Venezuela: Wahlen, Hetze, Erpressung

Sonntag, 28. Juli 2024

 

(zas, 28.7.24) Am Mittwoch hörte ich im Radio (Echo der Zeit, SRF) gleich zweimal (in der Einleitung zum Bericht der Korrespondentin und danach von ihr selber): Restlos alle Umfragen zu den venezolanischen Präsidentschaftswahlen prognostizieren einen Sieg des rechten Kandidaten in den Präsidentschaftswahlen von kommendem Sonntag. Nur: In Venezuela tobt ein Umfragekrieg mit entgegengesetzten Prognosen.

Warum hat das die Lateinamerika-Spezialisten von Radio SRF nicht mindestens angedeutet? Entweder lügt sie bewusst oder aber sie glaubt, was ihr vorgesetzt wird. Dass in Venezuela der Chavismus bloss dank Betrug und Gewalt gewinnen könne. Ein eventueller chavistischer Sieg heute  wäre so bloss die Bestätigung von diktatorischem Falschspiel.

Blick zurück: 2019 deckte eine Untersuchung von Mark Weisbrot und Jeffrey Sachs für das Center for Economic and Policy Research auf, dass allein von 2017-2018 über 40'000 Menschen in Venezuela an den Folgen der US-Sanktionen gestorben waren. Die auch mit chavistischem «Wahlbetrug» begründeten Sanktionen sind danach noch drastisch verschärft worden mit direkten und beabsichtigten Folgen auf die sozioökonomische Notlage der Bevölkerung. Sie sind klar der wichtigste Treiber für die Massenemigration von VenezolanerInnen. Ungeschickt … lieber nachplappern, die chavistische Diktatur habe das erdölreiche Land ins Verderben geführt.

 

Wahlresultate raten

Wer am Sonntag gewinnt, scheint unklar zu sein. Natürlich prognostizieren die rechten Umfrageinstitute, die noch bei jeder Wahl der letzten Jahre einen rechten Sieg voraussagten und damit nur einmal, bei einer Parlamentswahl, Recht behielten (die Chavistas hatten das Resultat akzeptiert), einen Erdrutschsieg des Hauptkandidaten des rechten Lagers, Edmundo González[1]. Er ist ein Joker für Maria Corinna Machado. Diese schwerreiche und US-protegierte Frau, seit Jahr und Tag in die giftigsten Umsturzkampagnen involviert, orientiert sich an Milei und Bolsonaro für ihr Regierungsprogramm, darf aber nicht selber als Kandidatin antreten. Sie hatte vor Jahren als Mitglied einer Regierungsdelegation von Panama an einer OAS-Versammlung zur massiven Verschärfung der westlichen Aggressionen gegen Venezuela aufgerufen.

Der Ökonom und Meinungsforscher Francisco Rodríguez, ein Exponent der nicht-putschistischen antichavistischen Rechten, hatte kürzlich auf X betont, dass die rechten Umfragen historisch gegen den Chavismus verzerrt waren. Er versuchte deshalb, diese «Verzerrung» in Rechnung zu stellen und kommt so zum Ergebnis eines 0.6 %-Vorsprungs von González. Wir werden sehen – allerdings nicht dank der Mainstreammedien. Denn die verbreiten unter Führung von CNN (en español) und anderen einschlägigen Medien das Washingtoner Narrativ – das Volk will den Sturz der Chavistas. CNN zitiert etwa eine rechte Umfrage, die fast 60 % der Stimmen González und weniger als 15 % Maduro zuteilt. Das ist totaler Unsinn, dafür wohl eine Quelle der Erkenntnis für die KorrespondentInnen wie der von SRF. Auch CNN reitet darauf herum, dass Maduro im Falle einer Wahlniederlage mit der Gefahr eines «Blutbades, eines Bürgerkriegs» drohe. Davon redete Maduro tatsächlich, allerdings mit dem kleinen Detail, solches wäre das «Produkt der Faschisten». Aus dem historischen Kontext wird klar, dass kein verzweifelter Maduro eine eigene Gewaltorgie ankündigte, sondern auf die Gefahr hinweist, dass eine faschistisch-oligarchische Rechte nach einem Wahlsieg die Messer der Rache wetzen werde. Das ist keineswegs an den Haaren herbeigezogen, auch wenn die Warnung vor dem Blutbad durchaus auch wahltaktische Elemente beinhalten kann.

 

Chavistische Hoffnungen

Das hängt mit einem der Argumente zusammen, wonach der Chavismus diese Wahlen gewinnen könne. Denn unbezweifelbar ist seit einiger Zeit eine zwar nur leichte, aber spürbare Verbesserung der sozio-ökonomischen Lage erfolgt, was in der Bevölkerung Hoffnung auf weitere Verbesserungen unter Maduro wecke. Diese Verbesserung hängt wesentlich mit einer volatilen und sehr beschränkten Lockerung der US-Sanktionen zusammen. Die ist nicht aus Menschlichkeit, sondern aus Washingtoner Wahlkalkül mit Blick auf das venezolanische Öl erfolgt. Venezuela kann wieder etwas Öl exportieren, was den Preisdruck auf US-Benzin lindert. Interessanterweise scheinen die Petromultis, so das Wall Street Journal, an einer stabilen Lage in Venezuela interessiert zu sein, das heisst, an einem chavistischen Wahlsieg. Denn bei einem rechten Sieg drohe Chaos und damit bye bye venezolanisches Öl. Auch bei solchen Darstellungen, die von chavistischer Seite aufgegriffen werden, ist Vorsicht geboten. Sie mögen für ein Notarrangement im Fall eines chavistischen Sieges heute dienen, doch bisher läuft die imperiale Kampagne in eine andere Richtung.

