(zas 20.4.18) Stunden bevor das Oberste Gericht STF grünes
Licht für die Einknastung von Lula gab, hatte es Orientierungshilfe von
Heereschef General Eduardo Villas Bôas erhalten. Auf Twitter teilte
er mit: «Ich versichere der Nation,
dass das brasilianische Heer das Verlangen aller guter Bürger nach Ablehnung
der Korruption teilt (…) und seinen institutionellen Missionen nachkommt.»
Eine Reihe weiterer Generäle schlossen sich dieser Drohung an.
Villas Boâs |
Seither reissen die Proteste der beiden grossen
Zusammenschlüsse von sozialen Bewegungen, dem Frente Brasil Popular und dem Frente
Povo Sem Medo (Volk ohne Angst) nicht ab. Die Landlosenbewegung MST etwa hatte
vor wenigen Tagen Go-ins und Ähnliches bei verschiedenen Börsen des Landes durchgezogen;
die Gewerkschaften sind auf der Strasse und die Obdachenlosenbewegung MSTS besetzte
die Luxusloge, die Lula angeblich als Dank für korrupte Machenschaften vom
Baukonzern OAS erhalten hatte. Das MSTS hatte argumentiert, da die Wohnung ja
angeblich Lula gehöre, werde dieser sicher keinen Räumungsantrag stellen. Die Besetzung
wurde nach 2 Stunden geräumt, ein kleines Eingeständnis, dass die Wohnung nicht
Lula gehört. Interessant übrigens solche «Details» wie dass die Bewegung der
von Staudämmen Geschädigten (MAP), die von einigen internationalen NGOs gerne
als Opfer des PT herumgereicht wurde, in den Protesten gegen die Haft des Ex-Präsidenten
an vorderster Front mitmacht. Denn in Brasilien ist abgesehen vielleicht von
ein paar Sekten allen klar – links wie rechts – dass die Haft Lulas, der auch
zwei Wochen nach seiner Gefangennahme die Wahlumfragen mit grossem Abstand anführt,
nur eine wenn auch wichtige Phase im der Putschdynamik darstellt. In der
kommenden Zeit wird dieser Widerstand, den offen blutig zu bekämpfen das Regime
sich bisher hütet, zunehmen. Die Rede ist von einem möglichen Generalstreik. Der
Widerstand ist breit aufgestellt. Dazu gehört etwa auch, dass der international
bekannte Befreiungstheologe Leonardo Boff keine Besuchserlaubnis bei Lula
bekommt, wie vor ihm schon eine Reihe von Gouverneuren und SenatorInnen. Boff beteiligte
sich dafür vor der Zentrale der Bundespolizei in Curitiba, wo Lula einsitzt, am
Protestcamp. Lula kann jeden Tag die Soprechchöre und das für ihn gesungene Morgenlied
der DemonstrantInnen hören.
Zu anderen Aspekten des Putsches gehören folgende in den
letzten Tagen bekannt gewordene Entwicklungen:
Armut
Dem Statthalterregime des Multis ist es gelungen, eine Entwicklung
unter den PT-Regierungen nicht nur zu stoppen, sondern umzukehren: Die extreme
Armut nimmt nicht mehr ab, sondern zu. Die Daten des statistischen Amtes IBGE
ergeben für letztes Jahr eine Zunahme der Personen in extremer Armut (nach den
Kriterien der Weltbank – weniger Einkommen als $ 1.9 pro Tag) um 11.2 %, von
13.34 auf 14.83 Millionen Menschen. Hauptursache: Die Zunahme der prekär
Beschäftigten – 37.1 % der Lohnabhängigen. Das einkommensstärkste 1 Prozent der
Bevölkerung erzielt ein Monatseinkommen von rund 8000 Franken, dafür ging jenes
der einkommensärmsten 5 Prozent um 18 Prozent auf 11.4 Franken zurück. Diese
Zahlen beziehen sich allein auf Lohn, Rente, Sozialhilfe, nicht etwa auf Dinge
wie Börsenerträge. Das unter Lula initiierte Sozialprogramm Bolsa Familia deckte 2017 nach dem IBGE 326'000
Haushalte weniger ab als ein Jahr zuvor. Am schärfsten waren die Kürzungen im
Armutsgebiet des Nordostens mit mehrheitlich schwarzer Bevölkerung.
Quelle: Brasil de
Fato, Cristiane Sampaio, 2.4.18: Pobreza
extrema aumenta 11% no último ano; economistas culpam trabalho informal
Multizölle
Das Finanzministerium teilte am 4. April mit, den Zoll auf Investitionsgüter
von 14 % auf 4 % zu senken. Das freut das internationale Kapital. Seine Politik,
die noch vor kurzem global absolut konkurrenzfähige nationale Industrie zu
vernichten, wird dadurch gestärkt. Der Wirtschaftsredaktionschef von Carta Capital,
Carlos Drummond, führt für diese Politik zahlreiche Beispiele an.
Quelle: Carta
Capital, Carlos Drummond, 17.4.18: Brasil? Leva que
é de graça
Petrobras
Die staatliche Ölgesellschaft Petrobras stand jahrelang im
Zentrum der «Antikorruptions»-Untersuchung Lavo Jato. Mârio Dal Zot ist Leiter
der ÖlarbeiterInnengewerkschaft der Staaten Paraná und Santa Catarina,
Sindipetro. Lava Jato analysiert er als Operation zum Kaputtmachen von Petrobras.
Das Unternehmen betreibe seither eine Politik der Veräusserung von Aktiven und
der Deinvestion. Es ist, so der Gewerkschafter, «das Hauptopfer des Putschs und die Sahne für den internationalen
Finanzmarkt». Petrobras hatte schon Ölfelder insbesondere auch des
strategischen Unterwasservorkommens Pré-sal veräussert. Gestern nun kündigte die
putschistische Leitung des Unternehmens die Privatisierung eines beträchtlichen
Teils der Petrobras-Raffinerien samt Leitungen und Terminale an. Dal Zot
kommentiert: «Wir diskutieren schon über
Handlungsformen, um die Privatisierung zu verhindern, einschliesslich die
Möglichkeit eines Generalstreiks im Sektor. Jetzt ist es Zeit, zu widerstehen
und bis zum Sieg zu kämpfen.»
Quelle: Brasil de
Fato, 19.4.18: Davi Macedo : Petrobras anuncia privatização de quatro
refinarias