(zas, 15.7.12) Der Titel des
Artikels
vom 12.7.12 im erzreaktionären paraguayischen Blatts „ABC Color“ bringt es auf
den Punkt:
„Washington sieht keinen Grund
für Suspendierung Paraguays“ von der Organisation Amerikanischer Staaten
(OAS). Der Mercosur und die Unasur (Verband der südamerikanischen Staaten) haben
die Mitgliedschaft Paraguays suspendiert. Nicht so die OAS. Ihr Generalsekretär
José Insulza war gerade von einer Fact-finding-Tour in Paraguay zurückgekehrt.
Begleitet hatten ihn die OAS-BotschafterInnen der USA, von Kanada, Haiti, Mexiko
und … ja, von Honduras. Zwar behauptet Insulza, seine Mission habe bei der
Visite mit allen Sektoren gesprochen – eine Lüge, wie ein
offener
Brief an ihn von paraguayischen Menschenrechts- und kirchlichen
Organisationen vom 4. Juli zeigt. Darin steht:
„Der Entscheid, sich mit agroindustriellen Sektoren, Besitzern von
kommerziellen Medien und der Bischofskonferenz zu treffen, alles Gruppen für
den Staatsstreich, ohne einen Raum für die demokratische Zivilgesellschaft zu
reservieren, beunruhigt uns ausserordentlich. Denn damit hat es keine
Gelegenheit gegeben, in ihre Mission Elemente zu integrieren, die die
Unzufriedenheit der BürgerInnen mit diesem parlamentarischen Staatsstreich
unterstreichen“.
Entsprechend die „Empfehlung“ Insulzas an den OAS-Rat: keine Suspendierung
der OAS-Mitgliedschaft Paraguays, dafür eine Mission nach Paraguay, um die
Wahlen vom nächsten April zu „unterstützen“. Damit, fand Roberta Jacobson, Lateinamerikaverantwortliche
im State Department, habe Insulza „
ein
Gleichgewicht gefunden in einem Prozess, der als zu schnell hat erscheinen
können“ (ABC, 12.7.12). Gemeint: der „politische Prozess“ im Senat, der
keine 24 Stunden brauchte, um Präsident Lugo wegen Mithilfe bei Mordstrategien
als Präsident abzusetzen. Selbst ein Senator der Putschistenpartei der
Colorados, Hugo Estigarribia, musste zugeben, dass die in der „Anklageschrift“ erfolgte
„Erwähnung von Tatsachen, die, da
öffentlich bekannt, nicht bewiesen werden müssen, barbarisch“ war (
E’a,
13.7.12).
„Das Wichtigste jetzt ist“ aber
für Jacobson,
„konstruktive Formen der
Beziehungen mit den Paraguayern zu finden, einschliesslich der Regierung
Franco, um auf die Wahlen vom kommenden Jahr zu blicken“. Es gehe darum,
„Paraguay die Hilfe zu geben, die es für den
Dialog in den Dingen braucht, die immer noch Spannungen erzeugen“ (ABC,
12.7.12).
Das honduranische Putschdrehbuch also. Erst werden faits accomplis
geschaffen, danach orchestriert die „internationale Gemeinschaft“ Wahlen mit
dem richtigen Ergebnis. Der Verweis Jacobsons auf die „Dialoghilfe in
Spannungsangelegenheiten“ ist zynisch sowieso, könnte evl. aber auch ein Wink
an die Rechte in Paraguay sein, ihre Leidenschaft für das Ausmerzen aller
Oppositionellen zu zügeln. Die USA favorisieren eine Strategie von „nur so
viel Repression wie nötig“, möglichst ohne offenes Blutbad – auch das eine honduranische
Lektion. Der Eindruck, dass der Widerstand in Honduras stärker war als heute in
Paraguay, ist vielleicht voreilig, findet aber auch seinen Widerhall im Fact,
dass die OAS sich genötigt sah, Honduras bis zu den demokratischen Wunderwahlen
im Zeichen der Armee-MGs von Ende 2009 zu suspendieren; im Fall von Paraguay wird
diese politische Konzession an die Stärke des Widerstandes offenbar als unnötig
erachtet.
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Strassenblockade in San Juan Nepomuceno. Qulle: Última Hora, 26.6.12 |
Putschgewinne
Die imperiale Position ist logisch. Gleich zu Beginn: Die sechs Parteien,
die das Absetzverfahren gegen Lugo durchgeputscht haben, sind allesamt
Klientinnen der USAID, wie dies Orlando Castillo Caballero in
La Patria Sojera y USAID detrás del
Golpe de Estado vom 30. Juni 2012 festhält. Am 7. Mai 2012 hatte „ABC Color“
gemeldet,
wie der lokale Arm der USAID diese Parteien schult, damit sie
„gemeinsam interagieren“ können. Eine lohnenswerte
Investition, ganz offensichtlich.
