https://amerika21.de/2020/12/246005/wahlen-venezuela-geringe-beteiligung
Caracas. Mit einem störungsfreien Verlauf aber sehr geringer Beteiligung hat Venezuela am Sonntag seine Parlamentswahlen abgehalten. Gegen zwei Uhr morgens veröffentlichte die Wahlbehörde CNE nach Auszählung von etwa 82 Prozent der abgegebenen Stimmen erste Ergebnisse.
Bei einer Wahlbeteiligung von 31 Prozent entfielen auf das Bündnis der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV), Großer Patriotischer Pol, 67,6 Prozent und über dreieinhalb Millionen Stimmen. Verschiedene Wahlbündnisse der Opposition vereinigten 22,14 Prozent und damit mehr als eine Millionen Stimmen auf sich. Das neue, erstmals unabhängig vom Regierungsblock angetretene Linksbündnis "Revolutionäre Volksalternative" auf der Liste der Kommunistischen Partei Venezuelas erzielte 2,73 Prozent und 143.917 Stimmen. Weitere Parteien und Listen erhielten 6,79 Prozent. Das Endergebnis der Auszählung ist im Laufe des Tages zu erwarten.
Rund 200 internationale Beobachter aus 34 Ländern aus fünf Kontinenten begleiteten den umstrittenen Wahlprozess. Die Europäische Union, die von der venezolanischen Regierung ebenfalls zur Wahlbeobachtung eingeladen war, lehnte mit der Begründung ab, dass nach ihrer Ansicht die Bedingungen für eine demokratische Abstimmung nicht gegeben seien. Damit stützte sie im Vorfeld die Haltung der US-Regierung und den Aufruf der radikalen Rechtsopposition in Venezuela zum Wahlboykott, der mit der sehr geringen Wahlbeteiligung einen Erfolg beanspruchen kann.
(zas) So eben gibt die Wahlbehörde die Auszählung von 98.63 % der Wahlakten bekannt (6'251'080 Stimmen). Die Wahlbeteiligung sinkt jetzt auf 30.5 %. Dies entspricht einer Schlappe des Chavismus, der eine grössere Wahlbeteiligung erreichen wollte. Dies trotz dramatischer Konzessionen an "dialogbereite" rechte Kräfte etwa im Finanz- und Wirtschaftsbereich, die ans Eingemachte der Revolution gehen (Teilprivatisierungen strategischer Staatsunternehmen, eine Art monetaristische Inflationsbekämpfung mit dem Absaugen von grossen Mengen an zirkulierendem Geld bei gleichzeitiger primär über die Agenturen des Wirtschaftskriegs provozierter Teuerung der Güter - ausser des Lohns!). Der Chavismus muss sich der Frage stellen, ob dies nicht der falsche Weg ist (oder aber für eine gewisse Komplizenschaft führender Kreise mit der bourgeoisen Perspektive von "Entwicklung" steht).
Umgekehrt ist eine Wahlbeteiligung von 30 % deutlich mehr als nichts. Nur ein Teil der Abstinenz wird auf Zustimmung zum Wahlboykottaufruf der Putschfraktion im Land zurückzuführen sein. Neben der eh nicht unbeträchtlichen traditionellen Wahlabstinenz aus verschiedenen Gründen dürfte das Wissen, dass die mörderischen und das Alltagsleben extrem erschwerenden Sanktionen aufrecht erhalten und sogar noch intensiviert werden, solange die chavistische Regierung nicht zerstört ist (s. dazu Die US-Sanktionen gegen Venezuela sind tödlich ‒ und stoßen auf massenhaften Widerstand). Wenn genauere Wahlanalysen vorliegen, auch zur rechten Wahlbeteiligung, gibt es dazu vielleicht Erhellendes. Etwa zur Frage, ob viele Menschen resigniert nicht mehr für den Chavismus stimmten, es aber dennoch nicht übers Herz brachten, rechts zu wählen. Jedenfalls ist es wohl nicht absurd zu denken, dass eine extreme, seit langem wirksame Aggression des westlichen Imperialismus kombiniert mit einer widersprüchlichen Politik des Chavismus die Moral in der Bevölkerung kaum auf ungeahnte Höhen hebt.