(zas. 31.3.15) Fast einen Monat nach den Wahlen (Gemeinden,
Parlament und zentralamerikanisches Parlament – Parlacen) hat das Wahlgericht
TSE am 27. März 2015 die wohl definitiven Resultate bekanntgegeben. Die wenigen
beim TSE eingereichten Rekurse haben kaum eine Chance auf Erfolg. Auch von der
Verfassungskammer des Obersten Gerichts, die sich auch im Wahlbereich
verfassungswidrig zur ultimativen Instanz aufgeschwungen hat, sind eher keine Entscheide
zu erwarten, die die Resultate gross ändern werden. Von dieser Seite sind
jedoch weitere Schritte hin zur Abschaffung des potenziell demokratischen
Gehalts des Wahlsystems, wie es aus den Firedensabkommen von 1992 resultierte,
zu befürchten.
Summarischer Blick
auf die Resultate
Partei/Koalition
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Anzahl Stimmen
|
Prozente
|
ARENA
|
874‘169.55246*
|
38.77
|
FMLN
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840‘619.34928
|
37.28
|
GANA
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208‘851.06759
|
9.26
|
PCN
|
152‘632.86595
|
6.77
|
PDC
|
55‘698.27729
|
2.47
|
ARENA/PCN
|
37‘690.08333
|
1.67
|
CD
|
36‘396.2442
|
1.61
|
Rest*
|
48‘972.5598
|
2.17
|
Definitive Resultate des TSE, Stand 27.3.15,
escrutiniofinal2015.tse.gob.sv
*Die
Stellen hinter dem Komma resultieren aus der von der Verfassungskammer des
Obersten Gerichts verfügten Berechnung der Stimmabgabe in den sog. offenen
Listen.
**Mehrere Kleinstparteien und eine parteilose
Kandidatur
Im Vergleich zu den Gemeinde- und Parlamentswahlen von 2012
konnte sich der Frente halten und ARENA etwas zulegen, während ihre Alliierten PCN
und PDC etwas verloren haben und GANA, die Abspaltung von ARENA, die im
Parlament meist für die Regierungs- und FMLN-Vorlagen stimmt, bleibt stabil.
Dank einem lokalen Bündnis mit dem PCN und Reststimmenglück schafft es ARENA
auf 35 Parlamentssitze (2012: 3, vor einer internen Abspaltung), der FMLN
bleibt bei seinen 31 Abgeordneten (davon 15 Frauen), PCN 6 (2012: 7), PDC 1
(wie bisher) und der CD fliegt raus. Im normalen Parlamentsalltag hat sich die
Situation für den Rechtsblock (ARENA, PCN, PDC) mithin gebessert und für den
Block Frente/GANA verschlechtert. Numerisch verfügen beide Lager über je die
Hälfte der insgesamt 85 Parlamentssitze. Bleibt zu sagen, dass ARENA allein
nicht 35, sondern 32 Stimmen gemacht hätte und der FMLN, wäre er etwa im
Departement La Paz eine Koalition mit dem CD eingegangen, einen weiteren
Parlamentssitz geholt hätte.
Auf Gemeindeebene regiert ARENA in 129 Kommunen, der FMLN in
deren 85, den Rest der insgesamt 262 Gemeinden haben andere Parteien gewonnen.
Hier ist anzufügen, dass ARENA etwas weniger als 50 % der Bevölkerung kommunal
regieren wird, der FMLN etwa 40 %; er hat die Hauptstadt und einige ihrer
Vorortsstädte, die er 2012 verloren hat, zurückgewonnen. Noch weitgehend
unerklärt ist der Frente-Rückgang auf dem Land, wo er 2012 und bei den
Präsidentschaftswahlen letztes Jahr klare Fortschritte erzielt hatte. Vermutlich
spielen lokale Faktoren, aber wohl auch das Auswählverfahren der KandidatInnen
eine Rolle (es war vereinzelt zu Basisprotesten gegen die KandidatInnen
gekommen). Neu auf kommunaler Ebene ist, dass die Gemeindeexekutiven plural
zusammengesetzt sein werden; bisher hat die siegreiche Partei die gesamte
Exekutive gestellt.
