(zas, 10.11.20) Die Freude gilt der Niederlage Trumps, nicht dem Sieg Bidens. Es gibt seit langem das Bild von den beiden Flügeln des Raubvogels – Dems und Reps. Dieses Wissen verkommt, wenn es zur Verweigerung von Empathie mit jenen, die auf den Strassen der USA feiern, dient. Vielleicht gehen viele der Feiernden den Dems auf den Leim. Aber ihre Freude hat damit zu tun, dass der offen aggressive Rassismus, die zur Good-Deal-Maxime erhobene Menschenverachtung, der faschistische Fundamentalismus aus Kreisen von Milliardären fürs Erste nicht durchgekommen ist. Dass die angestrebte Deportation hunderttausender MigrantInnen mit temporärem Legalitätsstatus wohl vom Tisch ist. Dass, wie ein rechter CNN-Kommentator weinend zum Biden-Sieg sagte, Schwarze nun ein wenig unbeschwerter auf die Strassen gehen. Und vieles mehr.
Biden war der Vize des Deporter-in-Chief-Präsidenten, war dessen Vize während der stets ausgeweiteten Drohnenmorde, der Putsche in Brasilien, Paraguay, Honduras, des Starts des Sanktionenmassakers in Venezuela, des beginnenden Genozids in Jemen … Kein Grund für Hosianna-Rufe.
Und kaum war der Sieg Bidens absehbar, begannen die Bosse der Demokratischen Partei das Rollback gegen ihren linken Flügel. In Georgia wird es am 5. Januar zur Stichwahl für den Senat kommen und damit zum Entscheid, wer diesen kontrolliert. Common Dreams schreibt, dass Exit-Polls von Fox News (!) zufolge 72 % der Leute in Georgia für eine Stärkung der staatlichen Krankenkasse und 63 % für deren umfassende Version, Medicare for All, sind. Seit langem ist klar, dass Viele Obamacare ablehnen, u. a., da damit zwar manche überhaupt eine Gesundheitsversorgung bekommen, aber ein Teil der arbeitenden Bevölkerung mehr bezahlen muss als vorher. Also nicht aus den Gründen für die republikanische Offensive für eine Liquidierung des staatlichen Sozialnetzes. Medicare for All war einer der wichtigsten Inhalte für die Kampagne des progressiven Flügels der Demokratischen Partei, also jenes Flügels, der den Präsidentschaftssieg in Swing States wie Michigan, Georgia oder Wisconsin ermöglicht hatte. Biden hatte sich während der Kampagne gegen Medicare für all ausgesprochen und für eine abgespeckte Version einer öffentlichen Krankenkasse nur für «Bedürftige».
Am Tag nach der Wahl beschuldigten die «zentristischen», also neoliberalen Dems des Repräsentantenhaus in einer Konferenz ihrer Gruppierung die mehr links stehenden Mitglieder ihrer Fraktion, für die Verluste in der Parlamentswahl. Absurd: dort, wo es Fortschrittliche geschafft haben, sich in den Primärwahlen trotz Parteiestablishment zu behaupten, wurden sie am 3. November fast alle gewählt. Im Gegensatz zu «Gemässigten». Deren Fraktionskader James Clyburn warnte in der «Gemässigten»-Runde, das Thema «vergesellschaftete Medizin» gefährde die beiden Senatsstichwahlen in Georgia. «Diese Präventivattacke auf ein universelles Gesundheitssystem», so Common Dreams, «durch Clyburn, einen Topempfänger von Geld aus der Pharma, erfolgt nur Tage nach der Polls-Serie von Fox News», die zeigten, dass 72 % der WählerInnen in Georgia für eine öffentliche Krankenkasse sind.
Moral von der Geschicht: Big Money kann sich auf die Parteioberen verlassen. Offenbar ist die Perspektive eines von nun noch extremeren Rechten dominierenden Senats und eines dadurch «notwendig» gemachten Arrangements mit dem «Gegner» weniger dramatisch als eine Aussicht auf soziale Massnahmen.
Georgia: 198'351 Wahlberechtigte «vor allem Menschen of color, Geringverdienende und Junge» sind von der republikanischen Regierung dieses Staates widerrechtlich von der Wahlbeteiligung ausgeschlossen worden, schrieb Greg Palast gestern. Sein Recherchierfonds, unterstützt von alten Organisationen des Civil-Rights-Movement wie NAACP und Southern Christian Leadership Conference, hat dies herausgefunden. Die Menschenrechtsorganisation ACLU kämpft jetzt dafür, dass alle dieser Leute an der Stichwahl teilnehmen können.
Auch mit so etwas hat die Hoffnung vieler Leute zu tun, nicht mit Teilhabe am Klassenkampf von oben.