Kuba: Auftragsschreiber für den Schweizer Medienfilz

Montag, 23. Juli 2012


Ein Film präsentiert Schauermärchen über Kuba. Die Rezensionen schreiben die Macher von «Forbidden Voices»  gleich selbst.

Samuel Wanitsch

In der renommierten, rechtsbürgerlichen Neuen Zürcher Zeitung und in diversen anderen Blättern schrieb der Filmkritiker Geri Krebs am 8. Mai 2012: «Am Anfang stehen markerschütternde Schreie von Yoani Sanchez. Die kubanische Bloggerin wehrte sich im Februar 2010 gegen eine überfallartige Verhaftung durch Geheimpolizisten, und der couragierten Frau gelang in jenem kritischen Moment das Unmögliche, nämlich unbemerkt die Aufnahmetaste ihres Handys zu betätigen. Die hässliche Fratze des allgegenwärtigen Repressionsapparates im Reich der Brüder Castro, die in gewissen Kreisen immer noch ein Rest-Prestige geniessen (immerhin hat Kuba ein kostenloses Gesundheits- und Schulsystem für alle), könnte kaum eindrücklicher gezeigt werden als mit dieser drastischen Eingangssequenz». Gezeigt? Gemeint ist der anfangs Mai in der Schweiz offiziell angelaufene Film «Forbidden Voices» von Barbara Miller. In dem Streifen ist zu sehen, wie Yoani Sanchez auf einen Bildschirm blickt. Dazu wird ihr Geschrei abgespielt. Zu sehen ist nichts von Gewalt.

Die verschwiegene Rückkehr nach Kuba

Der Vorfall soll sich also im Februar 2010 ereignet haben. Miller gibt an, fünf Jahre an ihrem Film gearbeitet zu haben; sie fasste folglich mindestens drei Jahre vor dieser «drastischen Eingangssequenz» den Beschluss, Sanchez als Opfer einer Diktatur darzustellen. Interessanter ist, was im Film nicht gezeigt oder gesagt wird. Von der eingangs erwähnten «überfallartigen Verhaftung» ist rein gar nichts zu sehen. Eine Pressekonferenz, in welcher Yoani den herbeigeeilten westlichen Journalisten nicht die Spur einer Verletzung zeigen konnte, und was etwa von der BBC oder CNN entsprechend kommentiert wurde, bleibt unerwähnt. Die gröbste Auslassung ist aber: Im Film wird eine rührende Familienidylle mit kubanischem Mann und Bub gepflegt. Kein Wort davon, dass Sanchez nach der Heirat mit einem Deutschen im August 2002 in die Schweiz emigrierte und zwei Jahre dort lebte, um dann weinend bei der Einwanderungsbehörde in Kuba um eine Ausnahmegenehmigung zu bitten, damit ihr Auswanderungsstatus aufgehoben wurde und sie nach Kuba zurückkehren konnte. Es besteht deshalb der dringende Verdacht, dass sie in ihrer Schweizer Zeit zu dem aufgebaut wurde, was jetzt als «mutige Cyberdissidentin» daherkommt; unterstützt von einem Klüngel spanischer, deutscher und schweizerischer Journalisten.

Viele Widersprüche rund um Sanchez

Yoani Sanchez rühmt sich in dem Film, auf ihrer Internetseite 14 Millionen Zugriffe zu haben. Jedoch: Wie kann sie in Kuba im Internet surfen, wenn die westliche Presse dauernd wiederholt, dass sie keinen Zugang dazu hat? Woher kommt das Geld, das es ihr erlaubt, einen Lebensstil zu pflegen, den sich kaum eine andere Kubanerin erlauben kann, wenn sie offiziell über keinerlei Einkommen verfügt? Wieso geniesst sie die besonderen Dienste der Cronon AG, einer auf grosse Geschäftskunden spezialisierten Tochter des deutschen Internet-Anbieters Strato, die für normale Nutzer nicht zugänglich ist? Die Webseite von Yoani Sanchez ist extrem ausgefeilt, mit Links zu ihren Accounts bei Facebook und Twitter sowie Übersetzungen in nicht weniger als 18 Sprachen. Kaum eine andere Webseite auf der Welt verfügt über eine solche Auswahl linguistischer Versionen. Der Server, der den Blog von Sanchez beherbergt, weist eine Bandbreite auf, die 160mal höher ist als die, über die Kuba für alle seine Internetnutzer verfügt. Wer verwaltet diese Seiten? Wer bezahlt die Administratoren? Wer bezahlt die Übersetzer, die täglich an der Seite von Sanchez arbeiten? Und wer bezahlt das Hosting einer Seite mit mehr als 14 Millionen Besuchen im Monat?

Die offenen Fragen bleiben

«Forbidden Voices» geht auf keine einzige solcher Fragen ein. Der Film fährt permanent auf der Mitleidsschiene, die Tränendrüsen ahnungsloser Kinobesucherinnen werden pausenlos bemüht. Es werden exakt die drei Länder behandelt, die seit Jahr und Tag im Visier der USA und der mit Washington verbandelten «Reporter ohne Grenzen» stehen: Iran, China und Kuba. Kein Mitleid für Bloggerinnen in Ägypten, Mexiko oder Honduras, wo Journalistinnen reihenweise ermordet werden. Der eigentliche Skandal ist jedoch die Werbung für den Film. Sie findet nicht nur in rechtsbürgerlichen Print- und Onlinemedien und in der «Tagesschau» des immerhin noch öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehens Platz, sondern auch in der Gewerkschaftszeitung Syndicom. Diese verteidigte auf Nachfrage die Veröffentlichung der Lobeshymnen, weil es sich dabei ja nur um eine Filmkritik, nicht aber um eine Auseinandersetzung mit Yoani Sanchez gehandelt habe. Doch der Autor dieser Kritik ist derselbe: Geri Krebs, der auch die eingangs zitierten Elogen in der NZZ verfasst hat. Und eben dieser Geri Krebs selbst taucht auch im Abspann des Films auf. Er bediente also offensichtlich all diese Medien mit Filmkritiken zu einem Film, bei dessen Entstehung er selbst eine Rolle gespielt hat, ohne diese dabei offenzulegen.

Der Autor ist Koordinator der Vereinigung Schweiz-Cuba  (ASC/VSC)

Vorwärts, 20. Juli 2012