Von Zentralamerika nach Griechenland

Samstag, 15. Oktober 2011




(zas, 14.10.11) Rebelion.org hat heute ein lesenswertes Interview von Patricia Rivas mit dem griechischen Journalisten und Ökonomen Leonidas Vatikiotis zum Sozialkrieg gegen die griechische Bevölkerungsmehrheit veröffentlicht ("En el último año y medio hemos vivido un golpe de Estado de la Unión Europea"). Vatikiotis lehrt heute politische Ökonomie an der Universität von Zypern und war Berater bei der Erstellung des Dokumentarfilms „Debtocracy“ über den aktuellen Schulden-Angriff in Griechenland (1h15, deutsch untertitelt). Auf die Frage, ob die Widerstandsbewegung in Griechenland den Austritt aus dem Euro fordere, antwortete Vatikiotis:

Nein. Bisher hält es die Mehrheit der GriechInnen für besser, dass wir in der EU bleiben. Sie glaubten, dass die Mitgliedschaft in der EU und erst recht in der Eurozone ihnen bessere Lebensbedingungen ermöglichen würde. Sie hielten die EU für ein Synonym mit Wohlfahrtsstaat, mehr Spitälern, mehr Universitäten, mehr Schulen. Und jetzt kommt die EU – und nicht der IWF – und sagt: „Ihr müsst Schulen, Unis und Spitäler schliessen!“. Ich sage, es war die EU und nicht der IWF, weil im Falle von Griechenland die EU viel strikter war als der IWF. Auch jetzt sagen, die EU, Merkel und Mitglieder der EU-Kommission, was die Sparmassnahmen der kommenden Woche zu sein haben.
Leonidas Vatikiotis

(…)

Schauen Sie, um die Wahrheit zu sagen, niemand in Griechenland ist auf der Höhe der Herausforderung gewesen. Und niemand ausserhalb Griechenlands hat verstanden, dass wir in den letzten anderthalb Jahren einen Staatsstreich erlebt haben. Die Polizeibrutalität lässt sich nur mit jener in der Zeit vergleichen, als Georgios Papadopoulos der Militärjunta der Diktatur von 1967-74 vorstand. Versammeln sich drei oder vier Menschen auf den Plätzen von Athen, geht die Polizei mit enormer Gewalt gegen sie vor. Wir haben auf den Titelseiten der Zeitungen Bilder gesehen, in denen die Polizei SchülerInnen von 6, 10, 12 Jahren schlägt. Ich unterstreiche diesen Aspekt, denn wenn du ihn nicht kennst, weisst du nicht, was in Griechenland geschehen ist.

Die Zeitung Eleftherotypia titelte zum Bild: „Demokratie in den Jahren des IWF“

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Der Dokumentarfilm „Debtocracy“ zeigt, was in Griechenland vor sich geht, auch die Polizeigewalt. Zum Beispiel ist es zu Fällen von schwer verletzten JournalistInnen gekommen. Als die Polizei damit anfing, Medienarbeitende zu schlagen, vor allem FotografInnen, wurde verlangt, dass die Polizei ihnen Gilets mit der Aufschrift „PRESSE“ gebe, um sie fortan vor Schlägen zu schützen. Wir haben sie gewarnt: „Legt die Westen nicht an, denn sie werden als erste auf euch losgehen“. Und so kam es. Wer als „PRESSE“ gekennzeichnet war, bekam von der Polizei noch vor den DemonstrantInnen Prügel.

(…)

Die Polizei handelt unter dem Befehl der Regierung. Ich muss Ihnen sagen, dass der Finanzminister und Vizepräsident von Griechenland, Vagelis Veniselos, dem Volk damit drohte, die Panzer auf die Strassen zu schicken. Er sagte: „Wenn es nötig ist, warum nicht?“

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Greifen wir nicht ein, wird die unmittelbar bevorstehende Zukunft eine dunkle Epoche werden. Die nächste Zeit wird einen Zahlungsstopp bringen. Deutschland und die Banker haben beschlossen, und den Bankrott aufzudrücken. Auf den ersten Blick scheint dies eine gute Sache zu sein, denn was bedeutet Zahlungsstopp? Horizontale Kürzung der griechischen Anleihenschulden um 50 Prozent. Also könnte man denken: Und was ist das Problem? Denn dies würde doch eine beträchtliche Reduktion der griechischen Schulden bedeuten. Aber es ist genau das Gegenteil von dem, was wir wollen, denn der Teufel steckt im Detail. Die Deutschen werden unsere Schulden zu sehr strikten Konditionen reduzieren. Erstens: Sonderwirtschaftszone, also Maquiladoras [steuerbegünstigte, weitgehend gewerkschafts-„freie“ Multienklaven für die Weltmarktproduktion]. Genau wie in Guatemala, Honduras, Mexiko. Sie wollen uns ein Regime ohne Steuern, ohne Arbeitsgesetze, ohne Umweltschutz aufzwingen. Die Sonderwirtschaftszonen sind das Erste. Zweitens werden sie uns ein enormes Privatisierungsprogramm im Wert von €50 Mrd. aufzwingen. Sie wollen nicht nur Staatseigentum wie die Wasser- und Stromwerke, die Telekom, Häfen, Flughäfen etc. privatisieren, sondern sogar Inseln, Berge … alles, was einen öffentlichen Titel hat. Drittens weitere Sparmassnahmen. Seit Oktober 2009 hat die Regierung 200'000 öffentliche Angestellte entlassen, in ihrer Mehrheit LehrerInnen, ÄrztInnen, Pflegefachleute, Gemeindeangestellte, Reinigungspersonal etc. Ich unterstreiche dies, denn es handelt sich um Dienstleistungen mit grosser Auswirkung in der Gesellschaft. Das wird sich gegen unser Alltagsleben auswirken.


Leonidas Vatikiotis nos envía esta imagen, publicada por el periódico Eleftherotypia y la titula "La democracia en los años del FMI".