Demokratiecoups – Station Mexiko

Samstag, 7. Juli 2012



(zas, 7.7.12) Die Demokratiecoups bahnen sich ihren Weg – gegen den Aufbruch in Lateinamerika. In Paraguay haben die Multis und die Grossgrundbesitzer einen Präsidenten abgesetzt und erhalten dafür, wie im Land befürchtet wird, in ein paar Tagen auch noch einen nur dünn kaschierten Segen der Organisation der Amerikanischen Staaten. Ziele des parlamentarischen Staatsstreichs: Zerstörung der vor allem bäuerischen Sozialbewegungen , Ausweitung von gentechnisch beglückten Monokulturen unter dem Banner von Monsanto und Syngenta; Verhinderung eines linken Wahlsieges nächstes Jahr; Transformation des Landes in eine politische und militärische Aufmarschbasis des Imperialismus gegen die Unabhängigkeits- und sozialen Emanzipationsbewegungen in Südamerika und ähnlich gefällige Dinge. Vor diesem Hintergrund findet der internationale Medienmainstream auch nur wenig an Details dieser Konterrevolution auszusetzen. In El Salvador mobilisieren die Unternehmerverbände für ein ihnen genehmes Oberstes Gericht und destabilisieren jene Staatsgewalten, die, wie die Regierung und das Parlament, sich nicht direkt ihren Entscheiden anschliessen. Für Mexiko hatten die Eliten den neuen Präsidenten schon längst bestimmt, am 1. Juli und in den folgenden Tagen galt es, den Beschluss elektoral abzusichern. Schliesslich geht es hier um so wichtige, keinesfalls in Händen einer verantwortungslosen Bevölkerung zu belassende Dinge wie die Privatisierung der Ölwirtschaft, die Weiterführung (unter ein paar neuen Modalitäten) des mithilfe auch paramilitärischer Warlords geführten Sozialkrieges von oben („Drogenkrieg“) und die Integration Mexikos in die US-Sicherheitspolitik gegen den Aufbruch im Südkontinent.

Da musste halt ein wenig gehobelt werden, wie sich etwa Anfang letzter Woche in Geschäften der Ladenkette Soriana zeigte. Es gab einem Ansturm von KundInnen, die alle mit einer Prepaid-Karte von Soriana angekommen waren. Viele der sich zu Hunderten im Geschäft drängenden KundInnen waren zudem empört: Auf ihren Karten war manchmal gar kein Guthaben, manchmal nur eines von 100 oder 200 Pesos statt der vermeintlichen 500 oder 1000 (1 USD ~ 14 Pesos). KundInnen zeigten sich empört, dass der PRI, die Partei des offiziellen Wahlsiegers Peña Nieto, sie beim Stimmenkauf betrogen habe. (Die Soriana-Variante gilt für den Bundesstaat México, rund um die Hauptstadt, in dem Peña Nieto bis vor kurzem Gouverneur war). Die Leute erhielten die Karten gegen Vorweisen der Handy-Foto ihres ausgefüllten Stimmzettels). In anderen Regionen köderte der PRI mit Telekom-Karten, Geld, Zement.

Im Soriana-Laden. Aus Washington Post, 3.7.12
Quelle: El Universal, 5.7.12


Andere beliebte Tricks des Wahlbetrugs wie der, Wahllokale (in „feindlicher“ Gegend) mit einer ungenügenden Anzahl von Wahlmaterialien auszustatten, scheinen ebenfalls eine grössere Rolle gespielt zu haben.