Beim zentralamerikanischen Parlament Parlacen betrug der
Vorsprung von ARENA auf den FMLN bloss rund 7000 Stimmen. Die beiden grossen Parteien schicken je 8
Abgeordnete, GANA 2 und PCN und PDC je 1.
Insgesamt bestätigt sich also das seit den Parlaments- und
Gemeindewahlen 2006 vorherrschende Patt zwischen den beiden grossen Parteien. Ein
Drittel FMLN, ein anderes Drittel ARENA, der Rest geht auf die anderen
Parteien. Einschränkend ist allerdings zu sagen, dass die gesamte Rechte bei
den Parlamentswahlen klar die Mehrheit stellt; auch GANA ist trotz taktischer
Anti-ARENA-Allianz mit dem Frente keineswegs als linke Kraft misszuverstehen.
Sie pflegt ihr „Ja“ für Reformvorlagen von deren Verwässerung abhängig zu
machen und bekleidet verschiedene Regierungsposten. Dafür, dass Gesetzes- und
Verfassungsänderungen im Bereich der Ernährungssouveränität und des Rechts auf
Wasser in der noch bis Ende April amtierenden Legislative nicht durchgekommen
sind, trägt sie eine klare Mitverantwortung. Umgekehrt wären aber ohne GANA
etwa die bescheidenen Schritte hin zu mehr Steuergerechtigkeit und leichter
Anhebung der absurd tiefen Fiskaleinnahmen des Staates nie durchgekommen. (Die
Verfassungskammer des Obersten Gerichts hat dafür mehrere dieser Reformen als
verfassungswidrig erklärt, um die Reformbemühungen der FMLN-Regierung
finanziell auszutrocknen.)
Was die reale Blockbildung im neuen Parlament angeht, ist
noch einiges unklar. Evl. lassen sich einzelne GANA-VertreterInnen von ARENA
bzw. dem Grossunternehmerverband ANEP kaufen, umgekehrt gelten einige
PCN-Abgeordnete als durchaus genug … flexibel, um bei gebührender
Berücksichtigung ihrer „Anliegen“ (Postenschacher im Parlament u. ä.) in
Einzelfällen oder dauerhaft den Frenteblock zu unterstützen.
Personenwahl gegen
Programmwahl
Die absurd lange Dauer der definitiven Stimmauszählung (fast
vier Wochen) hängt mit dem Chaos in der Wahlnacht und einer systematischen
Auszählbehinderung von ARENA zusammen. Das salvadorianische Wahlsystem sieht
eine grundlegende Auszählung der Resultate an den einzelnen Wahltischen (Juntas
Receptoras de Votos, JRV) durch die ParteivertreterInnen in den JRV gleich nach
Wahlschluss um 17 h vor. In der Vergangenheit beanspruchte dieser Prozess im Schnitt
etwa 4 bis 5 Stunden. Angekreuzt wurde jeweils nur die bandera, das Parteilogo auf dem Wahlzettel. Die einzelnen
KandidatInnen waren auf dem Wahlzettel nicht aufgeführt. Die Rangfolge der
KandidatInnen wurde durch die jeweilige Partei vorgegeben. Über die bis heute
die Leute kaum bewegende Sitzverteilung im zentralamerikanischen Parlament wurde erst gar nicht gesondert abgestimmt, sie
wurde nach Massgabe der Simmverhältnisse beim nationalen Parlament ermittelt. Die
Gemeindeexekutive wurde nach dem einfachen Majorz gewählt, ebenfalls durch
Ankreuzen der bandera.
