Ukraine: Kolonialistische Selbstverständlichkeiten

Freitag, 4. März 2022

 

(zas, 4.3.22) Es gibt offenabr zwei Sorten von Menschen – jene, die unsere Empathie verdienen, und andere. Zu den ersteren zählen (heute) die UkrainerInnen. Es ist unerträglich zynisch: Wir sehen die Bilder der Flüchtlinge in der Tagesschau an der polnischen oder slowakischen Grenze und sind mitgerissen – zu Recht. Und hören gleichzeitig, der Bundesrat bitte, die Initiative gegen die erweiterte Frontex-Finanzierung zurückzuziehen, denn die Frontex diene «unserer» Sicherheit. Karin Keller-Sutter weiss an der Pressekonferenz vom 2. März:  «Der Krieg in der Ukraine zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit und auch die Solidarität im Schengenraum sind.» «Solidarität», sagt sie. Gegen Kritik an der Frontex hat Keller-Sutter die schlagende Antwort: Europa zeige jetzt, «wenn es nötig ist, sind die Grenzen offen.» «Unnötig», wenn du aus Afghanistan, Afrika oder nicht-ukrainischen verbombten Ländern kommst.

Der Guardian hatte vorgestern eine Kolumne des US-arabischen Autors und Dozenten Moustafa Bayoumi publiziert, Titel: They are ‘civilised’ and ‘look like us’: the racist coverage of Ukraine. Eindrückliche Beispiele, wie freiheitlich erglühte Medienleute auch anlässlich des Ukrainekriegs den Kolonialblick beibehalten. Da ist der CBS-Korrespondent:  «Bei allem Respekt», die Ukraine «ist nicht wie Irak oder Afghanistan». Sondern «relativ zivilisiert, relativ europäisch». In der BBC, nächstes Beispiel, meint der ukrainische Vize-Generalstaatsanwalt: «Das ist emotional für mich, denn ich sehe, wie europäische Menschen mit blauen Augen und blondem Haar (…) jeden Tag getötet werden.» Und der Mann von BBC antwortet: «Ich verstehe und respektiere Ihre Emotion». Eine aus Polen berichtende ITV-Journalistin: «Jetzt erleben sie das Unfassbare. Und da geht es nicht um ein Entwicklungs-, ein Drittweltland.» Um verzweifelt zu betonen: «This is Europe».

Bayoumi bringt weitere Beispiele und kommt auf die aktuelle offizielle Humanitätsshow in Europa zu sprechen. Sein Résumé: «Aber wenn wir beschliessen, den UkrainierInnen in ihrer Stunde der bitteren Not zu helfen, nur weil sie zufällig wie ‘wir’ aussehen oder sich kleiden wie ‘wir’ oder so aussehen wie ‘wir’», dann «geben wir die Zivilisation auf und optieren für die Barbarei».

Bleibt noch die Frage, warum wir diesen Medien, diesen Politikverantwortlichen ein Iota mehr glauben sollen als einem Putin.