Die Chavistas weisen auf eine «epische» Mobilisierungskapazität während der dreiwöchigen Kampagnenperiode diesen Monat hin. In 250 Städten des Landes war es zu beeindruckenden prochavistischen Mobilisierungen gekommen, an denen teils Maduro, weiter von Anschlägen bedroht (das State Department offeriert übrigens $ 250 Millionen für seine Gefangennahme), teils andere Kader der Regierungspartei PSUV teilgenommen haben. Videoaufnahmen verschiedener Mobilisierungen zeigen auch für kleinere Städte eine Massenbeteiligung. Es ist klar, dass diese Mobilisierungskapazität jene der rechten bei weitem überschreitet (auch wenn nur letztere im Mainstream die Gnade der Erwähnung finden). Aber Strassenmobilisierung ist nicht automatisch gleich Wahlsieg. Sie zeigt aber auf jeden Fall, dass der Chavismus in relevanten Teilen der Bevölkerung nach wie vor verankert ist.

Dies ist umso bemerkenswerter, als der Chavismus diese Wahlen nach Jahren der sanktions-bedingten sozioökonomischen Verheerungen gewinnen muss. In einem idealtypischen Demokratierahmen des westlichen Imperialismus, das «richtiges» Wahlverhalten dank Erpressung sucht.

 

Technischer Wahlbetrug…?

Ein Wort noch zum herumposaunten technischen Wahlbetrug der Chavistas. Ein solcher wäre in Venezuela im Gegensatz zu vielen anderen Ländern nur sehr schwer machbar. Wer sich zur Wahl anschickt, muss erst seine/ihre Fingerprints biometrisch abgleichen lassen. Danach wird am Touchscreen gewählt, das Ergebnis elektronisch gespeichert. Gleichzeitig wird ein Papierausdruck der Wahlentscheidung produziert, der obligatorisch in eine Urne geworfen werden muss. Zum Abschluss bekräftigen die Wählenden im Register ihre Beteiligung schriftlich und per Fingerabdruck. Nach einem Zufallsgenerator ausgewählt, werden nach Wahlschluss 54 % der elektronischen Wahlmaschinen auf die exakte Übereinstimmung ihrer Ergebnisse mit jenen auf Papier untersucht. Das erschwert den technischen Wahlbetrug weitgehend, schliesst aber Möglichkeiten wie Stimmenkauf ausserhalb des Wahllokals u. ä. natürlich nicht aus. Kommt die Beobachtung durch 635 Delegierte des Carter Center, der UNO, der Afrikanischen Union und des Lateinamerikanischen Rates von WahlexpertInnen (CEELA) hinzu. Die EU-Wahlbeobachtung wurde wegen der aktiven Sanktionen Brüssels gegen Venezuela ausgeladen – weshalb sie in Medien wie der NZZ als die einzige schlagkräftige fabuliert wird. (Wir hatten Erfahrungen damit gemacht, wie EU-Wahlbeobachtungen in El Salvador oder Honduras rechte Wahlbetrüge nie entdecken mochten.)

 

… oder die alte Tour?

Die Rechte bereitet sich auf einen chavistischen Eventualsieg auf ihre Weise vor, eingebettet in die erwähnte internationale Mainstreamkampagne in Sachen «chavistischer Wahlbetrug». Das regierungsnahe Portal Misión Verdad geht auf einige einschlägige Punkte ein. Dazu gehört, dass etwa der Sprecher des Bündnisses um Rodríguez/Machado bekannt gab, sie würden nur ihre eigenen Wahlakten akzeptieren. Das Problem: Einzig das Wahlgericht kann offizielle Wahltischakten erstellen – unter Beobachtung aller Beteiligter. In diesen Zusammenhang gehört ferner, dass die Machado-Rechte die Ergebnisse autonom ausrechnen will – in einem Büro in … Miami! Am Donnerstag benutzte der Sprecher des Weissen Hauses, John Kirby, an einer Pressekonferenz zum Treffen Netanyahu/Biden die Gelegenheit, um zu den venezolanischen Wahlen zu sagen: «Politische Repression und Gewalt sind inakzeptabel.» Heute wurde bekannt, dass die Behörden gerade einen Anschlag auf ein Stromwerk, der unter anderen von zwei kolumbianischen Paramilitärs durchgeführt werden sollte und einen Stromausfall im Westen des Landes bewirkt hätte, hatten verhindern können. Das gleiche Vorgehen hatten in Brasilien die bolsonaristischen Kräfte bei ihrem Putschversuch gegen den Wahlsieg Lulas versucht.

Solche Dinge weisen auf ein Szenarium hin, in dem Machado, gestützt auf die «offiziellen» Akten, wie sie ein Koordinator der Rechten nannte, also die eigenen in Miami, schon am Nachmittag (in Venezuela) ihren überzeugenden Sieg verkünden werde, nachgeplappert von den Mainstreammedien. Dann wird es heiss im Land.

 



[1] González war von 1979 bis 1985 die Nummer 2 der damaligen venezolanischen Botschaft in El Salvador. Diese Botschaft – ihr Chef Leopoldo Castillo hatte den Übernamen mata curas, Priesterkiller – war aktiv in der unter US-Präsident Ronald Reagan umgesetzten Terrorstrategie (Todesschwadronen) gegen die revolutionäre Bewegung inklusive ihres befreiungstheologischen Arms. Wie die Ex-Guerilla-Kommandantin Nidia Diaz mitteilt, wird Castillo in den 2009 öffentlich gemachten CIA-Berichten als Teil der Operation Centauro (physische Liquidierung der befreiungstheologischen Gruppen) identifiziert.