Dieses System wurde im Lauf der letzten Jahre massiv
verändert. Im Zusammenspiel mit von den Washingtoner Apparaten zur
internationalen „Demokratieförderung“ mit finanzierten NGOs oder traditionellen
ARENA-VertreterInnen, die entsprechende Eingaben machten, veränderte die Verfassungskammer
des Obersten Gerichts Verfassung und Wahlgesetz massiv. Bemerkenswert: Alle
Veränderungen erfolgten nach 2009, als das Bündnis um den FMLN erstmals die
Präsidentschaftswahlen gewann. Und sie verfolgten alle das Ziel, die Wahl
gegensätzlicher Programme durch eine von individualisierten Personen
aufzweichen. Schliesslich hatte es der Frente 2009 geschafft, mit einer
Programmwahl und unter strikter Einhaltung der bürgerlichen Spielregeln die
Rechte aus der Exekutive zu verdrängen. Das alte System war deshalb für die
Eliten nicht mehr funktional.
Als erstes schaffte die Kammer – gegen den Widerstand des
dafür nach Verfassung allenfalls zuständigen Parlaments - die
Verfassungsbestimmung ab, dass nur auf Parteilisten für das Parlament
kandidiert werden konnte. Parteiunabhängige Kandidaturen wurden nun als erweiterte Freiheit „des Bürgers“ verkauft.
Bei den Wahlen 2012 und 2015 fanden die
parteiunabhängigen Kandidaturen einen Anklang im Nullkomma-Bereich.
Als nächsten Schritt verfügte die Kammer vor den Wahlen von
2012 die Einführung der Möglichkeit der Bevorzugung einzelner KandidatInnen innerhalb
der Parteilisten. Während der FMLN zur Wahl der bandera aufrief, war bei ARENA eine klare Hinwendung zur
personenzentrierten Kampagne feststellbar, für Personen, deren Popularität zu
einem wesentlichen Teil von ihrem Kampagnenbudget und von den grossen Medien
mit bestimmt wurde. Für die Parlamentswahlen 2015 schliesslich führte die
Kammer die offenen Listen ein, in El Salvador das System der gekreuzten Stimme
und in der Schweiz Panachieren genannt. „Der Bürger“ konnte jetzt also nach
Belieben KandidatInnen verschiedener Parteien seine Präferenz geben – und damit
die Programmwahl weiter aushöhlen. Zusätzlich ordnete die Kammer an, dass neu
auch die salvadorianische Parlacenvertretung nach dem gleichen System gewählt
werde. Die einzige Wahlreform, die nicht von der Kammer, sondern trotz rechtem
Widerstand vom Parlament beschlossen wurde, war die Einführung pluralistischer
Gemeindeexekutiven. Dies fiel für die Auszählung an den JRVs aber nicht ins
Gewicht, da sie einzig, wie bisher, die Parteienstärke auszählen mussten – den
Verteilschlüssel für die Exekutive berechnete das TSE.
Das programmierte
Chaos
Bei der JRV-Auszählung in der Wahlnacht kumulierten also
viele Neuerungen, die die Mitglieder, die seit spätestens sonntags um 4 h früh
auf den Beinen waren, in die Erschöpfung trieb. Insbesondere in Departementen
mit einer grossen Anzahl Kandidaturen dauerte die Auszählung bis in die frühen
Morgen-, teilweise sogar in die Nachmittagstunden des Montags hinein. Unsere
BeobachterInnengruppe sah Leute (von verschiedenen Parteien) um die Wahltische
herum schlafen, andere stierten apathisch vor sich hin und warteten darauf,
ihre Unterschrift unter die jetzt 25 Tischakten (früher 1) geben und schlafen
gehen zu dürfen. (Vereinzelt verschwanden sogar JRV-Mitglieder.) Generell waren
wir schon froh, wenn wir sahen, dass die Parteileute in den JRV versuchten,
sich anhand eines kleinen TSE-Handbuchs Klarheit über den nächsten Schritt im
extrem komplizierten Auszählungsverfahren zu verschaffen. Faktisch wusste kaum
jemand wirklich Bescheid über das Prozedere. Das hatte verschiedene Gründe: die schiere
Menge an Neuerungen, das tendenziell immer noch tiefe allgemeine
Bildungsniveau, dann aber vorallem eine medial und von der Verfassungskammer
bewusst geschürte Verunsicherung über die verschiedenen Wahlmöglichkeiten. Nur
als Beispiel: Die Kammer hatte keine zwei Monate vor dem Wahlgang die auf
früheren ihrer Entscheide berufenden Direktiven des TSE zur Auszählung der
gekreuzten Stimmen umgestossen und eine neue Auslegeordnung befohlen. Damit
konnten TSE-Schulungsmaterialien für die JRV-Mitglieder wieder eingestampft
werden, mussten die Leute für ein neues Training zusammengetrommelt werden, kam
der ganze logistische Ablauf erneut ins Stocken. Die grossen Medien erzeugten wie
gewohnt weitere Konfusion über die gültigen und ungültigen Modalitäten der Stimmabgaben.
