http://www.heise.de/tp/artikel/37/37171/1.html
Andreas Knobloch
27.06.2012
US-Regierung militarisiert den Kampf gegen die Drogen in Lateinamerika
Ein Erschossener ruft in Honduras selten öffentliche
Aufmerksamkeit hervor. Dafür ist das Sterben zu alltäglich in dem Land,
das als das gewalttätigste der Hemisphäre gilt (Honduras ist zum mörderischsten Land der Erde geworden). Doch das ändert sich, wenn der Schütze ein US-Amerikaner ist, ein Agent der US-amerikanischen Antidrogenbehörde DEA (Drug Enforcement Administration) noch dazu. Auch wenn er, wie die US-Botschaft Tegucigalpa mitteilt, in Notwehr gehandelt habe.
Dass die Vereinigten Staaten an Antidrogeneinsätzen in
dem zentralamerikanischen Land beteiligt sind, ist nichts Neues. Das
sind sie in den verschiedensten Ländern der Region - zum Teil seit
Jahren (Der Krieg gegen den Terror mündet in den Krieg gegen die Drogen). Aber es ist das erste Mal,
dass die US-Regierung zugibt, dass der Todesschütze ein US-Beamter war
und kein honduranischer Polizist. Das macht den Fall besonders. Und es
rückt die immer aktivere Verstrickung der USA in den Drogenkrieg in den
Fokus.
Der Einsatz der DEA-Agenten ist Teil einer neuen,
aggressiveren Durchsetzungsstrategie, mit der versucht wird, die
illegalen Drogentransporte mit Kleinflugzeugen abzufangen. An der
sogenannten Operation Anvil (Amboss) sind sechs Hubschrauber des
US-Außenministeriums, sowie Spezialkräfte der DEA in Zusammenarbeit mit
honduranischen Polizeibeamten beteiligt.
So auch am vergangenen Samstag. Vier Helikopter der Operation griffen
ein, als auf einem illegalen Flugfeld unweit des Dorfes Brus Laguna im
Norden von Honduras mehrere Männer ein Flugzeug mutmaßlich mit Drogen an
Bord entluden. Es gab vier Festnahmen, darunter der Pilot; mehrere
Waffen und 360 Kilo Kokain wurden sichergestellt. Ein fünfter Mann
versuchte nach seiner Waffe zu greifen und wurde von einem DEA-Agenten
erschossen, wie der Sprecher der US-Botschaft, Stephen Posivak,
mitteilte. Später nahm die honduranische Polizei noch sechs weitere
Verdächtige fest.
Die DEA bestätigte die Schüsse, erklärte aber, der
Beamte habe sich nach den Einsatzregeln , die in einem bilateralen
Abkommen zwischen Honduras und den USA festgelegt sind, korrekt
verhalten. Danach ist der Einsatz von Schusswaffen erlaubt, wenn Leben
in Gefahr sind. Dieser Fall habe vorgelegen. Trotz des Toten bezeichnete
Botschaftssprecher Posivak den Einsatz als "großartiges Beispiel
positiver US-amerikanisch-honduranischer Zusammenarbeit". Es kommt wohl
auf die Perspektive an.
Bereits Mitte Mai waren bei einer Aktion gegen
Drogenbanden in der Nähe von Ahuas, rund zwanzig Kilometer von Brus
Laguna entfernt, unter Beteiligung der DEA vier Menschen getötet worden.
Laut honduranischer Polizei handelte es sich dabei um Drogenschmuggler.
Menschenrechtsorganisationen erhoben jedoch schwere Vorwürfe
gegen die Einsatzkräfte. Sie widersprachen der offiziellen Version.
Vielmehr seien die Opfer unbeteiligte Zivilisten gewesen, darunter zwei
schwangere Frauen, die auf dem Fluss unterwegs waren. Auch war
spekuliert worden, dass US-Beamte die Schützen gewesen sein könnten, was
von offizieller Seite aber dementiert wurde.