Zudem betreibt De-facto-Präsident Federico Franco genau die Art von Politik,
die Washington und Brüssel erfreut. Am 26. Juni, drei Tage nach dem Putsch, traf
er sich mit einer Abordnung von Agroexporteuren und Grossgrundbesitzern. Befriedigt
hatte ein Mitglied der Delegation die Ergebnisse so zusammengefasst:
„Der neue Präsident versprach uns, den
Agroindustriesektor zu unterstützen, das Privateigentum zu schützen und
Landbesetzungen zu verhindern“ (
E’a,
4.7.12).
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Putschpräsident Franco. Bild: E'a |
Tags darauf zeigte sich Richard González, Vertreter der Landesfiliale
des US-Multis Crescent Global Oil nach einem Treffen mit dem Putschpräsidenten erfreut:
Franco
„gab uns seine Unterstützung bei
der Ölexploration und bat uns um ein schnelles Vorgehen“ (id.). Unter Lugo
war die Bude Objekt einer Untersuchung wegen illegaler Machenschaften und konnte
deshalb keine Förderverträge abschliessen. E’a, die progressive Zeitung im
Land, erwähnt weiter, dass Franco seinen Handelsminister angewiesen habe, die
Verhandlungen mit dem Minenmulti Río Tinto für die Errichtung einer grossen Aluminiumfabrik
zu beginnen. Hintergrund: Ricardo Canese, Leiter des nach dem Putsch
gegründeten Linkszusammenschluss
Frente Nacional
por la Defensa de la Democracia (FDD) und anerkannter Spezialist für
Energiefragen, meinte in der
E’a
vom 3. Juli 2012 zur Alufabrik der Río Tinto, sie werde binnen 7 oder 8
Jahren zu Strommangel in Paraguay führen. Die Fabrik werde 9.6 MWh pro Jahr konsumieren,
während die gesamte paraguayische Industrie 1.6 Mio. MWh pro Jahr verbrauche. Sie
werde 1250 Arbeitsplätze schaffen, im Gegensatz zu 322'000 der paraguayischen
Industrie. Zudem müsse der Staat Vorleistungen im Wert von $ 700 Mio. für die Strom-
und Verkehrsinfrastruktur leisten. Im zuvor zitierten E’a-Artikel vom 4. Juli erfahren
wir auch, dass Franco seinen Agrarminister angewiesen hat, die Resolution für
den Einsatz des gentechnisch veränderten Monsanto-Saatguts Bollgard BT für
Baumwolle beschleunigt umzusetzen. Die Beschränkung von Gentech-Soja und -baumwolle
unter Lugo war einer der Hauptgründe für den Putsch. Im für die Zulassung von
Saatgut zuständigen Regierungsinstitut sitzt jetzt ein Vertreter des Agrobusiness
in Paraguay. Am
5.
Juli betont E’a ferner den Willen der Franco-Regierung, sich international
zu verschulden, um die Strassen- und Wasserweginfrastruktur für den Agroexport
zu stärken, und das Investitionsfördergesetz zu modifizieren, so dass für neue
Investitionen im Land künftig nicht mehr 5, sondern 15 Jahre Steuerfreiheit
herrsche.
Zu diesem Bild einer „offenen“
Wirtschaftspolitik passen auch die Meldungen von explodierender
Vetternwirtschaft (allein 40 Verwandte von Franco sind neu im Staatsdienst,
teils in finanziell zentralen Kaderpositionen) und der altbewährten Schmiere:
Die putschtreibende Vereinigung der Grossgrundbesitzer
Asociación Rural del Paraguay (ARP) erhielt vom Franco einen Kredit
von 50 Mrd. Guaraní (etwa $ 11 Mio.) für die Land- und Viehwirtschaft (
E’a,
7.7.12). Die ARP-Mitglieder haben die Unterstützung dringend nötig. Sie haben
laut E’a 2010 Waren im Wert von $ 2.5 Mrd. exportiert und bezahlen nach offiziellen
Angaben, so das Blatt, 1 Prozent der nationalen Steuereinnahmen. 2 Prozent der
Bevölkerung besitzen
laut
Jeremy Hobbs von Oxfam International rund 80 Prozent des
Landwirtschaftsbodens. Das kleine Paraguay ist weltweit der viertgrösste
Sojaexporteur.
