https://amerika21.de/2020/12/245798/kommunalwahlen-brasilien-niederlage
Belém/São Paulo/Porto Alegre. Bei den Stichwahlen zum Bürgermeisteramt haben sich am vergangenen Sonntag fast überall die Kandidaten der Mitte-rechts-Koalitionen durchgesetzt. Unter den 57 Städten, in denen es Stichwahlen gab, waren auch die Hauptstädte Belém, Recife, Vitória, São Paulo, Rio de Janeiro und Porto Alegre. Bis auf Rio de Janeiro kämpften in allen Städten Kandidat:innen aus dem progressiven Lager um den Einzug ins Rathaus. Den Erwartungen entsprechend konnte jedoch nur der sozialistische Kandidat in Belém den Sieg für sich holen.
Wie schon bei der Wahl vor zwei Wochen setzte sich kein:e Politiker:in durch, die dem Präsidenten Jair Bolsonaro nahe steht. In Rio de Janeiro kam Bolsonaros Favorit, der evangelikale Marcelo Crivella, auf gerade mal 35 Prozent. Sein konservativer Gegner, der frühere Bürgermeister Eduardo Paes, setzte sich auch in den Hochburgen der Familie Bolsonaro durch und gewann alle Wahlbezirke. Dass Crivella sich im TV-Wahlkampf mit Bolsonaro zeigte, habe ihm mehr geschadet als geholfen, schreibt das Nachrichtenportal UOL.
In Brasiliens größter Stadt, São Paulo, war Bolsonaros Kandidat Celso Russomanno mit nur 10,5 Prozent der Stimmen bereits vor zwei Wochen aus dem Rennen um das Rathaus ausgeschieden. Dort hatten es der Wohnungslosenaktivist Guilherme Boulos von der sozialistischen PSOL und der konservative Amtsinhaber Bruno Covas in die Stichwahl geschafft.
Beide Kandidaten gelang es am Sonntag, ihre Stimmen zu verdoppeln. Covas legte von rund 33 auf knapp 60 Prozent zu, während die Zustimmung für Boulos von 20 auf 40 Prozent sprang und er fast 2,2 Millionen Stimmen für sich gewann. Im Gegensatz zur Wahl vor zwei Wochen gewann Boulos diesmal die Mehrheit in den einkommensschwachen Stadtteilen im Süden und Osten.
Für den früheren politischen Außenseiter Boulos war dies ein großer Erfolg. Bei der Präsidentschaftswahl 2018 hatte er landesweit nur 617.122 Stimmen geholt und war mit 0,58 Prozent auf dem zehnten Platz gelandet. Auch seine Partei PSOL erhöhte im Abgeordnetenhaus von São Paulo ihre Sitze von zwei auf sechs.
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Dementsprechend wertete Boulos den Wahlausgang als Hoffnungsschimmer für einen demokratischen Wandel im ganzen Land. "Was uns in São Paulo gelang, weil wir Linke zusammenstanden, sollte uns als Vorbild für ganz Brasilien dienen, um den Rückschritt und Autoritarismus zu besiegen". Auch PSOL-Chef Juliano Medeiros begründete den Erfolg damit, dass in der Stichwahl "alle linken Parteien zusammen hinter Boulos standen und die realistische Möglichkeit eines transformativen Bündnisses aufgezeigt hatten".
Solch eine Koalition linker Parteien hatte bei der Stichwahl in der Millionenstadt Belém im Bundesstaat Pará zum Sieg des PSOL-Kandidaten Edmilson Rodrigues geführt. Während die größte linke Partei, die Arbeiterpartei (PT), vielerorts noch die Führungsposition unter den linken Parteien beanspruchte, hatte sie in Belém von Anfang den PSOL-Mann unterstützt und sich mit dem Vize-Posten zufriedengegeben.
Eigene Erfolge konnte die PT hingegen nicht verbuchen. In keiner der hundert größten Städte des Landes gewann sie ein Bürgermeisteramt. Die letzten Hoffnungen auf eine Landeshauptstadt zerschlugen sich in Recife (Pernambuco), wo die Kandidatin Marília Arraes vor einer Woche in den Umfragen noch führte, nach einer heftigen Gegen-Kampagne der evangelikalen Universal-Kirche aber mit 44 Prozent verlor. Auch in der Hauptstadt von Espírito Santo, Vitória, verdrängte ein 38-jähriger Polizist mit 59 Prozent den linken Amtsinhaber. Damit verpasste es die PT zum ersten Mal in ihrer Geschichte, das Bürgermeisteramt einer Landeshauptstadt zu besetzen. Auf ihrem Höhepunkt im Jahr 2004 hatte sie ganze neun der 32 Hauptstädte geholt.
Die Wahlen bedeuteten auch einen Misserfolg von und für Frauen. Mit der Niederlage der Kommunistin Manuela d'Ávila (PCdoB) in Porto Alegre setzte sich keine Frau in einer größeren Stadt durch. Die Vize-Präsidentschaftskandidatin von 2018 scheiterte mit 45 Prozent relativ knapp gegen den konservativen Gegenkandidaten.
In den Umfragen hatte d'Ávila zeitweilig sogar vor ihrem Kontrahenten gelegen. Doch während des Wahlkampfs sah sie sich einer massiven Verleumdungs-Kampagne ausgesetzt. Mehrmals musste sie die Gerichte anrufen, um gegen insgesamt 71 Fake-News vorzugehen. "Das waren die widerwärtigsten Wahlen, die ich erlebt habe", bilanzierte die linke Politikerin.