Eine Woche vor dem Wahltermin erliess die Verfassungskammer ein neues
Statement, das so formuliert war, dass nur ausgewiesene ExpertInnen begriffen,
was da stand. Eine Steilvorlage für medial transportierte falsche Gerüchte. So
versicherte uns eine mit Wahlbeobachtung befasste FMLN-Frau, jetzt sei es nicht
mehr möglich, nur die bandera
anzukreuzen, man müsse auch alle KandidatInnen der jeweiligen Partei ankreuzen.
Eine Fehlinformation. Das TSE und auch der FMLN versicherten öffentlich, das
jüngste Statement der Kammer ändere real nichts am Prozedere der Stimmabgabe.
Das sollte die Verunsicherung dämpfen, traf aber nicht exakt zu. Denn tief
versteckt in ihren Ausführungen erklärte die Kammer eine bei den letzten
Parlamentswahlen noch gültige Stimmabgabemodalität für verfassungswidrig, nämlich das Ankreuzen
der bandera einer Partei und separat
aller ihrer KandidatInnen mit einem einzigen grossen „X“ über die ganze Namensliste.
Neu mussten alle KandidatInnen einzeln mit einem Kreuzchen geehrt werden.
Natürlich war das Ankreuzen aller ParteikandidatInnen eigentlich unnötig, es
reichte die bandera. Doch darüber
zirkulierten im Volk derart unterschiedliche Gerüchte, dass viele WählerInnen
mit dem Markieren der KandidatInnen auf Nummer sicher gehen wollten. In der
Woche vor den Wahlen musste das TSE deshalb erneut versuchen, die zehntausenden
von JRV-Mitgliedern neu zu instruieren. Resultat: noch mehr Verunsicherung.
Hetzkampagne
In den Monaten vor der Wahl betrieb der ARENA-Block mithilfe
des Grossunternehmerverbandes ANEP und der dominanten Medien eine Dauerkampagne
gegen das angeblich einen Wahlbetrug zugunsten des FMLN vorbereitende TSE. Real
war zwar Julio Olivo, Präsident des TSE und vorher Jura-Dekan an der
Nationaluni, im Parlament vom Frente vorgeschlagen worden, ohne aber
Parteimitglied zu sein oder auch nur über etwas politische Erfahrung zu
verfügen. Ein weiteres TSE-Mitglied gilt als vage progressiv, zwei andere sind
klar ARENA und PCN zuzuordnen und das fünfte, vom Obersten Gericht stammende
Mitglied, stimmt mal mit dem Rechts-, mal mit dem Linksblock. Warum also die
Verunsicherungskampagne? Zwei Gründe: Erstens akzeptiert ARENA nur für sie
positive Resultate – und sie musste aufgrund der meisten Umfragen mit einem
schlechteren als dem erzielten Resultat rechen. Zweitens will sie die totale
Kontrolle des TSE zurück. Sie beherrscht ohnehin alle relevanten
TSE-Abteilungen (Wahlregister, Informatik, Rechtsabteilung, Wahllogistik u. a.).