Alles halb so wild! Nein, das mit Soriana kann man nicht mehr einfach leugnen oder ignorieren – da gab es von den linken Medien und der Wahlkampagne des offiziell untelegenen linken Präsidentschaftskandidaten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) zuviel Wirbel um die Sache. Das mexikanische Wahlinstitut  IFE bequemt sich gar zu einer … Untersuchung. Leider etwas spät, AMLO hatte schon vor den Wahlen offiziell Anzeige gegen diese Art von Wahlbetrug des PRI gemacht. So behauptet der Mainstream, im Einklang mit einer vom IFE angeordneten Nachzählung in den Wahllokalen, in denen die offizielle Differenz zwischen AMLO und Peña Nieto weniger als ein Prozent betragen hat, es ginge da nur um ein paar Stimmchen hier, ein paar dort. Woher er das Wissen bezieht – sein Geheimnis. AMLO hatte die IFE-Nachzählung von Anfang an als ein Verschleierungsmanöver bezeichnet, da relevante Hotspots ausgelassen würden. Um Neutralität, Ausgewogenheit und Augenmass zu markieren, berichtete dafür im Schweizer Radio ein Journalist, auch der PRD habe Stimmen gekauft, wenn auch weniger als der PRI. Woher er das Wissen bezieht – sein Geheimnis. Es geht hier nicht um die einzelne Anekdote, sondern um die Dimension, Systematik des Vorgangs. Jeder relativierende Vergleich dient da nur der Absegnung des vom Imperium gewollten Wahlausgangs.

Mag sein, dass AMLO die Wahlen dank des üblichen volldemokratischen Wahlbetrugs per Medienpsychose verloren hat (auch wenn viele MexikanerInnen vom Gegenteil überzeugt sind). Mag sein, dass seine Partei, der früher linke und heute traurige PRD zum offiziellen Resultat beigetragen hat, wie das Mitglieder der ausserparlamentarischen Opposition kritisieren  – mit Sabotage an der Kampagne von AMLO, mit einer eklatanten Unfähigkeit oder einem markanten Unwillen, die defensa del voto, die Verteidigung der Stimmresultate, praktisch anzugehen (Ausbildung seiner UrnenvertreterInnen, eigenes Übermittlungssystem für Resultate und Alarme, sofortige juristische Interventionen bei Wahlbetrug etc.). Vermutlich werden wir bald mehr wissen.

So oder so: Die Sehnsucht des Mainstreams, zur „Tagesordnung“ unter dem neuen Präsidenten Peña Nieto, dem politischen Verantwortlichen für die Morde, die Vergewaltigung gefangener Demonstrantinnen und die Terrorisierung der Bevölkerung von Acteal 2006 durch seine wütende Sicherheitstruppen, spricht Bände. Das Blutvergiessen, die Paramilitarisierung  in Mexiko werden weitergehen, die Sozialangriffe gesteigert werden. Democracy!

Unsere Hoffnung: Wer zuviel mit der Geduld eines Volkes spielt, wer seine Erwartungen in Wahlprozesse systematisch frustriert, weckt neue Geister des Widerstandes. Eines Widerstandes, der sich angesichts der dramatischen Kriegslage im Land – bei allen von Peña Nieto in Aussicht gestellten Retouchen – nur radikal, umfassend, das Ganze angehend, entwickeln werden kann.

Hier einige Links zu Videos zum Wahlbetrug auf Youtube, von denen aus man noch viel mehr Material ansehen kann, so auch auf Videos von Anonymous, in denen angebliche computergesteuerte Veränderungen des Wahlresultats gezeigt werden:


2 m, englisch untertitelt. Empörte, nicht bezahlte WahlbetrugshelferInnen des PRI fordern … Gerechtigkeit.



4 m. Die PRI-Senatskandidatin María Elena Barrera, gefilmt bei einer Vorwahlveranstaltung, an der sie die Kreditkarten verteilt. Anschliessend Stellungsnahmen des Wahlkampfbüros von AMLO.

TELEVISION FRANCESA EXHIBE AL PRI COMPRANDO VOTOS DE GENTE POBRE
3 m. Englisch gesprochen. France 24-Bericht über die Organisierung von Stimmenkauf, ins Netz gestellt zwei Tage vor der Wahl.



9 m. In der Stadt Xalapa (Bundesstaat Veracruz) protestieren Hunderte vor dem Wahllokal, in dem sie nicht wählen können, da zu wenig Wahlzettel ausgeliefert wurden.