Notizen eines deutschen Anwalts in Guatemala (17)

Samstag, 15. Oktober 2016

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Guatemala Stadt, Ende September 2016



Das Geheime hat in Guatemala immer eine Rolle gespielt... als Geheimbund, Geheim--‐ dienst oder kriminelle Strukturen im Staat, die dann 2017 die CICIG auf den Plan riefen. Wir spekulieren ständig, wer wo dahinter steckt. Natürlich fehlen auch Verschwörungstheorien nicht in einem Land, das immer Opfer des Geheimen war, dessen Kunst es ist, dass jeder vermutet, dass es hinter Allem stecken könnte und es doch keiner genau weiss: vielleicht war es ja doch der Gärtner oder ein blöder Zufall...
Im Januar wurden 18 Militärs, die grosse Mehrheit von ihnen ehemalige Geheimdienst--‐ Generäle, verhaftet. Wie ich in den Notizen (9) schrieb, waren das nicht nur Verhaftungen wegen Verbrechen aus dem Krieg sondern es gab wohl auch ein eigenes Interesse der USA, die wenige Tage später zu installierende neue Regierung ein letztes Mal zu warnen, keine Mafia ins Kabinett zu berufen. Mehrere Be--‐ schuldigte scheinen Bezug zur organisierten Kriminalität zu haben und einer von ihnen, der noch--‐Abgeordnete Ovalle, war gar als Frak--‐ tionschef oder Innenminister vorgesehen.
Zusammen mit drei anderen Generälen form--‐ te er die „Juntita“, jenen Kreis von Militärs, die Jimmy Morales kontrollierten und „berieten“, ihm aber auch das Gefühl der Macht und Un--‐ berührbarkeit gaben. Es sind diese Geheim--‐ dienstkreise, die alle Präsidenten Guatemalas in einer künstlichen Blase „beschützt“ und iso--‐ liert halten als Teil eines Modelles, das eigent--‐ lich 2003 abgeschafft worden war, als Prasi--‐ dent Portillo den „präsidialen Generalstab“ durch eine zivile Struktur zum Prasidenten--‐ schutz (SAAS) ersetzte. Diese funktionierte auch eine Zeit, wurde aber unter Pérez Molina auf alte Gleise zurückgeführt.
Zur „Juntita“ gehört auch Melgar Padilla, sein „unentgeltlicher“ Sicherheitsberater und das Gehirn hinter SAAS und DIGICI1, die laut CICIG und Staatsanwaltschaft wieder zum Zentrum von Schmutzkampagnen und Spionage mutiert sind. Ursprünglich waren beide ein Versuch, den Einfluss der Militärs zu beschränken und zivile Instanzen mit ziviler Logik zu schaffen.
Man muss verstehen, dass Jimmy Morales nicht nur am Tropf der Militärs hängt, sondern sie immer bewundert hat. Seine Lieblingsrolle als Schauspieler war Nito, ein Soldat der „ver--‐ rückten Truppe“, dessen albernen Stechschritt er heute noch bei Militärparaden imitiert. Sei--‐ ne Partei wurde von Militärs gegründet und seine Kandidatur war Teil ihrer Strategie, auch wenn sie sich ob des plötzlichen Wahlsieges, der diesen Mochtegern--‐Soldaten auf einmal zum Regieren nötigte, wohl die Augen rieben.
Zurück zu Melgar Padilla und der „Juntita“. Als die Ermittlungen zur Spionage der Opposition öffentlich wurden, wurde der politische Druck immer grösser und „Jimmy“ musste die Chefs von SAAS und DIGICI entlassen; auch Melgar Padilla war unhaltbar geworden und wurde Ende August ins Parlament abgeschoben, par--‐ lamentarische Immunität (vorerst) inbegriffen. 1 der zivile Geheimdienst des Innenministeriums 2 Kurz davor kippte das Verfassungsgericht im CREOMPAZ--‐Prozess seinen absurden Be--‐ schluss von März, der die Immunitatsaufhe--‐ bung von Ovalle ablehnte, so dass auch das Oberste Gericht (CSJ) seinen gleichlautenden Beschluss aus Februar revidieren musste. Das war möglich geworden, da in der CSJ zuletzt zwei Pfeiler der Korruption gehen mussten, die Richter Charchal und Aguilar; ersterer sitzt heute mit Pérez Molina hinter Gittern. Das Immunitätsverfahren gegen Ovalle läuft zwar noch, doch die „Juntita“ ist schwer angezählt.