Olivo hatte vor einigen Monaten öffentlich gemacht, dass der ARENA-Chef des TSE-Wahlregisters
auch ihm keinen Einblick darin gewähre. Doch unter Olivo wurden traditionelle
krumme Geschäfte im TSE weitgehend unterbunden. Private Serviceunternehmen
stellten früher etwa völlig überhöhte Rechnungen zugunsten der Wahlkassen der
Rechten; der TSE-Wagenpark, gedacht für die landesweite Schulung der
JRV-Mitglieder, wurde für die Wahlkampagne von ARENA verwendet, etc.
Bad man must go!
Das extreme, hauptsächlich von der Verfassungskammer zu verantwortende Chaos in
der Wahlnacht schob die Rechte selbstverständlich Olivo in die Schuhe.
Erleichtert wurde das durch den totalen Zusammenbruch der elektronischen
Übermittlung der JRV-Resultate, die laufend, wie schon bei den letzten beiden
Wahlgängen – nicht aber in all den Jahren der totalen ARENA-Kontrolle des TSE –
auf einer Homepage aufgeschaltet werden sollten. Natürlich heizte das die
Kampagne betreffs eines TSE-gesteuerten Wahlbetrugs nochmals an. Allein, das
versagende Privatunternehmen, war vom TSE-Informatikchef (ARENA) als technisch
sehr versiert „empfohlen“ worden. ARENA
hat auch den schleppenden Gang der Wahlaktenüberprüfung in den letzten Wochen
zu verantworten. Sie stellte dabei oft völlig absurde Anträge – so sollten etwa
alle JRV-Mitglieder vorgeladen werden, um ihre Personalien zu überprüfen! – und
der für ARENA zuständige Koordinator war sich nicht zu schade, eine ihm nicht
passende Akte zu zerreisen, während ein anderer Arenero, ehemaliger TSE-Magistrat,
vor laufender Kamera eine Prügelei begann. Für die Verzögerung machen die
rechten Medien natürlich insbesondere den „unfähigen“ Olivo verantwortlich. Mit
ein Grund für diese Strategie war auch, dass ARENA bei permanenter emotionaler
Mobilisierung gegen das TSE den Umstand, dass sie mit der Hauptstad das
„Kronjuwel“ verloren hatte, medial zum bedeutungslosen Detail herabsetzen
konnte. Bemerkenswerterweise kam der von Gustavo Fernández, einem rechten
ehemaligen bolivianischen Aussenminister, geleiteten Beobachtungsmission der
Organisation der Amerikanischen Staaten
eine ARENA-mässigende Rolle zu. Sie dementierte von Beginn weg die These
des TSE-geleiteten Wahlbetrugs, was ihr zu entsprechend geringerer medialer
Präsenz als sonst verhalf.
Cambio oder ein Stück
Schweiz in El Salvador
Der FMLN konnte also nicht wie erhofft mit den Wahlen
bessere Voraussetzungen schaffen, um eine vertiefte Reformpolitik seitens der
Regierung zu ermöglichen. Dies hätte dann als Basis für ein Durchbrechen des
strategischen Patts in den kommenden Jahren dienen sollen. Diese Situation ist
natürlich gefährlich, denn eine lang anhaltende Reformblockade kann die Leute
in die Resignation treiben, statt sie für den Kampf zu motivieren. Insbesondere
dann, wenn namhafte Regierungs- und FMLN-ExponentInnen, darunter auch
Präsident Salvador Sánchez Cerén selbst,
sich in der Öffentlichkeit oft eines Diskurs befleissigen, bei dem die
alternativen Konturen zu verschwinden drohen. Beispiel die „Allianz für den
Wohlstand im Norddreieck“ (El Salvador, Honduras, Guatemala). Ein noch
unscharfes Investitionsprojekt, entstanden angeblich aus dem Bemühen, die
Massenemigration von Kindern in die USA einzuschränken. Klar ist, dass das Business, wie derzeit in
der US-Kongressdebatte betont, von Washington kontrolliert werden soll. Die
salvadorianische Regierung kann aus Gründen wie der wirtschaftlichen
Abhängigkeit dem Allianzprojekt nicht einfach die kalte Schulter zeigen. Sie
muss das Schlimmste verhindern und das Beste herausholen. Aber wenn die
amtlichen Verlautbarungen seit Monaten beschwingt herausstreichen, wie gut man
sich mit Washington verstehe und wie fruchtbar der Dialog mit dem nationalen
Grosskapital sei (eine US-conditio sine qua non), wirkt das nicht nur
befremdend, sondern wohl auch entfremdend. Denn wo bleibt die
Bewusstseinsarbeit mit der Bevölkerung, ihre Motivierung für den cambio, wenn anscheinend das Glück made
in USA ist und die eigene Note darin besteht, besser als die Rechte mit
Washington kutschieren zu können? Natürlich gibt es auch ganz andere Momente
der Regierungspolitik, etwa im Agrar- oder im Sozialbereich, die viel eher zur
Bewusstwerdung beitragen können – doch oft werden mit Blick auf die wählende
„Mitte“ und zur Besänftigung der Bourgeoisie Dinge wie diese
„Wohlfahrtsallianz“ hervor gestrichen.
