Ein Film präsentiert
Schauermärchen über Kuba. Die Rezensionen schreiben die Macher von «Forbidden
Voices» gleich
selbst.
Samuel
Wanitsch
In der renommierten,
rechtsbürgerlichen Neuen Zürcher Zeitung und in diversen anderen Blättern
schrieb der Filmkritiker Geri Krebs am 8. Mai 2012: «Am Anfang stehen
markerschütternde Schreie von Yoani Sanchez. Die kubanische Bloggerin wehrte
sich im Februar 2010 gegen eine überfallartige Verhaftung durch
Geheimpolizisten, und der couragierten Frau gelang in jenem kritischen Moment
das Unmögliche, nämlich unbemerkt die Aufnahmetaste ihres Handys zu betätigen.
Die hässliche Fratze des allgegenwärtigen Repressionsapparates im Reich der
Brüder Castro, die in gewissen Kreisen immer noch ein Rest-Prestige geniessen
(immerhin hat Kuba ein kostenloses Gesundheits- und Schulsystem für alle),
könnte kaum eindrücklicher gezeigt werden als mit dieser drastischen
Eingangssequenz». Gezeigt? Gemeint ist der anfangs Mai in der Schweiz offiziell
angelaufene Film «Forbidden Voices» von Barbara Miller. In dem Streifen ist zu
sehen, wie Yoani Sanchez auf einen Bildschirm blickt. Dazu wird ihr Geschrei
abgespielt. Zu sehen ist nichts von Gewalt.
Die verschwiegene
Rückkehr nach Kuba
Der Vorfall soll sich
also im Februar 2010 ereignet haben. Miller gibt an, fünf Jahre an ihrem Film
gearbeitet zu haben; sie fasste folglich mindestens drei Jahre vor dieser
«drastischen Eingangssequenz» den Beschluss, Sanchez als Opfer einer Diktatur
darzustellen. Interessanter ist, was im Film nicht gezeigt oder gesagt wird. Von
der eingangs erwähnten «überfallartigen Verhaftung» ist rein gar nichts zu
sehen. Eine Pressekonferenz, in welcher Yoani den herbeigeeilten westlichen
Journalisten nicht die Spur einer Verletzung zeigen konnte, und was etwa von der
BBC oder CNN entsprechend kommentiert wurde, bleibt unerwähnt. Die gröbste
Auslassung ist aber: Im Film wird eine rührende Familienidylle mit kubanischem
Mann und Bub gepflegt. Kein Wort davon, dass Sanchez nach der Heirat mit einem
Deutschen im August 2002 in die Schweiz emigrierte und zwei Jahre dort lebte, um
dann weinend bei der Einwanderungsbehörde in Kuba um eine Ausnahmegenehmigung zu
bitten, damit ihr Auswanderungsstatus aufgehoben wurde und sie nach Kuba
zurückkehren konnte. Es besteht deshalb der dringende Verdacht, dass sie in
ihrer Schweizer Zeit zu dem aufgebaut wurde, was jetzt als «mutige
Cyberdissidentin» daherkommt; unterstützt von einem Klüngel spanischer,
deutscher und schweizerischer Journalisten.
Viele Widersprüche rund
um Sanchez
Yoani Sanchez rühmt sich
in dem Film, auf ihrer Internetseite 14 Millionen Zugriffe zu haben. Jedoch: Wie
kann sie in Kuba im Internet surfen, wenn die westliche Presse dauernd
wiederholt, dass sie keinen Zugang dazu hat? Woher kommt das Geld, das es ihr
erlaubt, einen Lebensstil zu pflegen, den sich kaum eine andere Kubanerin
erlauben kann, wenn sie offiziell über keinerlei Einkommen verfügt? Wieso
geniesst sie die besonderen Dienste der Cronon AG, einer auf grosse
Geschäftskunden spezialisierten Tochter des deutschen Internet-Anbieters Strato,
die für normale Nutzer nicht zugänglich ist? Die Webseite von Yoani Sanchez ist
extrem ausgefeilt, mit Links zu ihren Accounts bei Facebook und Twitter sowie
Übersetzungen in nicht weniger als 18 Sprachen. Kaum eine andere Webseite auf
der Welt verfügt über eine solche Auswahl linguistischer Versionen. Der Server,
der den Blog von Sanchez beherbergt, weist eine Bandbreite auf, die 160mal höher
ist als die, über die Kuba für alle seine Internetnutzer verfügt. Wer verwaltet
diese Seiten? Wer bezahlt die Administratoren? Wer bezahlt die Übersetzer, die
täglich an der Seite von Sanchez arbeiten? Und wer bezahlt das Hosting einer
Seite mit mehr als 14 Millionen Besuchen im Monat?
Die offenen Fragen
bleiben
«Forbidden Voices» geht
auf keine einzige solcher Fragen ein. Der Film fährt permanent auf der
Mitleidsschiene, die Tränendrüsen ahnungsloser Kinobesucherinnen werden
pausenlos bemüht. Es werden exakt die drei Länder behandelt, die seit Jahr und
Tag im Visier der USA und der mit Washington verbandelten «Reporter ohne
Grenzen» stehen: Iran, China und Kuba. Kein Mitleid für Bloggerinnen in Ägypten,
Mexiko oder Honduras, wo Journalistinnen reihenweise ermordet werden. Der
eigentliche Skandal ist jedoch die Werbung für den Film. Sie findet nicht nur in
rechtsbürgerlichen Print- und Onlinemedien und in der «Tagesschau» des immerhin
noch öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehens Platz, sondern auch in der
Gewerkschaftszeitung Syndicom. Diese verteidigte auf Nachfrage die
Veröffentlichung der Lobeshymnen, weil es sich dabei ja nur um eine Filmkritik,
nicht aber um eine Auseinandersetzung mit Yoani Sanchez gehandelt habe. Doch der
Autor dieser Kritik ist derselbe: Geri Krebs, der auch die eingangs zitierten
Elogen in der NZZ verfasst hat. Und eben dieser Geri Krebs selbst taucht auch im
Abspann des Films auf. Er bediente also offensichtlich all diese Medien mit
Filmkritiken zu einem Film, bei dessen Entstehung er selbst eine Rolle gespielt
hat, ohne diese dabei offenzulegen.
Der Autor ist
Koordinator der Vereinigung Schweiz-Cuba
(ASC/VSC)
Vorwärts, 20. Juli
2012