(zas,
26.8.17) Die italienische Kapitalistenfamilie Benetton gehört ins Kapitel des supergrossen
Landbesitzes in Argentinien. Nur, dass das auf dem Land, das sie ihr Eigen
nennt, schon die Vorvorvorderen der Mapuche-Comunidades gelebt haben. Kein
Problem, zur Lösung solcher Fragen ist es in den konterrevolutionär
restaurierten Teilen Lateinamerikas wieder modern geworden, die bewaffneten
Kräfte einzusetzen. So auch in der kleinen Mapuche-Comunidad Pu Lof der
Landgemeinde Cushamen in der nordöstlichen Provinz Chubut. Aus Protest gegen
den Land ihres Raubes durch den italienischen Landbaron hatten sie am 30. Juli
eine von der Gendarmerie schnell geräumte Strassenblockade organisiert. Am nächsten
Morgen früh drangen über 100 Mitglieder dieses Korps schiessend in die
Comunidad ein, verprügelten die EinwohnerInnen und brannten ihr Hab und Gut
nieder. Die Menschen flüchteten über den Fluss.
Der 27-jährige
Santiago Maldonado war am Vorabend in der Comunidad angekommen, um ihren Kampf
zu unterstützen. Auch er versuchte zu entkommen, leider vergeblich. AugenzeugInnen
sahen, wie ihn die Gendarmen einholten, verprügelten und abtransportierten. Seither
ist Santiago verschwunden.
Ende Juni
war der Lonko Facundo Jones Huala, also der religiös-politische Chef der Comunidad
Pu Lof, verhaftet worden, im Anschluss an ein Treffen des argentinischen Präsidenten
Mauricio Macri mit seiner chilenischen Amtskollegin Michele Bachelet. Im Zusammenhang
mit der massiv eskalierenden Repression gegen die Mapuches in Chile hatten die
dortigen Strafverfolgungsbehörden einen internationalen Haftbefehl gegen den
Lonko erlassen, weil er 2013 an einem Brandanschlag beteiligt gewesen sein
soll. Jones Huala war in Chile inhaftiert gewesen, aber danach freigelassen
worden.
Facundo Jones Huala |
Die
Justizministerin Patricia Bullrich behauptet, der Lonko sei Mitglied der „terroristischen“
RAM (Resistencia Ancestral Mapuche), die im Visier der chilenischen Behörden
steht. Und Santiago Maldonado sei nie in Gewahrsam der Behörden gewesen. Der
Chef von Bullrich’s Sicherheitskabinett, Pablo Nocetti, hatte sich nachweislich
und im Auftrag seiner Chefin in der Gegend aufgehalten, um in
seinen Worten „ein
Koordinierungskonzept“ der in der Region operierenden Sicherheitskräfte im Kampf
gegen die RAM zu organisieren. „Sie
sollen wissen, dass wir sie verhaften werden.“ Der Lonko hatte zur
argentinischen Zeitung Página/12 bezüglich der Brandanschläge auf
abholzunternehmen im chilenischen Mapuchegebiet gesagt: „Meine Leute (von Lof Cushamen) waren es nicht. Ich war es nicht. Sie
machen uns für alles und jedes verantwortlich. Gibt es einen Verkehrsunfall, machen
sie uns schuldig. Dann gibt es eine mörderische Repression wie im Januar“ (id.).
Bullrich‘s Hetze
konnten eine enorm breite Mobilisierung für Santiago nicht verhindern. Denn zu
viele Beweise und Indizien machten klar, dass die Behörden von der Ministerin
abwärts lügen. Bullrich hatte sogar den Namen eines Freundes von Santiago öffentlich
gemacht, obwohl er aus guten Gründen einem Zeugenschutzprogramm unterstand. Er
hatte einen Tag nach dem Angriff versucht, Santiago auf seinem Handy zu
erreichen. Jemand hatte abgenommen, ohne sich zu melden. Er und weitere
ZeugInnen gelten als akut bedroht. Bullrich verbrannte ihn. Doch es nützte alles
nichts. Auch die
Menschenrechtskommission der OAS (CIDH) verlangte eine Aufklärung des Falls.
Die untersuchende Staatsanwaltschaft musste vor zwei Tagen die Untersuchung auf
den Verdacht des „gewaltsamen Verschwindenlassens“ ändern.
"Wo ist Santiago?": Demo in Buenos Aires am 10. August 2017 |
Als vor
einigen Tagen hunderttausende Mitglieder von sozialen, linken und
gewerkschaftlichen Organisationen gegen den neoliberalen Kahlschlag der
Regierung Macri auf die Strasse gingen, betraf eine der zentralen Forderungen Santiago.
Es kommt im ganzen Land zu kleinen und grossen Mobilisierungen. Bullrich beendete
wutentbrannt ein Gespräch mit den argentinischen Menschenrechtsorganisationen
wie den Grossmüttern der Plaza de Mayo. Aber: An Fussballspielen kommt es zu
Protesten, auch die Belegschaft der führenden neoliberalen Mediengruppe Clarín
fordert eine Aufklärung!
Die Belegschaft von Clarín. |
Die
Mobilisierungen haben das Wissen zum Hintergrund, dass im neoliberalen Regime
die physische Verfolgung von GegnerInnen zunimmt. Dass eine Ministerin und ihr Präsident
das Verschwindenlassen eines politischen Gefangenen verteidigen, ist in der Tat
ein Weckruf.