Aus vielen Gesprächen ergibt sich ein klares Bild: Zentral
für die weiteren Aussichten wird sein, ob es dem Frente und der Regierung in
der kommenden Zeit gelingen wird, auf dem Gebiet der Wirtschaft und der
Sicherheit reale Fortschritte zu erzielen und diese auch gegen die
Verschleierungspolitik der grossen Medien ins öffentliche Bewusstsein zu
transportieren.
Trotz ihres Wahlerfolgs scheint auch für ARENA keineswegs
nur die Sonne. So hat sie sich soeben einen grossen Patzer erlaubt. Der
nationale Sicherheitsrat für die BürgerInnensicherheit – ein von der Regierung
angestossenes Gremium, in dem sie soziale Organisationen, Kirchen,
Unternehmerverbände, Kultur- und Sportvereine etc. zusammenfasst, hat für den
26. März zu landesweiten Demonstrationen für den Frieden, gegen die Gewalt –
also den Kriminalitätsterror im Alltag – aufgerufen. Eine parlamentarische
Mehrheit hat den Tag zum Feiertag gemacht. ARENA und der
Grossunternehmerverband ANEP haben über ihre Medien eine aktive Politik der
Nichtteilnahme gepusht. Am 26. kam es jedoch landesweit zu den grössten
Mobilisierungen überhaupt der letzten Jahrzehnte (zur Frage der Sicherheit s. diesen
Begleitartikel).
Mindestens so gefährlich ist ein neuer interner Streit für
diese Partei. Im Gegensatz zum Frente hat sie ihre ganze Wahlkampagne als
Personenwahl aufgezogen. Ergebnis: Altgediente Parteikader wurden abgewählt,
eine Reihe direkter Mitglieder der Oligarchie oder ihrer VertrerInnen kamen neu
ins Parlament (schön geredet als „Generationenwechsel“). Ein ARENA-Mitglied der
bisherigen Parlamentsleitung meinte vor FMLN-KollegInnen: „Die Partei hat gegen die Oligarchie verloren“. Öffentlich
unterstellen namhafte Parteikader der Oligarchie einen direkten Betrug an den
Wahltischen. Tatsache ist, dass die Kampagnenbudgets vieler Parteikader im
Vergleich zu dem der oligarchischen „Newcomers“ mickrig waren. Ironischerweise
zahlen jene, die begeistert das von der Verfassungskammer betriebene
Reformvorhaben gegen den FMLN – Liquidierung der Programmwahl – mitgetragen und
einzig auf die Personenwahl gesetzt haben, nun einen Teil der Rechnung. Der
„geheime Sinn“ der über die Verfassungskammer lancierten Veränderungen wird
deutlich: Die erweiterte „Freiheit des Bürgers“ besteht darin, sich dem
Kommando des Kapitals aus … freien Stücken zu unterwerfen (so quasi ein Stück
Schweiz in El Salvador).