«Anekdote» zum Kriegsambiente

Mittwoch, 26. Januar 2022

 

(zas, 25.1.22) Eine halbwegs akzeptable Einschätzung zur dramatischen Situation rund um die Ukraine abzugeben, ist aufgrund der extremen Desinformation wohl nur für Wenige möglich. Kommt es zu einem potentiell katastrophalen Krieg? Zu beschränkten Militäroperationen? Zu einem neuen Arrangement?

Einige Elemente sind allerdings glasklar, wenn auch von der herrschenden Propaganda verschwiegen oder der Putinschen Psychologie zugeordnet. Dass etwa die Machthabenden in Russland seit Gorbatschow lange den westlichen Beschwörungen geglaubt haben, dass sich die NATO nicht an die Grenze Russlands vorarbeiten würde, ist keinem Wunschdenken Gorbatschows geschuldet, sondern einem Reigen von westlichen Zusicherungen, auch schriftlichen. Siehe dazu die Reihe von Dokumenten und Aussagen der führenden Westmächte rund um die Auflösung der alten Sowjetunion. Nie, aber gar nie, würde sich die NATO in ehemalige Länder des Ostblocks ausdehnen. Die NATO-Russland-Grundakte von 1997 feierte eine gegenseitige Sicherheitsarchitektur, die Sicherheit nicht als zulasten einer der beiden Mächte beschwörte etc. etc. Klar, real kam das anders: Die meisten ehemaligen Comecon-Länder sind in der NATO oder an sie angekoppelt, gefüllt mit US- und NATO-Waffenarsenalen. Die russische Forderung, dass die Ukraine nicht auch noch NATO-Land werden dürfe, wird als «Ansinnen», über das zu sprechen nur noch absurd wäre, abgetan. Schliesslich gehöre das Selbstbestimmungsrecht der Länder zu den westlichen Grundwerten. Keine/r in den Nachrichtensendungen und Expertenrunden bricht bei der Erwähnung dieser Behauptung in Gelächter aus. Sie, die sich seit Jahrzehnten über den Zopf von vorgestern, die Fiktion vom nationalen Selbstbestimmungsrecht auslassen, stehen jetzt stramm bei der Verbreitung der Message aus Washington - «unsere Werte». Die weiter jede kolonialistische «Strafexpedition» in Afrika als zivilisatorische Mission darstellen, als Kampf für die Menschenrechte, die «unsere Freiheit» am Hindukusch oder im südchinesischen Meer wacker verteidigen, die schon längst nicht merken, dass sie noch jedes westliche Menschenschlachten anderswo in pawlowscher Folgsamkeit als Engagement für Menschenrechte wahrnehmen.

(Stellen wir uns die Betonung des Rechts jeder Nation auf Blockzugehörigkeit ihrer Wahl vor, wenn Russland in Mexiko, Kanada und der Karibik systematisch Angriffsszenario auf die USA aufbaute!)

Aber selbst diese gehirngewaschene Servilität kann noch ausgereizt werden. Gestern im Radiomagazin Echo der Zeit von Radio SRF durfte der Historiker Martin Schulze Wessel sich darüber auslassen, dass Deutschland langsam schnalle, dass mit Putin nicht gut Kirschen essen sei, Nord Stream 2 nur Abhängigkeiten schaffe, Deutschland deswegen jetzt auch zur Politik des «Containments» übergehen und damit von der «Doktrin, dass Verflechtung mehr Sicherheit bedeutet», Abschied nehmen müsse. Die habe seit der Entspannungspolitik dominiert. Eigentlich gehe das zurück auf das 17. Jahrhundert.  Deutsche Eigenart halt, geschichtlich begründet. Mehrmals kommen der Experte und der Journalist auf dieses Thema, dass Deutschland immer die Verständigung mit Moskau gesucht habe, anders als andere Länder. Nicht ein einziges Mal streiften die beiden Herren auch nur en passant den Umstand, dass es bei dieser «Verständigung» auch zu zwanzig Millionen Toten in der Sowjetunion gekommen ist.  

Ich dachte, ich spinn, als ich die Sendung hörte. Nicht weil Deutschland heute die treibende Prokriegsmacht wäre. Aber im gehirngewaschenen Marsch hin zu einem möglichen Krieg «für» die Ukraine fällt dem Journalisten die Ungeheuerlichkeit nicht auf und verschweigt sie der Experte. Das nennt sich dann kritisches Medienschaffen. Wie vor hundert Jahren: «Im Westen nichts Neues».

So wird «informiert». Mal stärker, mal schwächer, aber steter Tropfen höhlt den Stein. Nur verschwindend selten, zur Zierde des Menüs, darf auch mal eine kritische Stimme zu hören sein. Noch.

Es geht nicht um Grossmachtaspirationen, um diese oder jene Figur, um diese oder jene Rechtfertigungslegende. Es geht gegen die neue Selbstverständlichkeit von Krieg, eventuell mit ABC-Waffen, als Mittel der Interessenwahrung.

Damn you masters of war!