Kurz davor, am 16.8., geschah der Einbruch ins Haus meines Freundes und Kollegen Ramón Cadena; sein Computer wurde gestohlen und Papiere gesichtet. Die Ermittlungen der Staats--‐ anwaltschaft und die Kameras der Nachbarn belegten schnell eine militar--‐ oder polizei--‐ typische Operation, was noch zu den letzten Aktionen der Struktur Melgar Padillas gehört haben könnte. Dabei ist nicht zu vergessen, dass gerade der Barrillas--‐Prozess lief gegen 7 indígena Autoritäten wegen ihres Wider--‐ standes gegen ein Grossprojekt in ihrem Territorium, welcher schliesslich mit dem Freispruch der Mehrheit der Angeklagten endete (Notizen 15). Ramón war Gutachter in diesem Prozess... War das nun Zufall oder doch der Gärtner?
Im Februar schon waren drei Anwälte, Rafael Maldonado, Ramón und ich wegen unserer anwaltlichen Tätigkeiten zur Unterstützung des Widerstandes der “La Puya” gegen eine Goldmine angezeigt worden, u.a. wegen „krimineller Vereinigung“ (Notizen 9). Diesel--‐ be „Stiftung gegen den Terrorismus“, die uns anzeigte und eng mit den beschriebenen Strukturen verzahnt ist, beantragte im Sep--‐ tember die Aufhebung der Immunität des Richter Gálvez, durch dessen Hände fast alle Prozesse gehen, von denen ich in den Notizen berichte; sein „Verbrechen“ war, sich offent--‐ lich mit mir und einer pensionierten deut--‐ schen Richterin zu treffen, um von der Situa--‐ tion der Richter in Guatemala zu berichten. Mittlerweile sind auch wir angezeigt, mit ihm eine kriminelle Vereinigung zu bilden. Es sind die alten Geheimdienstmethoden der Diffa--‐ mierung und Verfolgung. Noch im Mai denun--‐ zierte Gálvez Bedrohungen, kurz danach die Generalstaatsanwältin ein geplantes Attentat: sie blieb dann 30 Tage im Ausland!
Und es ist wohl auch kein Zufall, dass Méndez Ruíz, der Kopf dieser „Stiftung“, in einem Ver--‐ fahren wegen fahrlässiger Tötung und Unfall--‐ vertuschung agiert und die Verhaftung (!) des Fahrers und Chefs der Staatsanwaltschaft für Menschenrechte, der 2013 den Volkermord--‐ prozess führte, forderte. Wie wusste er von dem nächtlichen Unfall auf einer entlegenen Landstrasse? Wurde der Staatsanwalt kom--‐ plett überwacht oder der absurde Haftbefehl gar direkt mit der Behörde verhandelt?
Gleichzeitig mussten wir mit ansehen, wie Pra--‐ sident Morales der Lächerlichkeit preisgege--‐ ben und unter Mitarbeit seines engsten Zirkels demontiert wurde. Zuerst sackte er während der Vorstellung des Haushaltes mehrfach schlafend auf dem Stuhl zusammen, dann erklärte sein Pressesprecher, dass er lediglich über die Probleme der Nation reflektiert habe, was ihn nur weitere zwei Tage zur Lachnum--‐ 3 mer machte. Die Blossstellung hatte System und führte im September in die offene Krise, als bekannt wurde, dass zumindest Morales’ Sohn und Bruder in Korruptionsskandale verwickelt sind.
Viele politische Analysen kamen zu dem Schluss, dass die Schwächung des Präsidenten Bestrebungen geschuldet sein könnten, CICIG und Staatsanwaltschaft zu bremsen, und dass diese Aufgabe eher dem Vizepräsidenten Cabrera als Morales zugetraut wird. Die USA sahen das wohl ähnlich, spielten aber nicht mit: Obama stärkte Jimmy in einen Brief den Rücken und dann wurde auch noch ein US--‐ Bericht lanciert, nach dem der Sohn Cabreras eine Million USD aus Drogengeldern bekom--‐ men haben soll; das sollte wohl seinen Vater als Präsidentenersatz schwächen und tat das auch. Der Präsident ist nun nach wie vor im Amt und der Kreis des Geheimen schliesst sich wieder...und wir bleiben spekulierend zurück.
Miguel Mörth