischen Tentakel der indonesischen Armee, mit Carl Icahn. Der Milliardär Icahn war damals Deregulierungsberater Trumps.



[i] A. d. Ü.: So unglaublich das klingt, die Verfassung erwähnt nirgends, dass die Bestellung des Electoral College von Wahlresultaten abhängt. Das College wurde zur Gründungszeit der USA als Mittel zur „Korrektur“ von nicht genehmen Volksentscheiden installiert.

[ii] Pro-Trump-Senator.

[iii] Don Jr.: Sohn Trumps. Gorka: Ungarisch-stämmiger Faschist, liiert mit Steve Bannon, eine Zeit lang Sonderberater des Präsidenten, Islamhasser, Verschwörungstheoretiker bei Breitbart, Fox usw.

[iv] Mitch McConnell, aktuell Chef des Senats.