Vom War on Terror zurück zum War on Drugs
Das Massaker geschah nur wenige Tage, nachdem die New York Times in einem vielbeachteten Artikel
die Verlegung von Truppen nach Zentralamerika und die Anwendung von
Aufstandsbekämpfungsstrategien aus den Kriegen im Irak und in
Afghanistan berichtet hatte. Die FAST (Foreign-deployed Advisory
Support Team) genannten Kommandounternehmen,
die unter der Bush-Administration in Afghanistan zur Bekämpfung der
Verbindungen von Taliban und Drogenschmugglern geschaffen und nun nach
Honduras "importiert" wurden, erhalten ihre militärische Ausbildung von
früheren Mitgliedern der Navy SEALs.
Die Spezialeinheit der US-Marine war u.a. an der Erschießung Osama Bin
Ladens in Pakistan, aber auch den Invasionen in Granada oder Panama
beteiligt. Zudem wurden drei neue Stützpunkte in abgelegenen Regionen
des Landes eingerichtet, um den Bewegungsradius zu erhöhen. Auch
personell wurde aufgestockt - zusätzlich zu den geschätzt 600
US-Militärs, die zuvor schon in Honduras stationiert waren.
Die FAST-Einheiten sind Teil einer aggressiveren
Strategie gegen die in der Region operierenden Drogenkartelle. Das
US-Außenministerium schätzt, das fast vier Fünftel aller
Drogentransporte aus Südamerika in Honduras zwischenlanden. Allein in
der Region um Ahuas werden mindestens elf illegale Landebahnen vermutet.
In den vergangenen Monaten haben die USA ihre militärische Beteiligung
in Honduras deshalb massiv ausgebaut. Das erste Feuergefecht in
Honduras, in das FAST-Agenten involviert waren, wurde im März 2011
bekannt. In diesem Jahr hat die Häufigkeit solcher Operationen
zugenommen. Allein in den vergangenen zwei Monaten wurden vier
Drogenflugzeuge abgefangen. Davor waren es von Mitte 2010 bis Ende 2011
insgesamt sieben.
Während sich die Regierungen in Washington und
Tegucigalpa zufrieden zeigen, kritisieren Menschenrechtsgruppen in
beiden Ländern die zunehmende Verwicklung der USA. In Honduras wächst
zudem die Sorge,
dass die Kommandooperationen, die nationale Souveränität untergraben
könnten. Eine Gruppe von 40 honduranischen Wissenschaftlern und früheren
Regierungsvertretern hat Anfang des Monats in einem Brief an
US-Präsident Barack Obama und US-Außenministerin Hilary Clinton deshalb
den Stopp der US-Hilfe für Honduras' Armee und Polizei gefordert. Dem Aufruf schlossen sich bisher 300 Akademiker aus 29 Staaten an.
Die wachsende US-Militärpräsenz in Honduras seit dem
Staatsstreich gegen Manuel Zelaya 2009 wird begleitet von zunehmenden
Menschenrechtsverletzungen. Unter dem Deckmantel des "Krieges gegen die
Drogen" wird das Land mehr und mehr militarisiert. Mindestens 24
Journalisten wurden seit dem Amtsantritt von Zelayas Nachfolger im
Präsidentenamt, Porfirio Lobo, ermordet. Aufgeklärt wurde bis heute
keines der Verbrechen. Es herrscht ein Klima totaler Straflosigkeit, die
Sicherheitslage ist verheerend, Korruption weit verbreitet, Morde und
das "Verschwinden" politischer Gegner an der Tagesordnung. Ein
Menschenleben ist eben nicht viel wert in Honduras. Den US-Amerikanern
auch nicht, wie es scheint. Das Verteidigungsministerium setzt zur Bekämpfung der Gewalt für weitere drei Monate das Militär im Rahmen der Operation Relámpago ein.