Das geht weit über das Thema Korruption hinaus. Es bedeutet eine verschärfte
Vertreibung der Bäuerinnen und Bauern vom Land zugunsten der
Export-orientierten Grossgrundbesitzer und Multis. Laut Tomás Zaya, einem Anführer
der
Central Nacional de Organizaciones
Indígenas y Populares (Cenocip), auf den sich Raúl Zibechi im Artikel
Paraguay:
plataforma para la hegemonia continental vom 1. August 2006 bezieht, plant die Weltbank,
„dass im Jahr 2015 der Anteil der Landbevölkerung
an der Gesamtbevölkerung noch zwischen 12 und 15 Prozent betrage, um Soja und
Zuckerrohr als Erdölersatz zu produzieren’“. Die
carperos, so benannt nach den Zeltlagern, in den sie leben müssen,
landvertriebene Bäuerinnen und Bauern, gehören zu den erklärten FeindInnen der
neuen Obrigkeit und der von ihr vertretenen Oligarchie.
Und auch dies entspannt Washington: José López Chávez, Vorsitzender des
Verteidigungsausschuss in der Abgeordnetenkammer, führte mit US-Militärchefs
einen „Dialog“ über die Errichtung einer US-Militärbase im Departement Chaco an
der bolivianischen Grenze (Andes,
Alba TV, 2.7.12).
Begründung: das bolivianische
„Wettrüsten“.
Real scheint es sich um die von Lugo gestoppte US-Luftwaffenbasis Marsical
Estigarribia zu handeln, in ummittelbarer Nachbarschaft zu den bolivianischen
Gasfeldern.
Kein Wunder also, schützt Washington den Coup und damit genau die Politik,
die unter Lugo, trotz aller immensen subjektiven und objektiven Schwächen seiner
Regierung, behindert war.
Und der Widerstand?
Nach wie vor kommt es zu erklärtermassen friedlichen Aktionen des
Frente Nacional por la Defensa de la
Democracia (FDD)
. Während Tagen haben
carperos, Landorganisationen und
urbane Protestkontingente immer wieder wichtige Strassen und internationale
Brücken besetzt (letzteres in Zusammenarbeit mit antifaschistischen Kräften aus
Argentinien und Brasilien). Mit Dauerkundgebungen wurde die Sendung „Offenes
Mikrofon“ des seither mit einer proputschistischen Leitung versehenen Senders „TV
Pública“ unterstützt. Es kommt zu
escraches,
gezielten Protestaktionen gegen ExponentInnen des Putschlagers.
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Protestaktion. Qulle: E'a, 2.7.12 |
Der frisch gegründete FDD selber
scheint sich in einer intensiven Konsolidierungsphase mit departementalen
Vollversammlungen u. ä. zu befinden. Insgesamt kommt es heute noch zu weniger Repression
als in einer vergleichbaren Phase in Honduras. Aber die Weichen werden
gestellt: Zehn von Lugo ernannte Armeegeneräle sind in den Ruhestand versetzt
worden; die Fernsehstationen bringen tagelang „Informationen“ zu einem
Schulungskurs im Jahr 2004, an dem wichtige ExponentInnen der Landbewegungen
und des Pro-Lugo-Lagers teilgenommen haben, darunter auch einige Campesinos,
die seither wegen einer Entführungsaktion der sehr umstrittenen angeblichen
Guerrillaorganisation EPP verurteilt sind. Die Tendenz ist klar: Die
Betroffenen, darunter auch Jorge Galeano vom
Movimiento Agrario Popular (MAP), mit dem wir zusammenarbeiten, werden
für eine kommende Repressionsrunde als „Terrordrahtzieher“ aufbereitet. Vom MAP
haben wir auch vor wenigen Tagen erfahren, dass eine seiner Comunidades im Grenzgebiet zu Brasilien von der Polizei
vertrieben und ihre Ernte zerstört wird. Das MAP sieht die Zukunft bezüglich
Repression mit grosser Sorge.
Über die reale Stärke des Widerstandes wagen wir uns kein Urteil anzumassen.
Einerseits sind Einschätzungen zu hören, dass die Linke bei den kommenden
Aprilwahlen reale Siegeschancen habe, andererseits scheint es nicht nur an der
brutal durchgesetzten Linie der paraguayischen Medienmogule - das Land befinde
sich in bester Ordnung und seine Hauptsorgen seien Fussball, Mode und Wetter – zu
liegen, dass viele den Eindruck haben, eine relative Demobilisierung der
sozialen Organisationen unter Präsident Lugo erschwere nun die notwendige
Mobilisierung.